Burn-Out Patienten warten immer noch viel zu lange auf ihre Psychotherapie

Trotz der vor einem Jahr eingeführten Akutsprechstunde beim Psychotherapeuten haben sich die Wartezeiten nicht verkürzt.

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Trotz steigender Zahl psychischer Erkrankungen erhalten zu wenige Therapeuten eine Kassenzulassung. Quelle: dpa

Berlin Das Thema ist hochrelevant, längst auch unter deutschen Managern: Dreißig Prozent aller Erwachsenen sind in Deutschland während eines Jahres betroffen von einer oder sogar mehreren psychischen Erkrankungen, gestresste Führungskräfte inklusive.

Während das Thema lange tabuisiert wurde und die Betroffenen sich aus Angst vor Stigmatisierung, Nachteilen am Arbeitsplatz oder Imageschaden bei Kollegen und Mitarbeitern gar keine ärztliche Hilfe holten, sind heute immer mehr Betroffene bereit, sich nicht nur mit Vitamintabletten, gutem Zureden vom Hausarzt „Das wird schon wieder“ oder mit Sport über die Runden zu retten. Auch gestresste Manager suchen zunehmend professionelle Hilfe.

Dabei ziehen Spitzenmanager die Luxusklinik dem Therapeuten vor Ort vor. Doch manchem Geschäftsführer oder Abteilungsleiter eines mittelständischen Unternehmens ergeht es wie Otto-Normal-Verbraucher: Er findet keinen Therapieplatz – und wenn dann nur mit sehr langen Wartezeiten.

Die vor einem Jahr in Kraft getretene reformierte Psychotherapie-Richtlinie sollte das eigentlich ändern. Seither können sich Erkrankte kurzfristig in einer so genannten psychotherapeutischen Sprechstunde beraten lassen.
„Die Sprechstunde war ein durchschlagender Erfolg“, resümierte jetzt der Präsident der Bundes-Psychotherapeuten-Kammer Dietrich Munz die Erfahrungen.

„Durch die neue Sprechstunde sind die psychotherapeutischen Praxen zu einer zentralen Koordinierungsstelle für psychisch Kranke geworden.“ Die Wartezeit auf ein erstes Gespräch bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten konnte drastisch von 12,5 auf 5,7 Wochen im Durchschnitt verkürzt werden. In Berlin klappt es sogar binnen etwas mehr als drei Wochen. Schlusslichter sind Brandenburg und Thüringen mit Wartezeiten von sieben bis acht Wochen.

Doch mit einer ersten noch so freundlichen Kontaktaufnahme ist es ja nicht getan. Vor allem die Krankenkassen hatten sich von der neuen Akutsprechstunde versprochen, dass auch die Wartezeit bis zur eigentlichen Behandlung deutlich sinken würden. So war die Erwartung, dass in der Sprechstunde die weniger ernst Erkrankten von den dringend Behandlungsbedürftigen getrennt werden könnten.

Doch die Wartezeiten sind weiter mit 20 Wochen auf einem „unvertretbar hohen Niveau“, wie Kammerpräsident Munz findet. Vor der Einführung der Akutsprechstunde lag sie bei 20 Wochen. Besonders schlimm ist es nach wie vor im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen und dem Saarland sowie den eher ländlich strukturierten Bundesländern Niedersachsen, Thüringen und Brandenburg mit Wartezeiten von knapp 23 oder über 23 Wochen.

Munz weiß auch warum: Weil im Ruhrgebiet die Bedarfsplanung der Praxissitze für Psychotherapeuten besonders rigide gehandhabt wird, obwohl in der Region mit ihren zahlreichen sozialen Brennpunkten der Therapiebedarf besonders hoch ist. Und weil der Therapiebedarf für ländliche Regionen chronisch unterschätzt werde.

Als Illusion habe sich auch die Einschätzung erwiesen, dass die Therapeuten in den Großstädten die benachbarten ländlichen Regionen gleich mitversorgen könnten. Dies habe die aktuelle Studie zu den Wartezeiten des Instituts für Medizinische Psychologie der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf (UKE) eindeutig ergeben, so Munz.

„Wer wie der neue Gesundheitsminister Jens Spahn den Erfolg seiner Amtszeit an den Wartezeiten messen will, kann in der Psychotherapie gleich loslegen“, kommentierte die Gesundheitsexpertin der Grünen, Maria Klein-Schmeinck, die Ergebnisse. Die Gesundheitsexpertin sieht den Minister in der Pflicht, vor allem dem gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) Beine zu machen.

Der GBA ist so etwas wie das höchste Organ der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Er besteht aus Vertretern der Kliniken, der Kassenärzteschaft, der gesetzlichen Krankenkassen und der Patientenorganisationen, hat allerdings nur eine beratende Stimme.

Dieser GBA hatte bereits vor längerer Zeit den Auftrag erhalten, die Bedarfsplanung für Psychotherapeuten an den gestiegenen Bedarf anzupassen. Eigentlich habe diese Reform bereits zum 1. Januar 2017 stehen sollen. „Der GBA ist Eineinviertel-Jahr im Verzug“ kritisiert der oberste Vertreter der verkammerten Psychotherapeuten. Stattdessen verschanze er sich hinter einem Gutachten-Auftrag.

Der GBA sieht sich zu Unrecht am Pranger. Man habe den gesetzlichen Auftrag nur ernst genommen, alle verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen. Nach einem europaweiten Vergabeverfahren habe schließlich die Ludwig-Maximilians-Universität den Auftrag erhalten, das Gutachten zu erstellen.

Es soll nun, so eine Sprecherin, bis Juni fertig sein. „Der jetzige Zeitplan sieht vor, dass die erforderlichen Anpassungen der Bedarfsplanung 2019 in Kraft treten können.“ Zudem weist die Sprecherin darauf hin, dass die zuständigen Entscheidungsgremien in den Ländern bereits seit 2013 große Spielräume hätten, von den Planvorgaben des GBA abzuweichen, wenn Bedarf ist.

Dass diese Spielräume bisher auch auf Drängen der kostenbewussten Krankenkassen kaum genutzt wurden, will sich der GBA nicht in die Schuhe schieben lassen.

Bis die Ergebnisse der Studie vorliegen will die Bundes-Psychotherapeutenkammer nicht warten. Sie hat ermitteln lassen, dass zwei Maßnahmen reichen würden, das Wartezeitenproblem zu lösen: Man brauche erstens bundesweit 7000 Praxissitze mehr.

Finanziert werden könnten diese über eine vergleichsweise maßvolle Erhöhung der Gesamtvergütung um 500 Millionen Euro, die die Krankenkassen den kassenärztlichen Vereinigungen jährlich überweisen. Außerdem müsste man sich endlich dazu entschließen, diese Praxissitze gleichmäßig übers Land zu verteilen.

Wäre das bereits heute so, gäbe es bundesweit pro 3300 Einwohner einen Therapeuten. Tatsächlich sind die Sitze vor allem zwischen Stadt und Land höchst ungleich verteilt.

Als Notmaßnahme fordert Munz, den Patienten auch das Recht zu geben, einen entsprechend qualifizierten privatärztlich tätigen Therapeuten aufzusuchen. Tatsächlich haben die Krankenkassen das in den vergangenen Jahren öfter getan. Seit der Reform handhaben sie die Möglichkeit, den Betroffenen die Privattherapie zu erstatten aber deutlich restriktiver. „Die Ablehnungsquote ist auf 50 Prozent gestiegen.“

Die grüne Gesundheitsexpertin Klein-Schmeinck findet das skandalös. „Die langen Wartezeiten sind nämlich nicht eine Folge eines Mangels an Psychotherapeuten, sondern einer falschen Bedarfs-Planung“. Denn allein diese führe dazu, dass vielen Therapeuten die Kassenzulassung verweigert werde. „Das Problem ist also hausgemacht.“ Also müssten die Kassen die Kosten einer Privatbehandlung erstatten.

So steht es sogar im Gesetz. Allerdings müssen die Versicherten belegen, dass ein Therapeut mit Kassenzulassung nicht verfügbar ist. Und das ist im Zweifel nicht so einfach. Zumal die Erkrankten in der Regel nicht in der Verfassung sind, sich auf einen Rechtsstreit mit ihrer Kasse einzulassen.

Zudem seien die Wartezeiten für die Betroffenen alles andere als eine Lappalie. Wer auf eine Hüft-OP ein paar Monate warten muss, hätte eben länger Schmerzen beim Laufen. Bei psychisch Erkrankten liegen die Dinge schwieriger, weiß der studierte Psychologe und Psychotherapeut Dietrich Munz.

„In dieser Wartezeit können sie psychische Erkrankungen verschlimmern oder chronifizieren. „Wir wissen, dass 30 Prozent der Menschen mit einer Angststörung nach zwei Monaten Wartezeit einfach aufgeben. Sie suchen keine Hilfe mehr. Was danach aus ihnen wird, wissen wir leider nicht.“ Einige dürften wohl am Ende in einer Anstalt landen.

Wer mit einer Depression nicht rechtzeitig behandelt wird, bei dem steigt aber auch das Risiko, dass er später immer wieder an Depression erkrankt. „Auch bei Zwangsstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Essstörungen droht Chronifizierung.“

Manche Unternehmen greifen zumindest beim Thema Burn Out inzwischen zur Selbsthilfe. Schwerpunktmäßig geht es dabei darum, durch ein geeignetes Arbeitsumfeld und einen empathischen Umgang von Vorgesetzen mit Mitarbeitern psychische Belastungsstörungen zu vermeiden. Ein lohnendes Unterfangen.

75 Arbeitsunfähigkeitstage je 1000 Krankenkassenmitglieder gehen in Deutschland im Jahr auf das Konto psychischer Störungen, so die Statistik der Betriebskrankenkassen. Und die Krankenkassen geben inzwischen im Jahr rund 2,9 Milliarden Euro für Krankengeld an psychisch Erkrankte aus, die nicht mehr arbeiten können. Für die Therapie werden dagegen pro Jahr nur rund zwei Milliarden Euro aufgewendet.

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