Coronakrise Die Ökonomie der Maske

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Ein Gefängnis fürs Gesicht

Ob Feierabend-Bierchen in der Kneipe, Dinner-Date beim Lieblingsitaliener oder Partysause in der Altstadt – in den vergangenen Monaten haben sich die Deutschen Aktivitäten wie diese buchstäblich abschminken können. Zwar kehrt die Normalität langsam zurück. Doch wozu aufhübschen, wenn eine Maske beim Einkaufsbummel das Gesicht bedeckt und der Lippenstift ohnehin verwischt, bevor man auf dem Barhocker sitzt?  

Branchenberichten zufolge sind die Ausgaben für Make-up in der Coronakrise stark zurückgegangen. Während Seifen und Duschgels im ersten Halbjahr 2020 ein Umsatzplus von 86,4 Prozent verbuchen konnten, brach die Nachfrage nach Schönheitspflegprodukten ein: Dekorative Kosmetik wie Lippenstift, Puder oder Eyeliner verloren 13,8 Prozent ihres Vorjahresumsatzes, so eine aktuelle Statistik des Industrieverbands für Körperpflege- und Waschmittel. Die Nachfrage nach Damen- und Herrendüften ist um fast ein Viertel gesunken. Dafür ist laut Konsumforschern unter anderem der Mundschutz verantwortlich. 

„Unter einem Mund-Nasen-Schutz hat man keine Lust, sich zu schminken“, sagt Hans-Georg Häusel. Diese „Lust“ ist jedoch beim Kauf von Lippenstift & Co. entscheidend: „Der Kauf von Lifestyle- Produkten ist ein Lust-Kauf. Eng verbunden mit dem Gefühl der Lust ist das Gefühl der Freiheit und genau dieses Gefühl wird von der Maske zerstört“, erklärt der Hirnforscher. „Die Maske ist ein Gefängnis für das Gesicht und etwas, das man wegsperrt, hübscht man auch nicht auf.“ 

Elmar Keldenich, Geschäftsführer des Parfümerien-Bundesverbands bestätigt: „Homeoffice und Masken machen es der dekorativen Kosmetik zusätzlich schwer. Steht nicht gerade eine Videokonferenz an, schminkt Frau sich eher weniger und Lippenstift unter der Maske macht eher Probleme als eine tolle Optik.“ Ein edles Parfüm testen oder den Farbton des Make-ups überprüfen – auch das klappt mit Gesichtsmaske nicht. Die Folge: „Wenn man die Sachen nur schlecht ausprobieren kann, macht das den Einkauf nicht gerade leichter.“ 

Anprobierte Kleidung wirkt unmodisch

Auch die Modeindustrie muss sich über den Corona-Winter warm anziehen: Schätzungen zufolge muss der stationäre Fashionmarkt dieses Jahr mit einem Umsatzverlust von mehr als 10 Milliarden Euro rechnen. Gegenüber dem Vorjahr büßt die Branche damit rund ein Fünftel ihres Gesamtvolumens ein.  Ein Verlust, der laut einer aktuellen IFH-Prognose „bis 2024 nicht aufgeholt werden kann“. Schon vor Covid-19 hatte der Fashionhandel mit „starken strukturellen Veränderungen zu kämpfen“. Immer mehr Kunden shoppen lieber online. „Corona“, so die Studie, „hat diese Entwicklungen noch beschleunigt.“

Bequemlichkeit und die Angst sich anzustecken sind längst nicht alles, was das Online-Kleidergeschäft in der Pandemie befeuert. „In der Coronakrise ist ein ganz wesentlicher Vorteil des Kaufs vor Ort weggefallen“, erklärt Psychologin Eva-Bänninger-Huber. „Die Modeläden leben davon, dass der Kunde die Ware vor Ort anprobieren kann und sofort sieht, ob ihm das Kleidungsstück steht, oder nicht. Die Maske macht das deutlich schwerer.“

Zwar darf man in geschlossenen Umkleiden den Mund-Nasenschutz abnehmen. Beim spontanen Anprobieren von Jacken, Mäntel oder Pullover direkt auf der Verkaufsfläche muss man das neue Teil allerdings mit Maske vorm Gesicht im Spiegel begutachten. „Viele Kunden sind es nach wie vor nicht gewohnt sich mit Mundschutz im Spiegel zu sehen“, sagt die Psychologin. „Die Kleidungsstücke, vor allem Oberteile und Kopfbedeckungen wie Kappen, Mützen oder Hüte wirken dann schnell weniger attraktiv.“

Gleiches gilt für Accessoires wie Brillen, Halsketten oder Ohrringe. „Wer Gesichtsschmuck oder eine Sonnenbrille anprobiert, will dabei sein ganzes Gesicht sehen. Mit Mundschutz ist das unmöglich“, so Bänninger-Huber. „Selbst wenn man weiß, dass keine Sonnenbrille kombiniert mit Mundschutz „sytlish“ aussieht – wer unsicher ist, ob ihm etwas steht wird eher auf einen Kauf verzichten, oder diesen auf später verschieben.“

Kunden, die dazu neigen, ihre Kaufentscheidungen nachträglich zu bereuen, stehen seit der Maskenpflicht vor einem weiteren Problem: „Viel Kunden lächeln sich beim Shoppen freundlich selbst im Spiegel zu und schütten dabei Glücksgefühle aus, die unterbewusst das Selbstwertgefühl steigern“, so Bänninger-Huber. „Die Maske verbirgt das zufriedene Gesicht und dämpft damit auch die Freude über das neu gekaufte Teil.“ 

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