Bundeswehr-Affäre Gefährlicher Korpsgeist

Von der Leyen startet die Operation Aufräumen und stellt sich nach der Affäre um einen mutmaßlich rechtsextremen Bundeswehroffizier auf weitere Skandale ein. Ein weiterer Mann ist schon ins Visier der Ermittler geraten.

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Politisch steht die Verteidigungsministerin unter Druck. Quelle: dpa

Berlin Nein, wütend auf ihre Ministerin sind die Generäle und Admiräle der Bundeswehr nicht mehr. Das jedenfalls ließen sie nach einem Treffen der 100 höchsten Bundeswehrvertreter mit Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Donnerstagnachmittag in Berlin verlauten. „Es geht um die ganz berechtigte Sorge, dass all die Selbstreinigungsmechanismen nicht so zur Wirkung gelangen, wie wir uns alle das wünschen“, hatte Generalinspekteur Volker Wieker bereits vor dem Treffen gesagt. Es müsse nun geklärt werden, inwieweit ein „falsch verstandener, übertriebener Korpsgeist“ Ursache für das Verschweigen von Missständen in der Truppe sein könnte.

Dass die Ministerin im Sonntag in einem ZDF-Interview der gesamten Truppe ein „Haltungsproblem“ und „Führungsschwäche“ vorgeworfen hatte, kritisierten die 100 obersten Führungskräfte nach Angaben von Teilnehmern nicht. Ein wenig, so war zu hören, akzeptierten sie sogar die Pauschalkritik, dass die Bundeswehr womöglich ein tiefer gehendes Problem hat, die Regeln der „inneren Führung“ wirklich bis in jede Kaserne hinein mit Leben zu erfüllen. „Die Talsohle ist noch nicht erreicht“, hatte von der Leyen bereits nach ihrer Reise nach Illkirch am Mittwoch gesagt und damit angedeutet, dass weitere Vorkommnisse bekanntwerden könnten.

Hintergrund für die nun beginnende Operation Aufräumen ist die Affäre um den rechtsextremen Bundeswehroffizier Franco A. Der 28-jährige Deutsche, der sich als syrischer Flüchtling ausgegeben hatte, steht im Verdacht, vermutlich mit weiteren Komplizen, einen Terroranschlag geplant zu haben. Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen an sich gezogen, die Bundeswehr arbeitet ihm zu.

Das Leitbild der Inneren Führung legt fest, dass die Bundeswehr kein Staat im Staate sein darf. Für sie gilt wie für alle Bürger das Grundgesetz, Soldaten sind Bürger in Uniform. Daraus abgeleitet zählen Schikanen, gewalttätige Aufnahmerituale oder sexuelle Demütigungen in Kasernen eben nicht zu dem, was unter dem Stichwort „Korpsgeist“ zu dulden wäre: „Diese zweifelhafte Auslegung muss man abstellen“, sei sich die Runde im Verteidigungsministerium einig gewesen – und auch darüber, dass es dafür einiger Anstrengung auf allen Ebenen bedürfe.


Listen mit Namen möglicher Anschlagsopfer gefunden

Die Fälle sexueller Übergriffe, die jüngst etwa aus Pfullendorf bekannt wurden, will von der Leyen ebenso aufklären lassen, wie Rechtsextremismus in der Truppe. Auch wenn der Militärische Aufklärungsdienst aktuell nur 280 Fälle bearbeite – bei 168.000 Soldaten – rechnet man im Verteidigungsministerium jetzt damit, dass weitere rechtsextreme Vorkommnisse gemeldet werden dürften.

Konkret will die Ministerin das Disziplinarrecht überprüfen, und soweit wie möglich auch ohne Gesetzesänderungen die Transparenz erhöhen – etwa dadurch, dass durchgängig ein Vier-Augen-Prinzip eingeführt wird. Auch wollen sich die Generäle nicht mehr gar so einseitig auf die Einsätze von Afghanistan bis Mali konzentrieren, sondern wieder mehr Aufmerksamkeit auf die Grunddienste der Bundeswehr legen: Denn der unter Verdacht Oberleutnant A. zählte bisher nicht zu den Soldaten im Einsatz.

In diesem Fall entdeckten die Fahnder inzwischen bei einem mutmaßlichen Komplizen, einem Studenten, Listen mit Namen von möglichen Anschlagsopfern, darunter der frühere Bundespräsident Joachim Gauck und Justizminister Heiko Maas.

Zudem fanden sie 1000 Schuss Munition, Teile von Granaten und Granatzünder, die zu 90 Prozent aus Bundeswehrbeständen stammten, hieß es. Die Bundeswehr hat offenbar Anhaltspunkte, dass A. einen Teil davon bei Schießübungen entwendet haben könnte. Parallel werde geprüft, wie es im Jahr 2014 dazu kommen konnte, dass der Militärgeheimdienst MAD nicht über eine rechtsradikale Masterarbeit des Soldaten A. informiert wurde. Die Ministerin habe angeordnet, Verwaltungsermittlungen gegen den Chef des Streitkräfteamtes und den dortigen Wehrdisziplinaranwalt einzuleiten, hieß es in Ministeriumskreisen. Es müsse geklärt werden, ob disziplinarrechtliche Ermittlungen nötig seien. Die beiden Mitarbeiter des Amtes hätten Franco A. Anfang 2014 nicht dem MAD gemeldet und auch seinem direkten Vorgesetzten, der sich wegen der Arbeit an sie gewandt hatte, von Disziplinarmaßnahmen gegen den Offizier abgeraten: Um A.s Ernennung zum Berufssoldaten nicht zu gefährden, wie es in dem entsprechenden Vermerk heißt, der dem Handelsblatt vorliegt.

Politisch steht von der Leyen trotz der Operation Aufklärung weiter unter Druck. Die Oppositionsparteien Grüne und Linke forderten eine Sondersitzung des Bundestagsverteidigungsausschusses in der kommenden eigentlich sitzungsfreien Woche. „Wir erwarten, dass die Ministerin den Abgeordneten rasch, umfassend und persönlich Bericht zum Fortgang der Ermittlungen und zu ergreifenden Konsequenzen erstattet“, verlangte Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Linken. Der Fall bestätige ein systemisches Problem mit Rechtsradikalismus in der Bundeswehr.

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