Es ist nicht ungewöhnlich, dass die CDU parteinahe Betriebsräte aus ganz Deutschland zu einer Konferenz nach Berlin einlädt. Aber es fällt selbst im hektischen Politikbetrieb der Hauptstadt schon auf, wenn neben der gesamten christdemokratischen Parteispitze auch die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi ins Konrad-Adenauer-Haus kommt. Unter dem Motto „Arbeitsplätze erhalten, Wohlstand sichern“ diskutierte die frühere SPD-Generalsekretärin mit CDU-Vize Carsten Linnemann, dem stellvertretenden CDA-Vorsitzenden Dennis Radtke und den angereisten Betriebsräten über Themen, die bei der Union zuletzt etwas zu kurz gekommen sind: die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, das Arbeitszeitgesetz und die sinkende Tarifbindung in deutschen Unternehmen.
DGB-Chefin Fahimi bei der CDU
Man ging auffallend freundlich und verständnisvoll miteinander um – nur beim Thema obligatorischer Betriebsrat gingen die Meinungen auseinander. CDU-Chef Friedrich Merz will keinen Zwang zur Bildung einer Arbeitnehmervertretung in Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern, aber Fahimi und auch einige CDU-Betriebsräte sehen das anders.
Doch letztlich überwog der Konsens – die CDU will auf die Arbeitnehmer und ihren Sozialflügel zugehen. Sowohl beim DGB als auch in der Union wird es mit Sorge gesehen, dass mittlerweile nur noch 46 Prozent der Beschäftigten der privaten Wirtschaft in einem Unternehmen mit Tarifbindung arbeiten.
Fahimi nannte Tarifbindung und Mitbestimmung „eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft“, CDU-Generalsekretär Mario Czaja versicherte, dass „Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft in unserer Partei fest verankert sind und zur DNA der CDU gehören“. Die Unternehmer sollten verstehen, dass ein Betriebsrat „keine Gefahr“ darstelle, betonte Czaja. Im Gegenteil biete eine Arbeitnehmervertretung den Unternehmern „klare Vorteile, klare Verabredungen, weniger Streiks, ein besseres Miteinander“. Wer den Industriestandort Deutschland erhalten wolle, so Czaja, der müsse auch ein Bekenntnis zur Mitbestimmung abgeben.
Merz: Starke Betriebsräte helfen den Unternehmen
Nun ist der Generalsekretär als CDA-Mitglied und langjähriger Sozialpolitiker immer nah an der Arbeitnehmerschaft, aber auch Merz nahm die Gelegenheit wahr, dem linken Flügel der Union mit großen Schritten entgegenzugehen. „Wir brauchen die soziale Partnerschaft in den Unternehmen“, betonte er. In seinen Jahren in der Wirtschaft habe er die Erfahrung gemacht, „überall dort, wo die Betriebsräte stark sind, helfen sie den Unternehmen“, so Merz. Wenn die Betriebsräte aber schwach aufgestellt seien, gebe es oft mehr Probleme und Streit – auch weil oft verschiedene Gruppen der Arbeitnehmer dann gegeneinander arbeiten würden. Für ihn sei aber klar, „die betriebliche Mitbestimmung hat sich bewährt, auch und gerade in den Jahren der Krise“. Ohne verantwortungsbewusste Betriebsräte wäre es in der Coronapandemie nicht so gut gelaufen, etwa bei der Umstellung auf Homeoffice.
Allerdings ließ Merz sich auch noch Hintertürchen offen. So fragte ein Betriebsrat der CDA, ob die von Merz geführte Unionsfraktion im Bundestag dem DGB-Entwurf zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes zustimmen würde – das Papier sei schließlich vollständig mit der christdemokratischen Arbeitnehmerschaft abgestimmt. Merz wand sich erkennbar um eine klare Aussage herum. Er werde sich den Entwurf in Ruhe anschauen und dann entscheiden. Axel Knoerig, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und CDA-Vize, zeigte sich dennoch zufrieden. Der Auftritt von Merz sei ein klarer Schritt in Richtung Sozialflügel.
Die Charmeoffensive folgt der Erkenntnis des CDU-Chefs, dass „die soziale Frage der Sicherheit“ gerade in Krisenzeiten ein entscheidendes Thema ist – und gleichzeitig einen Bereich darstellt, bei dem im Programm der Union noch Lücken klaffen. Das soll sich auch bei der Formulierung des neuen Grundsatzprogramms der CDU niederschlagen, über das unter Vorsitz von Carsten Linnemann in diesem und im kommenden Jahr diskutiert wird.
Merz weiß, dass er als Vorsitzender der Gesamtpartei nicht nur die Konservativen und den Wirtschaftsflügel bedienen kann, sondern dass er auf die Arbeitnehmerseite angewiesen ist. In den Umfragen der letzten Monate liegt die Union zwar konstant über den Werten von Grünen und SPD. Doch kaum eine Umfrage sieht die Partei von Merz über 30 Prozent. Wenn diese Marke aber nicht deutlich übersprungen werden kann, sind alle Pläne der Union zur Rückkehr ins Kanzleramt Makulatur.
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