Corona-Strategie „Zero Covid“ und „No Covid“: Der Unterschied zwischen Null und Nichts

Zero Covid: Der Aufruf von mehreren Dutzend Wissenschaftlern, Ärzten, Pflegekräften und Künstlern gipfelt in dem Ziel, die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnern nicht nur auf einen Wert unter 50 zu drücken, sondern auf Null. Quelle: dpa

Im Disput um eine angemessene Pandemie-Strategie werden zwei Aufrufe gern verwechselt: „Zero Covid“ und „No Covid“. Das ist der kleine, aber feine Unterschied.

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Lockdown oder Lockerung? Sinkende Infektionszahlen der vergangenen Tage schüren die Ungeduld der Menschen und Forderungen nach einer raschen Entschärfung der geltenden Beschränkungen. „Es gibt keinen absoluten Lebensschutz,“ betont etwa Michael Hüther, Direktor des in Köln ansässigen Instituts der deutschen Wirtschaft. Mit Blick auf die nächste Konferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder wagt er sich weit hinaus: Das von der Politik während der Coronapandemie insinuierte Versprechen des umfassenden Lebensschutzes werde sich nicht durchhalten lassen, ist er überzeugt. Vielen sei jedoch „politische Gleichheit wichtiger als epidemiologische Wirksamkeit“ der Lockdown-Maßnahmen.

Die Wirtschaft schreckt vor allem eine Initiative namens „Zero Covid“: Der Aufruf von mehreren Dutzend Wissenschaftlern, Ärzten, Pflegekräften und Künstlern gipfelt in dem Ziel, die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnern nicht nur auf einen Wert unter 50 zu drücken, sondern auf Null. Dazu müssten alle nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine gewisse Zeit stillgelegt werden, verlangen sie. Also neben Schulen und Büros auch Fabriken und Baustellen. Finanziert werden solle diese „umfassende Arbeitspause“ durch eine europaweite Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen.

Nicht damit zu verwechseln ist ein Aufruf von 13 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter dem ähnlich klingenden Titel „No Covid“: Sie fordern eine Inzidenz unter zehn und wollen dort, wo dies gelingt, grüne Zonen mit mehr Freiheiten erlauben. In Ländern wie Australien oder Neuseeland habe dies funktioniert. Zu den Unterzeichnern gehören auch Clemens Fuest, Präsident des Münchner ifo-Instituts, sowie der ebenfalls am ifo-Institut tätige Ökonom Andreas Peichl. Fuest hält es für eine „Illusion zu glauben, dass man Wirtschaftswachstum in einer Welt haben kann, in der ein gefährliches Virus kursiert.“ Das sagte er am Dienstagabend bei einer Online-Vorlesung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Einen Lockdown bei den derzeitigen Infektionszahlen zu lockern, sei nicht nur für die Gesundheit schlecht, sondern auch für die Wirtschaft. Dann nämlich dauere der Lockdown „ewig“. Industriebetriebe sollten aber weiter arbeiten. „Irgendjemand muss das Geld verdienen“, mit dem andere, vom Lockdown betroffene Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft unterstützt würden.

Kurz vor der Vorlesung beantwortete Fuest einige Fragen der WirtschaftsWoche:

Clemens Fuest ist Präsident des ifo Instituts und Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität München. Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Fuest, im Augenblick geht die öffentliche Diskussion ein wenig durcheinander. „Zero Covid“ und „No Covid“ werden gelegentlich in einen Topf geworfen. Wodurch unterscheiden sie sich?
Clemens Fuest: Unter der Überschrift „Zero Covid“ wurde im Dezember in Deutschland ein Konzept vorgestellt, das einen sehr radikalen Lockdown vorsieht, unter anderem mit einer kompletten Schließung der Industrie. Unser Konzept sieht diese Schließungen nicht vor und setzt stärker darauf, durch smarte Lockdown-Maßnahmen, also zum Beispiel mehr Tests, Homeoffice und FFP2-Masken, die Infektionszahlen herunterzubringen.

Manche Wissenschaftler halten es im Winter für unmöglich, die Inzidenz unter 10 zu drücken – zumal in demokratisch regierten Ländern mit zahlreichen Außengrenzen. Ist es nicht realitätsfern, das Ziel zu erreichen, wenn man gleichzeitig auf wirtschaftliche Belange Rücksicht nehmen will?
Entscheidend ist zunächst, die Restriktionen nicht schon aufzuheben, wenn man sich der Inzidenz von 50 nähert. Sonst besteht das Risiko, eine dritte Infektionswelle auszulösen, mit einem weiteren Lockdown. Es geht ja auch nicht darum, in kurzer Zeit flächendeckend eine Inzidenz von zehn zu erreichen. In einigen Regionen ist das aber sicherlich möglich.

Auch Sie fordern, die Maßnahmen weiter zu verschärfen – ehe sie dann bei Erreichen des Ziels gelockert werden können. An welche Maßnahmen denken Sie konkret?
Es geht im ersten Schritt darum, nicht vorschnell zu lockern. Einige der Maßnahmen, die wir und andere gefordert haben, sind schon umgesetzt, beispielsweise mehr Homeoffice. Andere Maßnahmen, vor allem deutlich mehr Tests und mehr Einsatz von FFP2-Masken, stehen noch aus.



Reicht die Home-Office-Regelung, wie sie nach der jüngsten Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Chefinnen und Chefs der Länder verankert wurde?
Das war ein wichtiger Schritt, jetzt sollte man abwarten, wie er wirkt.

In dem Strategiepapier sprechen Sie über grüne Zonen, in denen Maßnahmen gelockert werden können. Führt das nicht genau zu dem Flickenteppich, den man mit einheitlichen Maßnahmen für die ganze Republik verhindern will?
Man muss unterscheiden zwischen differenzierten Maßnahmen nach gemeinsamen Regeln und flächendeckend einheitlichen Maßnahmen unabhängig von der regionalen Infektionslage. Ersteres befürworten wir, Letzteres ist nicht sinnvoll.

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Wie soll das mit den grünen Zonen in der Praxis umgesetzt werden? Besteht nicht die Gefahr, dass viele Menschen aus roten Zonen in grüne einpendeln, zum Einkaufen oder zum Besuch des Friseurs, von Restaurants, Kinos etc.?
Die meisten Menschen halten sich an die Regeln, eine Minderheit wird dagegen verstoßen. Das kann man durch Kontrollen eindämmen, ganz verhindern kann man das nicht. Die Mobilität zwischen Regionen ist ja schon heute eingeschränkt, wenn die Inzidenz in einer Region den Wert von 200 überschreitet. Auch da stellt sich die Frage der Kontrolle.

Mehr zum Thema: Wie lebt es sich an der Isar? Ein sehr persönliches Gespräch mit ifo-Präsident Clemens Fuest – einem Münsterländer.

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