Corona, Amazon, Strukturwandel Warum ausgerechnet Osnabrück das Vorbild für Deutschlands Innenstädte ist

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Hoffnung auf die Zeit nach Corona

Umso mehr freut sich Rauschen auf die Wiedereröffnung. Vorausgesetzt die Politik würde seine Verluste ausgleichen, zur Not auch mit Krediten. Man müsse sich als Händler nun mit einer neuen Strategie auf eine Zeit nach Corona einstellen. Digitalisierung stärker einbinden, mehr nachhaltige Mode anbieten. Viele Menschen, meint Rauschen, würden während der Krise auch ihren Konsum überdenken. „Die Leute kommen dann nicht mehr wegen des einen blauen Pullis in die Innenstadt“, sagt Rauschen.

In einer neuen Abteilung für junges Publikum in seinem Kaufhaus bietet er nun Schuhe an, die auf Instagram versteigert werden. Social-Media-Nutzer könnten etwa Sneaker in Instagram-Posts sehen, die im Laden in Vitrinen ausgestellt sind. So verbindet Rauschen Digitalisierung mit Einkaufen vor Ort. Schon immer würden Menschen für ein Erlebnis in Innenstädte kommen wollen, sagt er. Selbst mit dem Onlinehandel-Boom und der Digitalisierung. In sein Kaufhaus baute er deshalb nach und nach Erlebnisse mit ein. Erst vor drei Jahren eröffnete L&T ein an das Kaufhaus angebundenes Sporthaus mit Kleidung für verschiedene Sportarten und eigenem Fitnessstudio. Besondere Aufmerksamkeit bekam der Neubau durch die sogenannte Hasewelle, ein Surfbecken mitten im Sportgeschäft, umrandet von Sitzreihen. Knapp 35 Millionen Euro investierte L&T 2018 in das Sporthaus.

Surfwellen, Instagram-Versteigerungen oder Cafés gibt es auf der alten Einkaufsstraße, drüben auf der anderen Seite des Neumarktes, nicht. Die Johannisstraße stirbt nicht nur wegen des Onlinehandels aus. Als sie in den Siebzigern zur Fußgängerzone umgebaut wurde, ließ die Stadt auch den Busverkehr weiter durchfahren. Die Folge: Ständig mussten die Straßen neu gepflastert werden. Baustellen machten sich breit. Nach der Schließung eines großen Kaufhauses ein paar Jahre später verlor die Johannisstraße viele Kunden. Mit der breiten, busfreien Großen Straße konnte sie nicht mehr mithalten. Doch Osnabrück gibt nicht auf.

Verlassene Einkaufsstraße wird Wohnraum

Im Rathaus wurde bereits ein Konzept fertiggestellt, um die Tristesse der früheren Einkaufsstraße zu beenden. Claas Beckord, Leiter der Stadtentwicklung in Osnabrück, möchte die Leute bald ohne zahlreiche Geschäfte zurück in die altbekannte Straße locken. Es ist bereits der zweite Anlauf der Stadt, die Johannisstraße neu zu gestalten. Zuvor hätte ein modern verglastes Einkaufszentrum entstehen sollen. Wie in der Großen Straße: zahlreiche Kleidungs- und Schuhläden in einer geschlossenen Mall. „Das Konzept Einkaufszentrum ist aber überholt“, sagt Beckord. Menschen bräuchten in den Innenstädten mehr als nur ein weiteres Gebäude voller altbekannter Geschäfte. Die Stadt entschied sich für einen Investor, der aus den Gebäuden, die in die Johannisstraße hineinführen Bürogebäude machen wollte. Mit ein paar Läden und Cafés. Im Rest des Gebäudekomplexes, der weit in die Johannisstraße verlaufen soll, sollen mehr als 400 Wohnungen entstehen. Auch betreutes Wohnen will die Stadt hier anbieten. Aus Einkaufsort wird Wohnraum – gut angebunden an die belebte Große Straße gegenüber.

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Dort beendet Mark Rauschen gerade seinen Rundgang durch das Kaufhaus in der angrenzenden Markthalle. Hier herrscht fast schon Post-Pandemie-Stimmung. Und diesmal sind es wirklich Kunden, die durch die Halle schlendern. Wie bei einem Samstagsmarkt verkaufen hier Bistros und Delikatessen-Händler ihre Speisen. Abholen und Mitnehmen darf man ja. Beim Wraps-Bistro stehen die Leute sogar Schlange, mit Maske und Abstand. Es ist fast 13.30 Uhr: Zeit fürs Mittagessen. Die jungen Frauen hinter der Theke wickeln die Weizenfladen rasch um Gemüse und Salat. „Bis morgen“, sagt eine Kundin, als sie ihren Wrap einpackt und aus der Markthalle eilt. Die Leute kommen wieder. Trotz der Pandemie.

Mehr zum Thema: Onlinekonkurrenz und Lockdown zwingen immer mehr Einzelhändler zum Aufgeben. Den Innenstädten droht der Tod. Jetzt sucht die Politik verzweifelt nach Auswegen.

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