Selbst jene, die schon sehr lange und sehr viel mit ihm zu tun haben, sagen, er lasse keine Nähe zu. Und dass sie ihn auch deswegen nicht richtig kennen würden. So bringt dieser Christian Lindner zwar alles mit, um eines Tages die FDP zu führen. Aber die Frage ist: Wohin?
Ein fensterloser Raum in den Katakomben des WDR-Funkhauses in Köln, an einem Montagabend im Mai. Bis zur Live-Sendung von Hart aber fair sind es noch gut 30 Minuten. Christian Lindner war schon in der Maske, jetzt wartet er in seiner Garderobe. Die Tür geht auf, und Frank Plasberg kommt herein, er erkundigt sich nach Lindner, sie reden kurz, dann verschwindet der Moderator wieder. Auf einmal steht Michel Friedman im Raum; kurz darauf kommt Wolfgang Bosbach dazu. Wie Lindner sind sie Gäste der Sendung, aber er ist es, um dessen Aufmerksamkeit alle buhlen. Sie kommen zu ihm, sie sind an seiner Meinung interessiert, sie wollen ihm gefallen.
Lindner hat sich auf seinen Auftritt vorbereitet. Er ist Perfektionist, er überlässt da nichts dem Zufall. Er arbeitet lange an Formulierungen, man merkt das, wenn er in einer Diskussion oder bei einer Rede etwas sagt, worauf er sich vorbereitet hat: Kurz davor drückt er jedes Mal das Kreuz durch, wird ein kleines Stückchen größer. Lindner mag Sprache, er liest viel, und er liefert andere Antworten, als man erwartet. Die meisten Politiker bimsen den Leuten die immergleiche Botschaft ein, zehnmal, zwanzigmal – bis sie die Leute langweilen. Lindner ist cleverer, er nimmt das Bekannte auf, schiebt es mit großer Geste von sich und präsentiert dann das Neue – selbst wenn er nur eine andere Formulierung für das Alte gefunden hat. Es ist ein simpler rhetorischer Kniff. Aber er wirkt.
In der Sendung dominiert er. Es geht um den Euro. Lindner ist ein guter Beobachter, und sehr schnell merkt er an diesem Abend, dass ihm die Rolle des heimlichen Moderators zufällt. Plasberg fragt ziellos, die anderen Gäste verzetteln sich – also ist es Lindner, der die Diskussion lenkt, mit seinen Beiträgen strukturiert und auch die überraschendsten Fragen stellt. Er wirkt konsequent und kompetent – ohne sich inhaltlich festlegen zu müssen.
In einer kleinen Partei wie der FDP sticht einer wie Lindner heraus, und so hat ihn die Partei auch noch einmal zurückgenommen, 2012, als er Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen wurde, nachdem er zuvor als Generalsekretär aus Berlin geflohen war. Die FDP lag am Boden, sie brauchte jemanden, der ihr wieder aufhalf, und Lindner war der Einzige, der das noch konnte. Er hievte die Liberalen auf damals sensationelle 8,2 Prozent. Aber jetzt sitzt er in NRW im Landtag, wieder dort, wo seine Karriere vor 13 Jahren begann. Und ein wenig hat man den Eindruck, als ob er jetzt das erste Mal in seinem Leben am Scheideweg steht: Geht es ihm wie bisher nur um sich – oder auch um eine Sache? Und um welche Sache geht es ihm dann?
Genscher hat mit Lindner ein Buch herausgebracht, es war Teil eines Plans.