Olaf Scholz verwies im Wahlkampf gern auf seine Erfahrung mit Krisen. 2008 und 2009 war Scholz Bundesarbeitsminister – während der Finanz- und Wirtschaftskrise. Damals, erinnerte der Kanzlerkandidat der SPD bei allen sich ihm bietenden Gelegenheiten, habe man zum ersten Mal in großem Maßstab Kurzarbeit eingesetzt, um die Krise zu bewältigen. „Das hat geholfen“, sagte Scholz. Dass Deutschland nach der Rezession weltweit am schnellsten wieder Tritt gefasst habe, habe „ganz viel mit der Kurzarbeit zu tun“. Subtext: Also mit Olaf Scholz.
Ein Diskussionspapier der Universität Kassel zeigt, dass Scholz mit seinem Eigenlob einerseits nicht unrecht hat. Als Arbeitsminister hatte er das Kurzarbeitergeld auf 24 Monate verlängert und den Kreis der Anspruchsberechtigten insbesondere um Beschäftigte in der Leiharbeit erweitert. Später übernahm der Bund auch die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung. Maßnahmen, die die Regierung während der Corona-Pandemie wieder aufgelegt hat, um auch deren Folgen abzumildern.
Allerdings schlussfolgert der Autor des Papiers, der politische Ökonom Günther Schmid, auch: Die Gefahr, dass Kurzarbeit Schritte verzögere, die den Strukturwandel fördern, sei „nicht zu übersehen“. Kurzarbeit werde nicht „die treibende Kraft der notwendigen Aufhol- und Anpassungsprozesse im Strukturwandel sein“, warnt er. Aber der Reihe nach.
Schmid fasst in seinen Überlegungen die wichtigsten Punkte der letzten großen Krise vor der Corona-Pandemie noch einmal zusammen: Im Mai 2009, dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise, waren demnach in Deutschland 1,5 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit. Sie konzentrierten sich jedoch auf das verarbeitende Gewerbe, und dort wiederum massiv in der baden-württembergischen Automobilindustrie: Der Südwesten, trägt Schmid zusammen, habe 2009 einen positiven Saldo an Kurzarbeitergeld in Höhe von 223 Euro pro Einwohner aus dem Rest der Republik erhalten – transferiert also aus dem „anderen Deutschland“.
„Arbeitslosigkeit wurde – im Gegensatz zu den EU-Nachbarstaaten – praktisch vermieden“, erkennt Schmid an. Doch er stellt auch die Frage, ob die damals großzügig bemessene Förderung der Kurzarbeit „den Managern und Entwicklern die Notwendigkeit erspart hat, den damals schon anstehenden Strukturwandel der Automobilindustrie ernsthaft genug ins Auge zu fassen“. Dieselskandale, der späte Start in die Elektromobilität und der Rückstand der Branche in Sachen Digitalisierung sprechen für ihn dafür.
Diese Gefahr sieht Schmid nun wieder. Bis zu sechs Millionen Beschäftigte waren im vergangenen Jahr in Kurzarbeit, die Bundesagentur für Arbeit (BA) zahlte gut 22 Milliarden Euro für das Kurzarbeitergeld aus. 2021 hat sie bis Ende Oktober bereits weitere etwa 19 Milliarden Euro dafür ausgegeben. Zuletzt erhielten nur noch etwa 760.000 Beschäftigte die Leistung. Trotzdem will Olaf Scholz‘ Nachfolger, der geschäftsführende und möglicherweise auch künftige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), die großzügigen Krisenregelungen bis Ende März 2022 verlängern.
Ökonom Schmid kritisiert allerdings, die Weiterbildung für Kurzarbeitende komme nicht in Schwung. Dabei lege die zu erwartende Forcierung im Umweltschutz, in der Klima- und Energiepolitik sowie in der Digitalisierung „eine wirkliche Offensive in der Bildungs- und Weiterbildungspolitik nahe“.
Manche Fachleute wie der in Düsseldorf lehrende Ökonom Jens Südekum können sich daher vorstellen, eine Verlängerung der Kurzarbeitsregelungen an die Bedingung zu knüpfen, dass die Auszahlung von Kurzarbeitergeld an Weiterbildung gekoppelt würde. Damit Beschäftigte über die Kurzarbeit nicht nur kurzfristig durch die Krise kommen – sondern die Gelegenheit nutzen, die Fähigkeiten zu erwerben, die sie in Zukunft brauchen, um am Arbeitsmarkt zu bestehen.
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