Corona-Shutdown Warum wir über den Wert des Lebens reden müssen

Ulrich Schmidt Quelle: IfW Kiel

Der Corona-Shutdown hat hohe volkswirtschaftliche Kosten verursacht. Viele halten diesen die geretteten Leben entgegen, die ein verlängerter Shutdown bringt. Doch eine rein ökonomische Betrachtung, die an einer monetären Bewertung geretteter Menschenleben nicht vorbeikommt, legt das Dilemma offen: Ohne Shutdown hätten wohl mehr Leben gerettet werden können.

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Der Autor dieses Gastbeitrags ist Prof. Dr. Dr. Ulrich Schmidt. Er leitet am Kieler Institut für Weltwirtschaft das Research Center Sozial- und verhaltensökonomische Ansätze zur Lösung globaler Probleme und ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Firmenpleiten, Arbeitslosigkeit, Privatinsolvenzen und eine sprunghaft ansteigende Staatsverschuldung sind nur einige Beispiele für die gewaltigen Belastungen, die der Shutdown mit sich bringt. Neben den ökonomischen Kosten erleiden die Betroffenen psychische Belastungen, die im Durchschnitt die Lebenszeit verkürzen, wie man aus früheren Krisen weiß. Der gesellschaftliche Diskurs über die Rechtfertigung des Shutdowns läuft auf Hochtouren. Ein wichtiger, wenn auch sicherlich nicht der einzige Aspekt, sollten dabei ökonomische Erwägungen sein: Überwiegen die aus dem Shutdown resultierenden Vorteile dessen Kosten?

Eine ökonomische Abwägung der Kosten und Nutzen des Shutdowns kommt an einer monetären Bewertung geretteter Menschenleben nicht vorbei. Vielen mag das unmoralisch erscheinen, doch auch bisher wird schon bei zahlreichen politischen Entscheidungen so abgewogen: Ob ein neues teures Arzneimittel zugelassen, eine neue Fußgängerampel an einem Schulweg errichtet oder die Luftqualität in einer Stadt verbessert werden soll, hängt mindestens implizit von der Abwägung der ökonomischen Kosten gegen die geretteten Leben ab. Gerade gesundheitspolitische Entscheidungen basieren häufig zentral auf der Überlegung, wie man mit den zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst viele Leben retten kann. Auch in der Coronakrise ist davon auszugehen, dass aufgrund der hohen Kosten des Shutdowns zukünftig Geld fehlen wird, das für die Rettung anderer menschlicher Leben hätte eingesetzt werden können.

Ist es moralisch, das Leben von einigen mit hohen Kosten zu schützen, wenn dann die Mittel fehlen, um die Leben einer viel größeren Anzahl von Personen zu retten? Eine Betrachtung des ökonomischen Nutzens und der Kosten macht zumindest transparent, worum es bei der Verlängerung des Shutdowns geht, und kann damit helfen, eine fundiertere Entscheidung zu treffen. Es existieren zahlreiche Studien, die den Wert eines menschlichen Lebens zu beziffern versuchen. Dabei werden unter anderem Daten für die Kosten der Verhinderung tödlicher Unfälle, Lohnzuschläge bei lebensgefährlichen Berufen, die menschliche Produktivität oder direkte Befragungen verwendet. Ein wichtiger Aspekt ist jedoch, dass dabei nicht alle Leben gleich behandelt werden, sondern etwa das Leben eines gesunden Kindes höher bewertet wird als das einer sehr alten Person mit zahlreichen Erkrankungen. Daher verwenden die meisten Studien das Konzept der qualitätskorrigierten Lebensjahre und berechnen den Wert eines zusätzlichen Lebensjahres bei voller Gesundheit (QALY).

Der Heidelberger Krebsforscher Michael Schlander hat mit Kollegen 41 neuere europäische Studien zum Wert eines QALYs analysiert und dabei einen Median von 158.448 Euro ermittelt. Dieser Wert ist vergleichsweise hoch. Das Umweltbundeamt veranschlagte bei einer Kosten-Nutzen Analysen zur Luftverschmutzung aus dem Jahr 2011 zum Beispiel nur einen Wert von rund 54.000 Euro für ein gewonnenes QALY.

Veranschlagen wir für die Kosten den Durchschnitt der beiden oben angeführten Werte des IfW Kiel (also 225 Milliarden Euro). Laut dem Robert Koch-Institut betrug das Durchschnittsalter der bisher in Deutschland am Coronavirus Verstorbenen 82 Jahre. Gemäß dem Statistischen Bundesamt entspricht die weitere Lebenserwartung im Alter von 80 Jahren 8,0 Jahre für Männer und 9,5 Jahre für Frauen. Bei 82 Jahren sind es entsprechend weniger, zudem sind mehr Männer als Frauen verstorben. Ein Großteil der Verstorbenen hatte schwere Vorerkrankungen. Dies bedeutet zum einen, dass die weitere Lebenserwartung deutlich geringer ist als im Durchschnitt, zum anderen ein weiteres Lebensjahr nur mit einem QALY-Wert kleiner als 1 berücksichtigt werden kann. Legen wir deshalb einen Wert von 4,0 QALYs je Verstorbenem zu Grunde, was immer noch relativ konservativ erscheint. Damit ergibt sich: Nehmen wir den hohen Wert von 158.448 Euro je Lebensjahr und Kosten des Shutdowns von 225 Mrd. Euro müsste man ca. 1,42 Mio. QALYS retten, damit der Shutdown ökonomisch gerechtfertigt wäre. Bei 4,0 QALYs je Verstorbenem entspricht dies rund 355.000 geretteten Leben.

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