Am Dienstag beraten Bund und Länder über die weiteren Schritte im Umgang mit dem Coronavirus. So steht Deutschland voraussichtlich vor einer Verlängerung und Verschärfung des Lockdowns. Außerdem sind unter anderem nächtliche Ausgangssperren und eine FFP2-Maskenpflicht in bestimmten Bereichen wie dem Bahnverkehr und dem Einzelhandel im Gespräch. Ein wichtiger Grund dafür ist die Sorge, dass sich auch hierzulande hochansteckende Virus-Mutationen ausbreiten könnten. Dazu holen sich die Ministerpräsidenten der Länder an diesem Montagabend erstmal ein Lagebild von Fachleuten ein.
Einige Branchen warnen jedoch bereits wieder vor noch strengeren Corona-Regeln: So spricht sich der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) gegen eine vollständige Stilllegung von Bussen und Bahnen im Zuge der Pandemiebekämpfung aus. „Es gibt zahlreiche Menschen in systemrelevanten Berufen, die auch im Lockdown täglich zur Arbeit müssen und für die Homeoffice keine Option ist. Zudem organisieren die Verkehrsunternehmen bereits in einigen Städten zusätzliche Busverkehre zu den Impfzentren“, sagte VDV-Präsident Ingo Wortmann laut einer Mitteilung vom Montag.
Ein funktionierender Nahverkehr mit größtmöglichem Angebot sei nötig, um den Fahrgästen genug Platz und Abstand zu garantieren. Zudem wäre eine bundesweite FFP2-Maskenpflicht, wie sie in Bayern im Nahverkehr und im Einzelhandel bereits ab Montag gilt, mit „großen organisatorischen Herausforderungen“ verbunden, hieß es. Nach Berechnungen des Verbands wären monatlich über 100 Millionen solcher Masken nötig. Diese stünden dann etwa in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen nicht mehr zur Verfügung.
Außerdem hätten diverse wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, dass im ÖPNV kein erhöhtes Infektionsrisiko bestehe. Um die Ausbreitung der Aerosole in den Fahrzeugen zu verringern, empfiehlt der VDV zudem, dass Fahrgäste möglichst schweigsam bleiben. „Die Vermeidung von Gesprächen miteinander und per Telefon wäre eine weitere Möglichkeit, um die Aerosolausbreitung zu verringern“, so Wortmann. Oberstes Ziel aller Bestrebungen müsse sein, die Fahrtanlässe für die Menschen zu minimieren. „Deshalb sind die Ausweitung von Homeoffice und die Verhinderung von Freizeitfahrten aus unserer Sicht die wirkungsvollsten Maßnahmen, um Mobilität insgesamt weiter einzuschränken“, so Wortmann. Die Branche stehe geschlossen hinter allen Maßnahmen im Kampf gegen Corona.
Derweil warnt die deutsche Autoindustrie vor einem Fertigungsstopp im Kampf gegen hohe Corona-Infektionszahlen. „Bei Autozulieferern und Herstellern gibt es bisher keine Infektionsherde und höchste und umfassende hohe Hygienestandards“, sagte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, dem „Handelsblatt“. Stünde die Automobilfertigung in Deutschland still, würden Produktions- und Lieferketten nicht nur in Europa, sondern sogar weltweit unterbrochen. Die wirtschaftlichen Probleme würden bei einem Fertigungsstopp dramatisch zunehmen.
Der VDA setzt darauf, dass die Impfkampagne an Tempo gewinnt und der Pandemie damit immer stärkere Grenzen gesetzt werden. „Wir hoffen spätestens auf das zweite Halbjahr“, sagte Müller. Möglicherweise werde es dann sogar einen Boom bei der Autonachfrage geben, weil sich Kauflaune und Konsumverhalten wieder ungehindert entfalten könnten.
Auch die deutsche Chemiebranche warnt vor einem Herunterfahren der Industrie im Zuge eines verschärften Lockdowns. Industriebetriebe müssten offen bleiben, forderten der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und der Chemie-Arbeitgeberverband BAVC am Freitag. „Wer mitten in der härtesten Krise der letzten Jahrzehnte die Wirtschaft abschalten will, muss erklären, wie das Geld für die zahlreichen Hilfsmaßnahmen erwirtschaftet werden soll“, sagte BAVC-Hauptgeschäftsführer Klaus-Peter Stiller. Die Branche habe ihre Standards im Gesundheitsschutz kontinuierlich optimiert. Doch werde es nicht gelingen, die Industrieproduktion von zu Hause zu erledigen.
Ein Herunterfahren der Betriebe mache in der Chemie- und Pharmaindustrie „absolut keinen Sinn“, sagte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Die Branche leiste zentrale Beiträge zur Eindämmung der Pandemie – bei der Impfstoffproduktion, der Herstellung lebensnotwendiger Arzneien oder als Vorlieferant für Diagnostika, Medizin- und Laborgerätehersteller. Impfstoffe und Desinfektionsmittel ließen sich nicht im Homeoffice herstellen.
Der Handelsverband Deutschland hat die von der Bundesregierung geplanten Nachbesserungen bei den Coronahilfen begrüßt. Hauptgeschäftsführer Stefan Genth sagte am Montag: „Wir haben sehr für diese notwendigen Anpassungen gekämpft. Wenn die Bundesregierung die Corona-Hilfen für den Einzelhandel nun entsprechend verändern möchte, dann sind das gute Nachrichten.“
Die Vorschläge gingen in die richtige Richtung, so Genth. „Die Erhöhung der Obergrenzen und die unbedingte Möglichkeit zu Abschreibungen von Saisonware entsprechen unseren Forderungen.“ Die Verständigung innerhalb der Bundesregierung und der Europäischen Union müsse jetzt aber schnell vorangehen, den Handelsunternehmen im Lockdown laufe die Zeit davon.
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