Vor dem neuen Corona-Gipfel von Bund und Ländern zeichnet sich eine zunehmende Differenzierung zwischen Geimpften und Ungeimpften ab. Die CDU sprach sich am Montag dafür aus, das Angebot von kostenlosen Bürgertests im Oktober auslaufen zu lassen, wie Generalsekretär Paul Ziemiak in Berlin sagte. Wenn alle ein Impfangebot hätten, sei eine Finanzierung der Tests mit Steuermitteln nicht mehr erklärbar. Eine Sprecherin der Bundesregierung betonte, es müsse alles dafür getan werden, um einen erneuten harten Lockdown zu verhindern.
Bundeskanzlerin Angela Merkel kommt am Dienstagmittag per Videokonferenz mit den Chefinnen und Chefs der 16 Länder zusammen. Dabei soll der Kurs in der Coronapandemie für Herbst und Winter abgesteckt werden. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete für Montag 1183 neue Positiv-Tests. Das sind 336 mehr als am Montag vor einer Woche. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 23,1 von 22,6 am Sonntag.
Zwei weitere Menschen starben im Zusammenhang mit dem Virus. Damit erhöht sich die Zahl der gemeldeten Todesfälle auf 91.784. Insgesamt waren in Deutschland bislang mehr als 3,79 Millionen Corona-Tests positiv. Bis zum Sonntag waren laut RKI 62,4 Prozent der Deutschen mindestens einmal geimpft, 54,8 Prozent hatten den vollen Impfschutz.
Konkret zeichneten sich für die Beratungen mehrere Schwerpunkte ab:
Impfen: CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sagte am Montag nach einer Präsidiumssitzung: „Wir müssen mehr Menschen überzeugen, sich impfen zu lassen. Denn für uns ist eines klar: Geimpfte haben Vorteile. Und jemand, der geimpft ist, darf keine Nachteile haben, weil andere Menschen aus verschiedenen Gründen keine Lust haben, sich impfen zu lassen.“ Dabei kommen die Impfungen weiter voran - derzeit aber vor allem mit vorgesehenen Zweitimpfungen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) appellierte: „Jede Impfung zählt!“ Vollständig geimpft sind nun knapp 45,6 Millionen Menschen oder 54,8 Prozent aller Einwohner.
Testen: Durchaus als ein Extra-Anstoß für mehr Impfungen trifft ein Ende der kostenlosen Schnelltests für alle auf breite Zustimmung. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte dem „Tagesspiegel“: „Ich halte es ausdrücklich für richtig, dass Ungeimpfte ab dem Herbst ihre Tests selbst bezahlen müssen. Bis dahin hatte jeder die Möglichkeit, sich kostenfrei impfen zu lassen.“ Der baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) sagte „Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten“: „Auf Dauer wird die öffentliche Hand die Tests nicht finanzieren können.“ Es gebe ja ein kostenfreies Impfangebot für alle.
Spahn hatte vorgeschlagen, dass Tests ab Mitte Oktober nicht mehr gratis zu haben sein sollen - außer für Menschen, die nicht geimpft werden können oder für die keine allgemeine Impfempfehlung besteht wie Schwangere oder Minderjährige. FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae sagte dagegen der Deutschen-Presse-Agentur (dpa): „Die Kostenlosigkeit der Tests möglichst lange, auch bis in das Jahr 2022 hinein aufrecht zu erhalten, ist gut angelegtes Geld.“ Das gelte auch für Genesene und Geimpfte. Sie seien weitgehend vor Erkrankung geschützt, könnten aber Viren weitertragen.
Schutzmaßnahmen: Weil sagte, viele seien mittlerweile geimpft. „Vor diesem Hintergrund sind massive Einschränkungen, wie wir sie beispielsweise noch im Frühjahr hatten, nicht mehr angemessen.“ Kretschmann sagte: „Einschränkungen bei Geimpften und Genesenen werden wir zu großen Teilen aufheben.“ Für Nichtgeimpfte sei wegen höheren Ansteckungsrisikos der Zugang zu Veranstaltungen oder Einrichtungen „weiter an Bedingungen zu knüpfen“. Die Maskenpflicht etwa in Bussen und Bahnen werde aber sicher bestehen bleiben.
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte der „Süddeutschen Zeitung“: „Wichtig ist mir, dass diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, auch weiterhin über Tests die Möglichkeit haben, am öffentlichen Leben teilzunehmen.“ Spahn hatte deutlich gemacht, dass dies für „essenzielle Dinge“ wie Verkehrsmittel oder Rathausbesuche möglich bleiben sollte. Etwa für Discos oder Stadien könne er sich aber auch einen Zutritt nur für Geimpfte oder Genesene vorstellen.
Die Tourismusbranche forderte von Bund und Ländern, eine „Basis für dauerhafte Öffnungen“ zu schaffen, statt schon bei niedrigem Infektionsgeschehen erneut über Einschränkungen des Reisens und Ausgehens zu diskutieren. Die in Landesverordnungen aktuell geltenden Schwellen-Inzidenzwerte, ab denen automatisch Verschärfungen greifen, müssten „signifikant heraufgesetzt“ werden. Der Handelsverband warnte, die Politik dürfe nicht einfach in den nächsten Lockdown hineinschlittern. Es gehe um passgenaues und wohldosiertes Handeln.
Corona-Kriterien: Die Sieben-Tage-Inzidenz war in der Pandemie bisher Grundlage für viele Corona-Einschränkungen, etwa im Rahmen der Ende Juni ausgelaufenen Bundesnotbremse. Künftig sollen daneben wohl mehr Werte stärker einbezogen werden - wie in der politischen Debatte etwa zu belasteten Intensivstationen vielfach schon der Fall. CDU-Chef Armin Laschet schlug nach dpa-Informationen im CDU-Präsidium vor, die Krankenhausbelegung, die Zahl der Intensivpatienten und den Impffortschritt stärker in der Regulierung zu berücksichtigen.
Laschet befürwortete es demnach auch, dass der Bundestag die vorerst bis September bestehende „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ verlängert - damit in Landes-Corona-Verordnungen Sicherheitsmaßnahmen wie die Maskenpflicht, die Kontaktnachverfolgung oder die Pflicht zur Einhaltung von Hygienekonzepten weiter vorgesehen werden könnten. Eine Verlängerung dieser Sonderlage hatte auch Scholz schon angeregt. Der Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, Erwin Rüddel (CDU), forderte in der „Bild„-Zeitung: „Es muss die Botschaft kommen, dass es keine automatischen Lockdowns mehr geben wird – auch keine nur für Ungeimpfte.“
Aus der Wirtschaft kamen unterdessen Warnungen vor einem neuen Lockdown. Der Handelsverband HDE fordert neben einem Plan zur Beschleunigung der Impfungen eine langfristig angelegte Präventionsstrategie zur Verhinderung neuer Schließungen. „Mit den Lehren und Erkenntnissen aus dem bisherigen Pandemiemanagement lässt sich ein erneuter monatelanger Lockdown ohne Perspektive und Planungssicherheit verhindern“, sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Auch die Tourismuswirtschaft forderte die Ministerpräsidentenkonferenz auf, einen neuen Lockdown für die Branche zu verhindern. Zudem müsse die Verlängerung der Überbrückungshilfe und der Regelungen für Kurzarbeit bis mindestens Jahresende beschlossen werden.
Mehr zum Thema: Die Inzidenz steigt, die Impfkampagne stockt. Am Dienstag wollen Bund und Länder bei der Ministerpräsidentenkonferenz eine Strategie gegen die vierte Welle entwickeln. Doch die Uneinigkeit ist groß – statt MPK droht MKP: ein Mini-Kompromiss-Programm.