Gerhard Schröders Treue zu Wladimir Putin scheint durch nichts zu erschüttern. Weder die Massaker von Butscha noch die Einäscherung von Mariupol haben seine Loyalität zum russischen Präsidenten bisher in Frage stellen können. Schröders lukrative Mandate in Diensten russischer Firmen, den Verwaltungsratsvorsitz der Nord Stream 2 AG sowie den Aufsichtsratsvorsitz beim Ölkonzern Rosneft, laufen weiter. Als wäre kein Angriffskrieg geschehen.
In einem bemerkenswerten Interview mit der „New York Times“ hat der ehemalige Bundeskanzler am Wochenende zu Protokoll gegeben, dass es für ihn nur einen Grund gäbe, von seinen Posten zurückzutreten: wenn Russland den Gasexport stoppen sollte. Aber „das wird nicht passieren“, wird Schröder dort zitiert. Und wenn doch, „dann trete ich zurück“.
Nun, es ist bereits passiert. Polen und Bulgarien hat Gazprom tatsächlich bereits den Gashahn zugedreht. Zeit also zurückzutreten? Eine entsprechende WirtschaftsWoche-Anfrage ließ Schröder bisher unbeantwortet.
Um den einst für sein Nein zum Irakkrieg und seine Agenda-Reformen respektierten Altkanzler ist es einsam geworden. Nähe zu Schröder hat jetzt toxische Wirkung. Die heutige SPD-Parteichefin Saskia Esken legt ihm einen Parteiaustritt nahe, der Bundestag berät über die Aberkennung von Personal und Büros. „Hier geht jemand wissentlich und willentlich den Weg der Isolation. Schröder agiert seit vielen Jahren als Sprachrohr des Kremls“, sagt der Historiker Jan Behrends, selbst SPD-Mitglied. „Schröder hat sich in Deutschland zum prominentesten Werkzeug der russischen Strategie machen lassen, die sich Einfluss erkauft.“
Einen tieferen Fall hat es in der bundesdeutschen Politik wohl nie gegeben. Mit Schröders Verhalten rücken grundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Spitzenpolitik und Wirtschaft, von Anstand und Lobbyismus zurück ins grelle Licht.
Sein Nord Stream-Mandat übernahm der Altkanzler nur wenige Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Amt. Das wäre heute gar nicht mehr möglich. Und doch: Experten halten auch die geltenden Regeln für zu lax – auch und gerade im Vergleich zu EU-Standards.
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Das derzeit gültige Bundesministergesetz regelt erst seit 2015 die Pflichten und Möglichkeiten von ehemaligen Kabinettsmitgliedern für einen anschließenden Wechsel in die Wirtschaft oder andere Tätigkeiten, sie gelten entsprechend auch für Ex-Kanzler (und -Kanzlerinnen). Grundsätzlich gilt: Innerhalb der ersten 18 Monate nach dem Ausscheiden aus der Politik muss jede berufliche Veränderung jenseits des öffentlichen Dienstes nicht nur angezeigt, sie kann auch untersagt werden. Und zwar wenn droht, dass durch den Wechsel „öffentliche Interessen beeinträchtigt“ sein könnten.
Von einer solchen Beeinträchtigung ist laut Gesetz insbesondere dann auszugehen, „wenn die angestrebte Beschäftigung in Angelegenheiten oder Bereichen ausgeübt werden soll, in denen das ehemalige Mitglied der Bundesregierung während seiner Amtszeit tätig war“ oder wenn sie „das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Bundesregierung beeinträchtigen kann“. Schröder und Nord Stream wären da in doppelter Hinsicht ein klassischer Anwendungsfall gewesen.
Karenzzeiten in der Politik dienten dazu, „möglichen Interessenskonflikten aus einer dem politischen Amt folgenden Tätigkeit entgegenzuwirken – und somit ein Einfallstor für Korruption zu schließen“, erklärt Normal Loeckel, Leiter der Arbeitsgruppe Politik bei Transparency International Deutschland. Es gehe deshalb nicht um ein allgemeines Berufsverbot für Ex-Spitzenpolitiker, sondern „nur um jenes stark eingeschränkte Spektrum an Folgetätigkeiten, die einen Bezug zum vorherigen Regierungsamt haben“.
So weit, so sinnvoll. Für Loeckel sind die geltenden Regeln des Bundes dennoch „leider völlig unzureichend“, wie er sagt. Eine Beschäftigung kann im Falle von Interessenskonflikten nur für ein Jahr, maximal anderthalb untersagt werden. Damit bliebe Deutschland hinter den EU-Regeln zurück, die für EU-Kommissare von zwei Jahren Dauer oder gar dreien bei der Präsidentin der EU-Kommission ausgingen. Hinzu käme: Verstöße gegen die Karenzzeiten von deutschen Regierungsmitgliedern würden nicht bestraft, geschweige denn überhaupt verfolgt.
Die Forderung von Transparency-Fachmann Loeckel: „Um einen echten zeitlichen Abstand zu vorherigen Entscheidungen oder Lobbyverknüpfungen zu schaffen, ist aus unserer Sicht eine Karenzzeit von bis zu drei Jahren Dauer erforderlich, um schweren Interessenkonflikten zu begegnen.“ Schröders Beispiel zeige doch „den Bedarf einer solchen Regelung“.
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