Corona-Modellregionen Tübingen liegt jetzt auf Sylt

Strandkörbe ja, aber mit Abstand: Die Urlaubsinsel Sylt wird zur Corona-Modellregion. Quelle: dpa

Urlaub trotz Corona? Mit geöffneten Hotels und Drinks auf der Terrasse? Ja, das geht: In Schleswig-Holstein dürfen vier Regionen testen, wie Tourismus trotz Corona funktionieren kann.

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Wenn man Johannes King morgens eine E-Mail schickt mit der Frage, ob er über seine Erwartungen sprechen möchte, klingelt schon Minuten später das Telefon. King sitzt längst schon vor dem Computer, hört sich überaus wach an, und ja: seine Erwartungen, die seien groß. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Der Söl‘ring Hof in Rantum auf Sylt ist eine Institution. Ein reetgedecktes Refugium, umspült vom Meer, umweht vom Wind, umgeben von Dünen. Klein und fein, dreißig Gäste maximal, dazu ein Restaurant mit zwei Michelin-Sternen. Und King ist der Gastgeber. Endlich darf er es wieder sein. Er freue sich einfach darauf, loslegen zu können, erzählt er. Man müsse eben lernen, mit Corona so umzugehen, dass Sicherheit und Urlaub sich nicht ausschließen.

Nicht wenige halten Sylt für die schönste und die edelste unter den deutschen Inseln, jedenfalls ist sie die teuerste. Nun gehört sie auch zu den Pionierinnen. Wie zuvor etwa die Stadt Tübingen in Baden-Württemberg, sucht Schleswig-Holstein testweise einen eigenen Umgang mit der Pandemie. Vier Modellregionen hat das Land aus zwölf Bewerbungen auserkoren, um Urlaub in Zeiten der dritten Welle zu erproben: Büsum, die Schlei, die Lübecker Bucht – und Nordfriesland samt Sylt.

Am 1. Mai geht es dort los. Wonach er sich am meisten sehne? Dass seine Mitarbeiter und er wieder ihren Job machen könnten, sagt King: Gäste verwöhnen.

Die Insel lebt vom Tourismus. Das zunächst auf vier Wochen begrenzte Projekt samt hoher Testdichte und wissenschaftlicher Begleitung schafft nun eine dringend benötigte Perspektive, jedenfalls für den Norden zwischen Nord- und Ostsee. Sylts Schönheit über Monate fast für sich allein gehabt zu haben, sagt Insel-Bürgermeister Nikolas Häckel, sei ein „Geschenk mit bitterem Beigeschmack“ gewesen. Nun wolle man beweisen, dass „sicherer Tourismus möglich ist, ohne wesentliche steigende Infektionszahlen. Das ist unser Anspruch – und unsere Hoffnung.“

Der Lockdown habe bei vielen Betrieben „existenzielle Sorgen“ ausgelöst, berichtet der Politiker. Auf entsprechend groß taxiert Heckel nun die Vorfreude von Hörnum bis List. Für ihn ist klar: Bei den vier Wochen soll es nicht bleiben.

An der Schlei sind sie sogar schon weiter. Dagmar und Dieter Stumpf haben großes Glück gehabt. Anfang März hatte das Ehepaar aus Niedersachsen eine kleine Ferienwohnung in Kappeln an der Schlei gebucht: für April. Dann aber stiegen die Inzidenzen wieder gewaltig, und das Ehepaar Stumpf hatte den Urlaub an der Schlei längst abgeschrieben. Bis die Vermieterin der Ferienwohnung vor drei Wochen bei ihr anrief: Die Schlei sei nun Modellregion, das Paar könne anreisen, wenn sie wollten. „Ich konnte das erst gar nicht glauben“, sagt Dagmar Stumpf. 

Nun genießen die beiden Pensionäre bereits seit anderthalb Wochen Sand unter den Füßen, Weizenbier im Gartenlokal und Cappuccino im Café statt to go. Nicht nur Ferienwohnungen, Campingplätze und Hotelzimmer sind an der Schlei buchbar, auch Restaurants und Cafés dürfen draußen Gäste bewirten. Alles natürlich mit Abstand und Hygienekonzepten. „Wir fühlen uns hier sehr sicher“, sagt Stumpf. Überall stünde Desinfektionsmittel, alle seien vernünftig und hielten sich an die Regeln. Für die Kontaktverfolgung nutzen Stumpfs die Luca-App, im Restaurant oder Café kann sich jeder Gast damit registrieren. „Alle freuen sich, endlich wieder ein paar Freiheiten zu genießen“, erzählt sie. Vor allem die Erleichterung der Gastwirte sei schön zu sehen.

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Am Anfang sei es noch relativ ruhig gewesen, aber nun kämen immer mehr Gäste. Tatsächlich ist die Nachfrage nach Ferien an der Schlei aktuell doppelt so hoch wie sonst im April. Vor allem Ältere nutzten die Chance auf ein wenig Abwechslung, vor den eingerichteten Testcentern gebe es teilweise Warteschlangen, erzählt Stumpf. Denn das Testen gehört auch hier zum Konzept. Wer anreist, muss einen Corona-Test vorzeigen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Am dritten Tag des Aufenthalts wird wieder getestet, danach alle vier Tage. Stumpf findet das nicht schlimm. „Es gibt sogar ein Drive-in-Testcenter“, staunt die Urlauberin.

Die Kontrolle der Tests erfolgt über die Vermieter. Bisher waren laut der Tourismusorganisation der Schlei-Region zehn von insgesamt 9532 Antigenschnelltests positiv, fünf davon entfielen auf Urlauber, die anderen auf Einheimische. Wer positiv getestet wird, muss umgehend mit dem eigenen Auto nach Hause fahren oder sich vor Ort in Quarantäne begeben. Trotz der strengen Regeln seien nicht alle Einheimischen begeistert von dem Modellprojekt, erzählt Stumpf. Sie fürchten, dass durch die zahlreichen Touristen auch die Inzidenzen wieder steigen. Bisher ist das allerdings nicht der Fall.


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