Contra WLAN in der Kita Lasst die Kinder die echte Welt entdecken

Schnecke in der Hand Quelle: imago images

Kinder sollen auf die digitale Welt vorbereitet werden, deshalb fordern Bildungsexperten WLAN in Kitas. Das ist Quatsch: Die Kleinen müssen erst einmal die echte Welt begreifen, bevor sie die virtuelle verstehen können.

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Die Forderung nach WLAN in Kitas musste ja kommen. Kaum geht nach und nach allen möglichen Expertenkreisen auf, dass die Digitalisierung tatsächlich kommt und nicht nur Gerede von ein paar Nerds war, schlägt eine Forderung nach der anderen ein. Nach den Grundschulen sind es nun die Kitas, die in diesem Fall die stellvertretende Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik mit WLAN und internetfähigen Geräten zur frühkindlichen Bildung ausgestattet sehen will.

Es klingt ja auch logisch: Die kleinen Kinder von heute wachsen in einer digitalisierten Welt auf, warum sollte man sie also fernhalten von Tablets und Co. und ihnen verwehren, was früher oder später sowieso ihr Leben bestimmen wird? Befürworter sagen, man könne die Kinder von digitalen Medien ohnehin nicht fernhalten und solle ihnen lieber einen „verantwortungsbewussten“ Umgang vermitteln. Dafür spricht in der Tat viel. Die Frage ist nur, ob das gleich im Alter von ein, zwei oder drei Jahren beginnen muss und ob Kitas jetzt aus Aktionismus mit WLAN ausgestattet werden müssen, während die Erzieher noch nicht einmal entsprechend geschult sind. Die Antwort lautet: Nein, lasst die Kinder doch erst einmal die echte Welt kennenlernen, bevor sie in die virtuelle eintauchen.

Wer einmal Kinder beobachtet hat, die nur kurz sich selbst überlassen sind mit Smartphone, Tablet oder auch einfach nur einem Fernseher, weiß, wie unmittelbar süchtigmachend die Geräte wirken. Sie bleiben starr sitzen, nehmen nichts anderes um sich herum mehr wahr und sind hinterher oftmals unausgeglichen. Einmal angefixt, wollen sie wieder und wieder an die Geräte zurück – ein Leidensthema in vielen Familien. Verbote sind sicher nicht der Weg zur Lösung. Aber wer dies erlebt hat, weiß, welche Herausforderung es schon für die zumeist gewiss engagierten Eltern ist, diesen geforderten „verantwortungsvollen Umgang“ in der Praxis zu lehren und umzusetzen.

Das liegt freilich auch daran, dass Eltern selbst Probleme haben, dies vorzuleben - sie sind ja selbst süchtig und hängen ständig an ihren Smartphones. Hier liegt ein entscheidender Punkt: Schon wir Erwachsenen haben Probleme, den digitalen Versuchungen zu widerstehen. Uns wird „digital detox“ ohne Internet irgendwo im Grünen empfohlen, um Stress zu reduzieren und um uns zu erden. Warum also schon die Kleinsten „vergiften“, um im Sprachbild zu bleiben? Jede Art von Verantwortung hat ihre Zeit, deshalb dürfen Zehnjährige auch noch nicht Autofahren. Warum soll man Dreijährige stressen, indem sie einer unweigerlichen Sucht widerstehen sollen, die viel stärker ist als sie selbst? Und warum sollte man Erziehern die unvermeidlichen Diskussionen und Dramen zumuten, die Internet in der Kita nach sich zöge? Das wäre allenfalls denkbar, wenn einmal wirklich kindgerechte und dosierbare Tools zur Verfügung stehen. Im Moment gibt es aber noch nicht einmal genug Kitaplätze und Erzieher im Digitalisierungs- und Erziehungsentwicklungsland Deutschland.

Aus Elternperspektive ist es daher bislang eine wohltuende Gewissheit, Kinder in der Kita erst einmal in einer weitgehend analogen Welt zu wissen, wo mit Händen gestapelt und gematscht, auf Füßen gehüpft und mit realen Schritten die physische Umgebung, etwa ein Park, erkundet wird – und nicht auf irgendwelchen Screens. Mag sein, dass manche Tugenden aus der alten Welt zunehmend nicht mehr gefragt sein werden, zum Beispiel einen Stift richtig halten und damit Gemälde und Schriftzeichen zu Papier bringen zu können. Das aber bildet immer noch die Grundlagen für späteres Lesen, Schreiben und Rechnen. Digitale Kompetenz wird zwar bereits als vierte Kulturtechnik neben den genannten dreien bezeichnet. Sie ist aber nichts wert ohne die drei anderen.

Es nicht reaktionär, sich für sein Kind zu wünschen, dass es vor manchen Dingen zeitweise verschont bleibt - wohl wissend, dass es früh genug alle nötigen digitalen Kompetenzen erwerben wird. Denn wer die echte Welt kennt und noch die Feinmotorik besitzt, ohne Touchscreen und Rechenmaschine Dinge erschaffen zu können, wird sich in der digitalen Welt souveräner bewegen und nicht in Panik verfallen, wenn die Maschinen mal ausfallen. Um virtuelle Realität zu begreifen, muss man erst einmal die Realität begriffen haben.

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