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Cem Özdemirs Aussage sorgt für Kritik Grünen-Chef stellt Doppelspitzen-Modell zur Debatte

Es war wohl eine Art Versuchsballon: Grünen-Chef Cem Özdemir denkt laut über das Prinzip der Doppelspitze nach. Die Reaktionen sind einhellig. Niemand will daran rütteln. Und Özdemir rudert zurück - zumindest ein bisschen.

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Simone Peter und Cem Özdemir. Quelle: dpa

Grünen-Parteichef Cem Özdemir hat eine Debatte über den Sinn von Doppelspitzen in der Grünen-Führung angestoßen und damit innerparteiliche Kritik ausgelöst. Özdemir sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (F.A.S.): „Die doppelte Doppelspitze der Grünen macht es nicht leichter, personelles Profil zu gewinnen und Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner zuzuspitzen.“ Bei den Grünen gibt es sowohl in der Parteiführung als auch in der Bundestagfraktion jeweils zwei Vorsitzende. In der Doppelspitze muss mindestens eine Frau vertreten sein. Auch bei den Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2017 soll es eine doppelte Besetzung geben.

Özdemirs Ko-Vorsitzende Simone Peter wies Kritik am Prinzip der Doppelspitzen zurück. Der „Welt“ sagte Peter: „Doppelspitzen und Frauenquote haben sich für die Grünen bewährt. Sie sind ein Grund, warum wir so viele starke Frauen in der Spitze haben und als Partei für Frauen besonders attraktiv sind.“ Auch Fraktionschef Anton Hofreiter erklärte: „Ich sehe da keinen Änderungsbedarf.“ Doppelspitzen hätten sich bei den Grünen bewährt. „Nicht zuletzt dieser Regel verdanken wir viele profilierte Personen und starke Frauen.“

"Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch"
Begleitet von rund 200 Sympathisanten zogen die Grünen vor 30 Jahren in den Bundestag ein. Unter ihnen waren die Abgeordneten Gert Bastian, Petra Kelly, Otto Schily und Marieluise Beck-Oberdorf (von links nach rechts). Der Bundestag war völlig unvorbereitet auf diese neue Art der Politik. Quelle: dpa
Zwei Tage nach dem 5,6-Prozent-Erfolg der Grünen bei der Wahl am 6. März 1983 kamen die 27 Abgeordneten erstmals zu einer Sitzung zusammen. Der Konferenzsaal des Abgeordnetenhauses am Bonner Tulpenfeld war viel zu eng. Auch Basisvertreter und Nachrücker waren dabei, nach zwei Jahren sollten die frisch gewählten Abgeordneten wieder aus dem Parlament hinausrotieren. Quelle: dpa
Trotz Ermahnungen der politisch Etablierten zu ordnungsgemäßer Kleidung dominierten Strickpullis und Zauselhaare. Nur eine weibliche Abgeordnete erschien mit Anzug und Krawatte. Einige brachten Strickzeug mit in den Bundestag, andere erschienen mit Blumentöpfen zur ersten Sitzung. Quelle: dpa
Auch Blumen gießen gehörte in den Anfangsjahren dazu – hier streng beobachtet von Otto Schily (rechts) und der amüsierten SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Maier. Über den fehlenden Platz für die Neuparlamentarier verhandelten die Grünen-Fraktionsvorständler Petra Kelly und Otto Schily sowie Fraktionsgeschäftsführer Joschka Fischer mit Bundestagspräsident Richard Stücklen. Die alteingesessenen Parteien zeigten sich skeptisch gegenüber den Neulingen. Helmut Kohl hielt die Grünen nur für eine zwischenzeitliche Episode. „Zwei Jahre gebe ich denen, dann gehen sie Mann für Mann zur SPD über“, sagte er. Quelle: dpa
Doch die Grünen blieben. Schon früh setzten die Grünen themenpolitische Akzente, mit der sie die ganze Republik umkrempelten. Sie sprachen sich nicht nur früh gegen Atomkraft und für den Umweltschutz aus, sondern forderten damals schon gleiche Rechte für Homosexuelle, eine multikulturelle Gesellschaft und die Abschaffung der Wehrpflicht ein – alles Themen, die bis heute auf der Agenda stehen. Waltraud Schoppe (Mitte) sorgte mit ihrer ersten Rede gar für Entsetzen. „ Wir fordern Sie alle auf, den alltäglichen Sexismus in diesem Parlament einzustellen.“ Ein Satz, der ob der Sexismus-Debatte auch 30 Jahre später noch aktuell ist. Quelle: dpa
Zu den ersten Abgeordneten zählten auch Petra Kelly (links, mit Blumen) und Marieluise Beck-Oberdorf (rechts). „Auch wenn wir uns antiautoritär gaben, so hatte doch dieser altehrwürdige Plenarsaal etwas Respekt einflößendes“, sagte Beck-Oberdorf in einem Interview mit tageschau.de. Trotzdem habe es das Gefühl gegeben, man sei keine „normale“ Partei. Quelle: dpa
Grünen-Gründungsmitglied Kelly, hier mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt, gehörte zu den Ikonen der grünen Anfangsjahre. Sie prägte zum Beispiel den Ausdruck der „Anti-Parteien-Partei“ und der „Instandbesetzung des Bundestages“. Sie setzte sich besonders für Frieden und Menschenrechte ein. Noch mehr Beachtung als ihr Tun fand ihr Tod. Ihr Lebensgefährte und Mitstreiter Gert Bastian erschoss sie 1992 im Schlaf – und tötete sich selbst ebenfalls. Quelle: dpa

Die baden-württembergischen Landesvorsitzenden Thekla Walker und Oliver Hildenbrand betonten: „Wir halten diese Debatte für ebenso unnötig wie unsinnig.“ Die nordrhein-westfälischen Vorsitzenden Mona Neubaur und Sven Lehmann erklärten: „Doppelspitzen teilen Macht und Verantwortung. Daran halten wir fest.“ Die neue Hamburger Landeschefin Anna Gallina sagte: „Das Modell der Doppelspitze finde ich nach wie vor richtig.“ Der Berliner Ko- Vorsitzende Daniel Wesener sagte: „Ich halte diese Äußerungen auch in dieser Form nicht für sonderlich klug.“

Özdemir wehrte sich am Sonntag gegen nach seiner Ansicht überzogene Reaktionen. „Aus dieser Analyse abzuleiten, dass ich die Abrissbirne an die Quote oder unser Frauenstatut ansetze, ist unzutreffend. Reflexartige Reaktionen sind genau das, was uns gemeinsam schwächt“, betonte er auf Twitter und Facebook.

Der Oberrealo

Der grüne Umweltminister von Schleswig-Holstein, Robert Habeck, der sich um eine Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl bewerben will, warf seiner Partei politische Verzagtheit vor. Um in die Regierungsverantwortung zu kommen, müsse die Partei bereit sein, Abstriche an ihren Forderungen zu machen. „Regieren bedeutet, Kompromisse einzugehen“, sagte er der „F.A.S.“.

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