Bundeswehr Kampf an der Heimatfront – Deutsche Soldaten ringen um Akzeptanz im eigenen Land

Mehr denn je fremdeln die Deutschen mit ihren Streitkräften. Die Bundeswehr kämpft um mehr Anerkennung – und stößt dabei mitunter auf Anfeindung.

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„Es wird nur noch über Geld gesprochen, nicht mehr über die Menschen, über das, was die Soldaten leisten.“ Quelle: dpa

Berlin Wer hierzulande mit Soldaten über ihren Status in der Gesellschaft spricht, der hört schnell wiederkehrende Klagen. In den USA bekämen Uniformierte auf der Straße Schulterklopfer und in den Bars Drinks spendiert, heißt es dann häufig. In Deutschland ziehe man die Uniform außerhalb der Kaserne lieber aus, weil man keine Lust habe, in der Bahn angepöbelt zu werden. Man werde höchstens einmal öffentlich beklatscht, wenn man Sandsäcke in der Heimat schleppe.

Die Soldaten klagen über mangelnde Akzeptanz und Solidarität der Menschen, zu deren Schutz sie sich verpflichtet haben.

Horst Köhler beschrieb das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Armee als Bundespräsident einmal als „freundliches Desinteresse“. Das ist nun mehr als ein Jahrzehnt her. Damals verankerte die Wehrpflicht noch die Truppe in der Gesellschaft. Früher musste jeder zur Musterung, heute kommt eine ganze Generation nicht mehr direkt in Berührung mit dem Militär. Kasernen haben sich geleert, Standorte sind verschwunden, Uniformen seltener geworden im Straßenbild. Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, sieht die Gefahr, „dass der Gesellschaft das Militärische fremd wird“.

Neben dem „freundlichen Desinteresse“ bricht immer wieder auch offene Feindseligkeit aus. Soldaten in Uniform werden beschimpft. Regelmäßig brennen Fahrzeuge der Truppe. Im Vorfeld des Tags der Bundeswehr, der jährlichen bundesweiten Großveranstaltung, bei der die Soldaten die Kasernentore öffnen und sich präsentieren, zündeten Unbekannte vor wenigen Wochen etwa mehrere Autos der Bundeswehr in Dresden an.

Soldaten als notwendiges Übel?

Mehr als 60 Jahre nach Gründung der Bundeswehr bleibt das Verhältnis der Deutschen zum Militär zumindest schwierig. Soldaten werden in der öffentlichen Debatte nur allzu gern als Brunnenbauer und Entwicklungshelfer dargestellt. Die Debatte über das Kämpfen, Töten und Sterben wird gemieden.

Statt vom „Krieg“ reden Politiker hierzulande gerne von „Stabilisierungseinsätzen“ und „Friedensmissionen“, auch das Wort „Veteran“ ist verpönt. Wer im Einsatz sein Leben verliert, gilt in Deutschland nicht als Held, sondern als Opfer. Dabei ist das längst bittere Realität geworden. Allein in Afghanistan kamen knapp 60 deutsche Soldaten ums Leben.

Für die deutsche Kultur der militärischen Zurückhaltung gebe es einen guten Grund, sagt der Wehrbeauftragte Bartels mit Blick auf zwei verschuldete Weltkriege. Es gebe hier zu Recht keinen „angelsächsischen Hurra-Patriotismus“. Aber mit Aussetzung der Wehrpflicht sei das Risiko der Entfremdung der Truppe von der Gesellschaft gewachsen.

„Die Wehrpflicht war eine wunderbare Klammer zwischen der Bundeswehr und der Gesellschaft“, sagt Bartels. Früher habe es 250.000 Wehrpflichtige im Jahr gegeben, heute müsse die Truppe 25.000 Soldaten für den Dienst gewinnen.

„Die Kontakte und der lebendige Austausch werden spärlicher“, warnt auch der Militärhistoriker Klaus Naumann. Er spricht von Erfahrungsverlust, Distanz, Entfremdung. Das Verständnis dafür, was Soldaten in Auslandseinsätzen machten, sei in der Gesellschaft begrenzt. Er kritisiert dabei auch die Öffentlichkeitsarbeit des Verteidigungsministeriums als „nicht sehr gewandt“. „Sicherheitspolitik muss begründen, warum gehen wir da hin, was machen wir da“, sagt Naumann. Soldaten müssten zudem stärker ermächtigt werden, selbst den Dialog mit der Gesellschaft zu führen.

Wenn über die Truppe öffentlich geredet wird, dann geht es häufig um Pistolen, die nicht richtig schießen, U-Boote, die nicht schwimmen, und um Soldaten, denen es an allem fehlt – von der Schutzweste bis zum Zelt. Oder es geht um Skandale wie die Ausbildungspraktiken in der Kaserne in Pfullendorf oder die Vorfälle um den rechten Oberleutnant Franco A. Oder es wird über den Wehretat diskutiert, der nach Vorstellung von US-Präsident Donald Trump kräftig steigen soll und über dessen Höhe sich die große Koalition seit Monaten streitet.

Monica Melloh geht das gehörig auf den Geist. „Es wird nur noch über Geld gesprochen, nicht mehr über die Menschen, über das, was die Soldaten leisten“, sagt sie. Nach der Vereidigung ihres Sohnes im Jahr 2007 begann sie mit dem Verkauf der Gelben Schleife – als Zeichen der Solidarität mit Soldaten. Das Symbol lehnt sich an die US-Tradition der gelben Bänder an, die für Soldaten im Krieg als Zeichen der Liebe um Bäume gebunden werden. Zigtausende habe sie in den vergangenen zehn Jahren verkauft, erzählt Monica Melloh. Aber es würden immer weniger.

Hohes Ansehen, aber wenig Berührungspunkte

Dabei genießt die Bundeswehr als Institution einer Umfrage zufolge weiterhin hohe Imagewerte in der Öffentlichkeit. Vier Fünftel der Bevölkerung stehen ihr positiv gegenüber, wie eine Umfrage des Zentrums für Militärgeschichte der Bundeswehr 2017 ergab. Bei 60 Prozent der Befragten genießt sie ein hohes oder eher hohes Ansehen.

Die Studie belegt aber auch, dass der Kontakt zwischen Gesellschaft und Bundeswehr schrumpft. „Wegen der Verkleinerung der Bundeswehr, der Schließung vieler Standorte und der Aussetzung der Wehrpflicht seit dem Jahr 2011 haben viele Bürgerinnen und Bürger nur noch über die Medien Kontakt mit den Streitkräften“, steht dort geschrieben.

Bei öffentlichen Veranstaltungen oder Begegnungen im Alltag kommt maximal ein Fünftel der Bevölkerung mit der Bundeswehr in Kontakt. 39 Prozent sind der Auffassung, dass sich die Institution nicht ausreichend bemüht, um mit der Gesellschaft in Kontakt zu bleiben.

Die Bundeswehr – ein Fremdkörper?

Dabei kann man der Bundeswehr nicht gerade Kontaktscheue unterstellen. Sie geht zunehmend offensiv mit der Ablehnung um, die ihr entgegenschlägt. Die Truppe wollte sich im Mai mit einem Stand auf der re:publica präsentieren. Die Macher der Internetmesse verwehrten aber den Zutritt. Soldaten in Uniform seien unerwünscht, hieß es. Die Bundeswehr wehrte sich.

Unter dem Slogan „Zu bunt gehört auch grün!“ zogen Soldaten vor das Messegelände und protestierten. Eine ungewöhnliche Gemengelage: Ein Verfassungsorgan demonstriert mit einer Guerilla-Aktion gegen eine aus öffentlichen Geldern finanzierte Messe. Die Szene sagt viel aus über die Bundeswehr, ihr Selbstverständnis und ihre Rolle in Deutschland.

Mit modernem, teils aggressivem Marketing wirbt die Truppe um Nachwuchs, bespielt die sozialen Medien, heimst Preise ein für Kampagnen. Dabei spricht sie auch ihre Gegner direkt an. „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst“, lautet einer der Plakatslogans, mit der die Truppe um Nachwuchs wirbt. Es wirkt trotzig. Die Bundeswehr als ausgegrenzter Outlaw, wo sie doch eigentlich in der Mitte der Gesellschaft stehen sollte?

Im März zogen Soldaten des Marinekommandos Rostock durch die Straßen Potsdams. Sie trainierten für einen Marsch in Holland. Besorgte Passanten alarmierten daraufhin die Polizei. Tarnkleidung und Deutschlandfahne hatten sie verunsichert.

Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber zeigte sich im Anschluss verwundert über den Polizeieinsatz. Soldaten gehörten zwar nicht mehr selbstverständlich zum Stadtbild, betonte er, aber es sei doch ein Grund zur Freude, einen Soldaten in der Öffentlichkeit zu treffen. „Es ist übrigens eine gute Gelegenheit, ihnen für Ihren Dienst für unser Land zu danken“, schrieb der CDU-Politiker auf Facebook. „Probiert es mal aus. Die freuen sich darüber.“

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