CDU-Politiker fordert Bußgelder Arbeitgeber sollen für Jobstress zahlen

Dauerkontakt mit dem Arbeitgeber übers Handy kann Arbeitnehmer krank machen. Der CDU-Sozialflügel fordert harte Gegenmaßnahmen, doch die Bundesregierung ist uneins darüber, ob Handlungsbedarf besteht.

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Nach Einbruch der Dunkelheit sitzt ein Angestellter in seinem Büro am Schreibtisch: Der Ruf nach einem Anti-Stress-Gesetz wird lauter. Quelle: dpa

Berlin Innerhalb der Bundesregierung bahnt sich ein Streit über eine mögliche Anti-Stress-Verordnung gegen psychische Überlastung von Arbeitnehmern an. Während Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) derzeit konkrete Punkte für eine entsprechende Regelung erarbeiten lässt und im kommenden Jahr erste Ergebnisse vorlegen will, stellt sich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel quer.

„Zunächst sollten die Tarifpartner darüber reden“, hatte Gabriel der „Welt am Sonntag“ gesagt. „Dort ist die Nähe zum Arbeitsalltag in den jeweiligen Branchen am größten.“ Damit stellte sich der SPD-Chef gegen Forderungen aus der eigenen Partei. So hatten die stellvertretende Bundestags-Fraktionsvorsitzende Carola Reimann und Nordrhein-Westfalens SPD-Arbeitsminister Guntram Schneider sich für ein Gesetz stark gemacht, das die Verfügbarkeit von Arbeitnehmern grundsätzlich regeln soll.

Nahles ist dafür grundsätzlich offen. Sie habe dafür gesorgt, dass die Prüfung einer Anti-Stress-Verordnung in den Koalitionsvertrag hineinkomme, sagte die Ministerin der „Rheinischen Post“. „Es gibt unbestritten einen Zusammenhang zwischen Dauererreichbarkeit und der Zunahme von psychischen Erkrankungen.“ Auch die Arbeitgeber hätten dies anerkannt, es gebe auch wissenschaftliche Erkenntnisse.

Der Bundesvize der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, hält eine Anti-Stress-Verordnung für überfällig, die auch Sanktionen gegen Arbeitgeber ermöglicht. Tarifvertragliche Regelungen, wie sie von Gabriel vorgeschlagen wurden, seien nicht ausreichend, sagte Bäumler Handelsblatt Online.

Der CDU-Politiker wies darauf hin, dass der Gesetzgeber den Schutz von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz 2013 in das Arbeitsschutzgesetz aufgenommen habe. Es fehle aber eine Ausführungsverordnung, wie dies beim Schutz vor Lärm und Vibrationen beim Arbeiten der Fall sei. „Ohne Rechtsverordnung sind Sanktionen wie Bußgelder gegen Arbeitgeber, die die Gefährdung von Arbeitnehmern durch Dauerbelastungen in Kauf nehmen, nicht möglich“, sagte Bäumler.


Versicherung registriert Anstieg psychischer Erkrankungen

Der CDU-Politiker regte eine  Anti-Stress-Verordnung nach dem Vorschlag der IG Metall an. Die Gewerkschaft hatte unter anderem dafür plädiert, den Dauereinsatz moderner Kommunikationsmittel nach Feierabend und am Wochenende, darunter dienstliche Kurznachrichten und E-Mails, zu ächten.

Bäumler hält ein Verbot vor allem auch im Hinblick auf die steigende Zahl der Krankschreibungen und Frühverrentungen aufgrund von psychischen Erkrankungen für unumgänglich. „Bisher werden die Kosten für psychische Erkrankungen von der Arbeitswelt in die Kranken- und Rentenversicherung verlagert“, kritisierte der CDA-Bundesvize.

Der neue IG-Metall-Chef Detlef Wetzel hatte sich jüngst für eine Vorschrift stark gemacht, die verhindern solle, dass Arbeitnehmer rund um die Uhr erreichbar sind. Die Koalition müsse hier „strenge Regeln gegen Stress im Job und zu Hause vereinbaren“, sagte er. Es sei unzumutbar, dass immer mehr Beschäftigte nach Feierabend und an Wochenenden E-Mails oder SMS von Vorgesetzten bekommen.

Nahles wies auf die Probleme hin einer Anti-Stress-Verordnung rechtssicher umzusetzen. „Daher haben wir die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin beauftragt, fundiert aufzuarbeiten, ob und wie es möglich ist, Belastungsschwellen festzulegen.“ Allgemeingültige und rechtssichere Kriterien seien nötig, bevor den Betrieben etwas vorgeschrieben werde.

Psychische Erkrankungen, etwa Depressionen, sind Hauptursachen für die steigenden Zahlen bei der Erwerbsminderungsrente. Laut Deutscher Rentenversicherung Bund wechselten im vergangenen Jahr 66.441 Arbeitnehmer wegen psychischer Erkrankungen in die Erwerbsminderungsrente - 732 mehr als im Vorjahr und 19.351 mehr als 2005. Krankenkassen melden zudem immer wieder hohe Anteile an Krankheitstagen aus diesem Grund - etwa die AOK mit ihrem neuen Fehlzeiten-Report.

Zu den Risikofaktoren für solche Störungen zählt, dass Arbeitnehmer auch nach der Arbeitszeit oft per Smartphone oder Computer geschäftlich kommunizieren und dass oft hohe Arbeitsdichte und unregelmäßige Arbeitszeiten herrschen.


Arbeitgeber verweisen auf betriebliche Vereinbarungen

Laut einer bereits etwas zurückliegenden Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom ist es für 88 Prozent der Berufstätigen selbstverständlich, auch außerhalb der Arbeitszeit per Handy oder E-Mail ansprechbar zu sein. Knapp ein Drittel sei jederzeit für Kunden und Kollegen erreichbar. Bei etwa der Hälfte sei die Erreichbarkeit auf bestimmte Zeiten beschränkt, 15 Prozent reagierten nur in Ausnahmefällen auf Anfragen nach Feierabend.

Arbeitsmedizinern zufolge kann ständige Erreichbarkeit zu Stress und Überbelastung führen. Mögliche Symptome seien Schlafstörungen, aber auch körperliche Beschwerden wie Magen- oder Rückenschmerzen. In Extremfällen könne der berufliche Standby-Modus auch zu Burnout oder Depressionen führen. Auf der anderen Seite kann laut Experten auch krank machen, wenn Menschen sich ständig unterfordert fühlen.

Dem Arbeitgeberverband BDA zufolge haben die Unternehmen ihre Hausaufgaben bereits gemacht: „Die deutschen Arbeitgeber gehen verantwortungsvoll mit Arbeitszeit und Freizeit ihrer Mitarbeiter um. Kein Arbeitnehmer ist verpflichtet, ständig erreichbar zu sein“, teilte jüngst der BDA mit. Der Verband warnte vor strengen Gesetzen zur Erreichbarkeit nach Feierabend: „Engagement und Leistungsbereitschaft sollten nicht zwangsweise eingeschränkt werden.“

Auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall wies den IG-Metall-Vorstoß zurück. „Es gibt längst auf betrieblicher Ebene unzählige Vereinbarungen dazu, und nur dort können sie auch sinnvoll getroffen werden“, sagte kürzlich ein Sprecher der „Osnabrücker Zeitung“.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert bereits seit längerem Sanktionen für Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten nicht ausreichend vor Stress schützen. Wie die IG Metall will der DGB eine sogenannte Anti-Stress-Verordnung durchsetzen. Damit sollen Arbeitgeber dazu verpflichtet werden, bestimmte Arbeitsbereiche auf psychische Belastungen zu überprüfen.  

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