Carsten Linnemann ist zu Gast im Wirtschaftsclub von Handelsblatt und WirtschaftsWoche. Der Wirtschaftspolitiker zeigt dabei klare Kante.
Die Konjunktur brummt. Trotzdem glauben immer mehr Deutsche dem SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, dass es bergab geht. Woran liegt das?
Laut einer aktuellen Allensbach-Umfrage sagen viele Menschen, dass es ihnen gut geht. Aber gleichzeitig haben sie Sorge, dass der Fahrstuhl, mit dem sie hochgefahren sind, abzusacken droht. 60 Prozent der Deutschen sehen nicht mehr optimistisch in die Zukunft. Diese Menschen will Schulz jetzt abholen.
Also ist das ein subjektiver Eindruck? Kommt Schulz so ins Kanzleramt?
Martin Schulz will die verängstigten Menschen mit dem Thema soziale Gerechtigkeit abholen, doch ich glaube es wird viel mehr um die Themen Sicherheit und Flüchtlinge gehen. Die Menschen haben nicht nur eine erhöhte Angst davor, dass die staatliche Ordnung ins Wanken gerät und sie selbst Opfer von Kriminalität und Terror werden könnten, sondern auch davor, ihre kulturelle Identität zu verlieren. Bei diesen Themen kann und muss die Union ihre Kompetenz unter Beweis stellen.
Also gibt es diese Menschen nicht, die von dem Boom nicht profitieren?
Die meisten Menschen haben am sozialen Aufstieg teilgenommen. Aber dass es Fälle gibt, die sich beispielsweise aufgrund der Globalisierung als Verlierer sehen oder durch einen Strukturwandel unter Druck gesetzt werden, ist auch klar. Denken Sie nur an die zunehmende Digitalisierung und die Sorge vor einem Arbeitsplatzverlust.
Finanzminister Schäuble hat Schulz mit Donald Trump verglichen. Wird er nun auch Regierungschef?
Schulz wird es nicht schaffen, aber er spricht Dinge an, die nach Konfrontation schreien. Wie zum Beispiel seine Aussage, dass die Löhne deutlich erhöht werden müssen. Da werden wir inhaltlich gegenzuhalten haben. Löhne werden in Deutschland nicht von Politikern verhandelt, sondern von Tarifpartnern. Schulz mag ein guter Redner sein, aber inhaltlich wird er zu stellen sein.
Schulz sagt, in Deutschland herrscht Ungerechtigkeit. Gerade nach der Boni-Debatte um VW trifft er damit ja auch einen wichtigen Punkt. Muss sich die Union da nicht ankreiden lassen, wichtige rote Linien nicht gezogen zu haben?
Da muss man zwei Dinge differenzieren. Ich glaube, die Menschen haben ein gutes Gespür für das Thema Verteilungsgerechtigkeit. Mit Familienunternehmern, die sich im ländlichen Raum etwas aufbauen und sich beispielsweise für den Sportverein einsetzen, haben die Leute kein Problem. Bei großen Boni für mangelhafte oder sogar ungenügende Leistungen sieht das anders aus. Damit sind wir beim Thema Unternehmerhaftung, das bei börsennotierten Unternehmen nicht so funktioniert wie es sollte.
"Man muss durchgreifen"
Die SPD will nun auch mit Entlastungen um die Wähler kämpfen. Haben Sie Angst, dass im Wahlkampf nun die Sozialdemokraten als die Steuersenkungspartei wahrgenommen wird und nicht die Union?
Herr Schulz hatte anfänglich noch behauptet, dass er Steuersenkungen für nicht notwendig halte, sondern mehr staatlich investieren wolle. Davon scheint er nun abgerückt zu sein. Man fragt sich aber, erstens, wer genau entlastet werden soll, und zweitens, wer belastet werden soll. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Union ist die einzige, die sagt, dass der Staat endlich lernen muss, mit seinen Einnahmen auskommen, anstatt immer wieder neue Einnahmequellen zu erschließen. Erst recht in Zeiten, in denen der Staat jährlich weit mehr als 20 Milliarden Euro an Zinsen spart.
Die SPD und die K-Frage – ein Hang zur Sturzgeburt
... der SPD-Kanzlerkandidaten hat schon oft für besondere Geschichten gesorgt. Vier Beispiele.
1998 - GERHARD SCHRÖDER: Damals konkurrieren Schröder und Parteichef Oskar Lafontaine um die Spitzenkandidatur. Entschieden wird das Rennen am 1. März bei der Landtagswahl in Niedersachsen. Der kraftstrotzende Ministerpräsident Schröder hat angekündigt, in der K-Frage zurückzuziehen, wenn er mehr als zwei Prozentpunkte verliert. Schröder aber rockt die Wahl, holt für die SPD mit 47,9 Prozent ein Plus von 3,6 Prozentpunkten. Irgendwann klingelt in Hannover ein Telefon. Schröder geht ran, es ist Lafontaine: „Na, Kandidat“, soll der Saarländer zur Begrüßung gesagt haben. Lafontaine macht den Weg für Schröder frei, bildet mit ihm im Wahlkampf eine Doppelspitze.
Schröder schlägt Kohl und wird Kanzler. Doch die Freundschaft mit Oskar zerbricht. Im März 1999 schmeißt der gekränkte Finanzminister Lafontaine hin, wird später Chef der neuen Linkspartei. „Und so resultierte aus dem Dualismus der sozialdemokratischen Doppelspitze des Jahres 1998 die Spaltung der Linken sieben Jahre später“, schreibt der Göttinger Parteienforscher und SPD-Kenner Franz Walter für den „Spiegel“.
2009 - FRANK-WALTER STEINMEIER: Am 6. September 2008, einem Samstag ein Jahr vor der Wahl, sickert durch, dass Außenminister Steinmeier bei der K-Frage zugreift. Erst heißt es noch, das sei im besten Einvernehmen mit Parteichef Kurt Beck erfolgt. Doch am Tag darauf kommt es bei der Klausur der Spitzengenossen zum Putsch vom Schwielowsee. Der glücklose Pfälzer Beck schmeißt entnervt hin, spricht von Intrigen. Franz Müntefering kehrt an die Parteispitze zurück. Dem in Umfragen populären Steinmeier geht auf der Strecke die Luft aus. Gegen Angela Merkel hat er am Ende keine Chance, die SPD stürzt mit 23 Prozent auf ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis ab.
2013 - PEER STEINBRÜCK: Auch dieses Mal kommt es anders, als es sich die Parteispitze vorgenommen hat. Drei Kandidaten stehen zur Auswahl: Ex-Finanzminister Steinbrück, Parteichef Sigmar Gabriel und Steinmeier. Ende September 2012 macht Steinmeier, der sich eine erneute Kandidatur nicht antun will, beim Abendessen mit ein paar Journalisten seinen Verzicht deutlich. Das Drehbuch, die Verkündung möglichst bis zu Beginn des Wahljahres hinauszuzögern, ist im Eimer. Gabriel, der schon damals selbst nicht will, fliegt überstürzt aus München nach Berlin zurück, um Steinbrück in der Parteizentrale zu präsentieren. Die Kür ist verpatzt, es wird ein Pleiten-Pech-und-Pannen-Wahlkampf. Steinbrück und die SPD landen bei 25,7 Prozent. Gabriel führt die SPD per Mitgliederentscheid in die große Koalition.
2017 - MARTIN SCHULZ: Monatelang zaudert Gabriel, ob er selbst Angela Merkel herausfordern soll. Sein mieses Image in den Umfragen wirkt wie einbetoniert. Viele in der Partei stöhnen, mit dem unbeliebten Goslarer werde die SPD nichts reißen. Andere Spitzengenossen wollen Gabriel vor die Wand fahren lassen, um die Partei dann neu zu ordnen. Gabriel, der bereits länger an Rückzug denkt, will allein entscheiden. Er verdonnert die Führung zum Schweigen. Am 29. Januar soll das Rätsel um die K-Frage aufgeklärt werden. Der Zeitplan hält lange, die SPD zeigt sich diszipliniert.
Es kommt der 21. Januar. In Montabaur treffen sich Gabriel und Martin Schulz. Umfrage-Liebling Schulz denkt, er wird „nur“ Außenminister. Gabriel, der zum Wohl der SPD zurückziehen will, bietet ihm Parteivorsitz und Kandidatur an. Der Ex-EU-Politiker greift zu. Gabriel weiht den mit ihm befreundeten „Stern“-Chefredakteur Christian Krug ein. Weite Teile der SPD wissen von dem spektakulären Deal noch nichts. Gabriel will die Gremien am 24. Januar informieren. Daraus wird nichts - wieder gibt es eine Sturzgeburt. Eine halbe Stunde vor einer Fraktionssitzung wird im Internet das Titelbild des neuen „Sterns“ publik: „Der Rücktritt“.
Auch die Griechenland-Krise rückt wieder in den Fokus. IWF und EU streiten sich. Kann dieses Thema auch der Union gefährlich werden?
Herr Schäuble hat in der Vergangenheit schon harte Töne angeschlagen, die ihm von den anderen Parteien immer wieder negativ ausgelegt wurden. Ich bin überzeugt, dass die Union auch weiterhin klarstellen wird, dass das Programm nicht weiterlaufen kann, wenn nicht der IWF auch an Bord bleibt. Spannender wird es ja, wie Herr Schulz sich bei diesem Thema positioniert. Als Präsident des Europäischen Parlaments hatte er für eine europäische Einlagensicherung und für Euro-Bonds und damit für die Vergemeinschaftung der Schulden in Europa plädiert.
Bei der Diskussion um Griechenland sind doch am Ende immer alle eingeknickt. Gerade im Superwahljahr will das Thema niemand auf der Agenda sehen – und dann wird doch wieder gezahlt.
Die Eurozone wird ohne Fiskalunion nicht überleben können. Selbst die lateinische Münzunion hat so nicht funktioniert. Man muss durchgreifen. Wenn die Länder sich an die Regeln halten, gibt es Geld. Wenn sie es nicht tun, gibt es trotzdem Geld. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Deswegen unterstütze ich den Sachverständigenrat, der eine Insolvenzordnung für Staaten fordert, an deren Ende die Sanierung oder der Austritt steht.
Das Gespräch führten Gregor Peter Schmitz und Thomas Sigmund.