
Die von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel eingesetzte Expertenkommission zur „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ will den Wettbewerb auf den Telekommunikationsmärkten und die Netzneutralität im Internet massiv einschränken, damit Konzerne wie die Deutsche Telekom stärker als bisher in den Ausbau von superschnellen Glasfasernetzen investieren. Das ist einer der zentralen Vorschläge in dem Abschlussbericht, den der Vorsitzende der Expertenkommission – DIW-Präsident Marcel Fratzscher – morgen Wirtschaftsminister Gabriel überreichen wird. Ein „vertraulicher“ Entwurf des Abschlussberichtes liegt der WirtschaftsWoche vorab vor.
Die Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass die bisher eingeleiteten Fördermaßnahmen nicht ausreichen, um den Rückstand beim Bau von Glasfasernetzen bis in die Haushalte aufzuholen. Weniger Wettbewerb und eine Einschränkung der Netzneutralität seien erforderlich, damit mehr Anreize für Investitionen entstehen. Die Fratzscher-Kommission stellt damit die bisherige Wettbewerbsordnung auf den Telekommunikations- und Internetmärkten grundsätzlich in Frage.
Anbieter sollen gleichermaßen profitieren
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Die Bundesregierung hat die Aufholjagd beim Ausbau superschneller Glasfasernetze zu einem ihrer politischen Schwerpunkte gemacht. Vergleichsweise schnell hatten sich Politik und Wirtschaft auf eine gemeinsame Linie verständigt: Ob in den Arbeitsgruppen im Vorfeld des IT-Gipfels im Hamburg, beim Ausformulieren der von der Bundesregierung ausgearbeiteten „Digitalen Agenda“ oder den Vorschlägen der Netzallianz von Bundesinfrastrukturminister Alexander Dobrindt – im Grundsatz hatten sich Wirtschaft und Politik auf einen von allen von allen getragenen Kompromiss verständigt.
All die Förderprojekte und Subventionen für einen beschleunigten Ausbau der Breitbandnetze sollten so verteilt werden, dass die Deutsche Telekom und ihre Konkurrenten gleichermaßen davon profitieren. Bei der Realisierung des ehrgeizige Ziels, bis 2018 allen Einwohnern in Deutschland einen schnellen Internetanschluss mit einer garantierten Bandbreite von 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung zu stellen, sollten alle Netzbetreiber an einem Strang ziehen. Alle schienen sich einig: Das bisherige Regulierungsregime sollte allen Forderungen der Deutschen Telekom zum Trotz beibehalten werden.
Jetzt stellt die von Gabriel eingesetzte Expertenkommission diesen mühsam ausgehandelten Kompromiss in Frage und unterbreitet Vorschläge, die ganz im Sinne der Deutschen Telekom sind.
Warum der Ausbau des Internets für die Deutsche Telekom so teuer ist
Deutsche Telekom: Kupferkabel im Ortsnetz
Kabel Deutschland/ Unitymedia: Koaxialkabel im Ortsnetz
Deutsche Telekom: 40 Millionen
Kabel Deutschland/ Unitymedia: 24,6 Millionen
Deutsche Telekom: Telefonie, Internet, Fernsehen
Kabel Deutschland/ Unitymedia: Telefonie, Internet, Fernsehen
Deutsche Telekom: VDSL
Kabel Deutschland/ Unitymedia: Docsis 3.0
Deutsche Telekom: Beschleunigung auf 50 Megabit pro Sekunde in 51 Städten mit 12 Millionen Haushalten; Investition: 2–3 Mrd. Euro
Kabel Deutschland/ Unitymedia: Internetfähigkeit im gesamten Kabel-TV-Netz herstellen; Geschwindigkeit: 150 Megabit/Sekunde; Investition: 5,5–6 Mrd. Euro
Deutsche Telekom: Beschleunigung auf 100 Megabit pro Sekunde für 24 Millionen Haushalte bis zum Jahr 2016; Investition: 6 Mrd. Euro
Kabel Deutschland/ Unitymedia: Mit marginaler Investition Beschleunigung auf 200 bis 300 Megabit pro Sekunde jederzeit möglich; Investition: <1 Mrd. Euro
Deutsche Telekom: Einstieg ins Gigabit-Zeitalter durch den kompletten Austausch von Kupfer durch Glasfaser in allen Ortsnetzen; Investition: bis zu 80 Milliarden Euro
Kabel Deutschland/ Unitymedia: Einstieg ins Gigabit-Zeitalter, aber nur marginale Investition erforderlich, da die vorhandenen Koaxialkabel auf den letzten Metern im Ortsnetz weiter genutzt werden
Deutsche Telekom: bis zu 80 Mrd. Euro
Kabel Deutschland/ Unitymedia: bis zu 1 Mrd. Euro
Deutsche Telekom: pro Anschluss 5-10 Euro/ Monat
Kabel Deutschland/ Unitymedia: pro Anschluss 0-5 Euro/ Monat
Wettbewerb außer Kraft
Insbesondere drei Vorschläge setzen den Infrastrukturwettbewerb zumindest zeitweise außer Kraft:
1. Die Einführung von „Regulierungsferien“, wie es wörtlich im Abschlussbericht heißt: „Eine einfache Möglichkeit, Investitionsanreize zu stärken, besteht in der zeitlich befristeten Aussetzung von Regulierung.“ Das heißt: Neue Glasfaseranschlüsse werden vorübergehend von der Zugangsregulierung befreit, damit die Betreiber höhere Preise nehmen können und die Investitionsanreize dadurch steigen.
2. Die Vergabe von staatlich subventionierten Konzessionen, die in Form von Ausschreibungen für bislang unterversorgte Regionen organisiert werden soll. Als Vorbild empfiehlt die Expertenkommission das bayrische Breitband-Förderprogramm, von dem bislang insbesondere die Deutsche Telekom profitiert.
3. Die teilweise Einschränkung der Netzneutralität: „Durch die Aufhebung der Netzneutralität könnten die Netzbetreiber ihre Möglichkeiten zur Preis- und Produktdifferenzierung voll ausschöpfen, was die Anreize für Investitionen steigert“, schreibt die Expertenkommission in ihrem Abschlussbericht. Allerdings sollten Mindeststandards die Spielräume der Netzbetreiber begrenzen.
Professor Fratzscher verteidigt den Vorstoß der Expertenkommission. „Wir haben in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eine große Lücke beim Ausbau von Glasfaserinfrastrukturen“, sagte der DIW-Präsident im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. „Dieses Problem muss ganz schnell behoben werden.“ Die bisher von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen reichten dafür nicht aus. Der von Gabriel eingesetzten Expertenkommission gehören namhafte aus Vertreter aus der Wirtschaft, der Wissenschaft sowie den Gewerkschaften an.
Ergänzung vom 21. April 2015: Die Forderung der Deutschen Telekom nach Regulierungsferien wurde aus dem Abschlussbericht für Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in letzter Minute doch noch gestrichen.