Coronakrise Merkel muss nachgeben!

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält eine Regierungserklärung zu den Ergebnissen der Bund-Länder-Runde zur Bewältigung der Coronapandemie. Quelle: dpa

Erstmals in der Pandemie weicht die Kanzlerin von ihrem restriktiven Kurs ab und plädiert selbst für eine vorsichtige Öffnungsstrategie. Angesichts der veränderten Stimmungslage bleibt ihr nichts anderes mehr übrig. Der Vertrauensvorrat der Bevölkerung schwindet. Ein Kommentar.

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Angela Merkel ist Physikerin und ehemalige Wissenschaftlerin. Besser als alle anderen Regierungschefs versteht sie die Logik von Zahlenreihen und exponentiellen Entwicklungen. Aus diesem Grund stand sie während der Pandemie auch stets an der Seite der Virologen und Mediziner, die ihr zu Kontaktbeschränkungen und Lockdown-Strategien rieten.

Doch Wissenschaftler sind keine Politiker, sie müssen sich nicht um die Akzeptanz der Einschränkungen kümmern, sie messen keine Stimmungen und nehmen keine Existenzängste wahr. Die Politiker aber, allen voran die Ministerpräsidenten, spüren inzwischen sehr genau, dass die Stimmung kippt. Stand bis vor kurzem noch eine große Mehrheit der Bevölkerung hinter den harten Maßnahmen der Regierung, so sehnen sich die Menschen jetzt nach alten Freiheiten zurück. Auch das Drängen der Wirtschaft, die Klagen des Handels, der Gastronomen und Kulturschaffenden sowie die wachsenden Bildungslücken bei den Schülern tragen dazu bei, dass immer lauter nach Lockerungen und Öffnungsstrategien gerufen wird.

Die Kanzlerin bemerkt die sinkende Akzeptanz, die Umfragen sprechen eine eindeutige Sprache. Und weil Merkel weiß, dass sie beim nächsten Gipfel mit den Landeschefs am 3. März ihre restriktive Linie nicht weiter wird durchhalten können, dreht sie lieber vorher schon bei. „If you can´t beat them, join them“ – diese alte Politikerweisheit ist wohl der wahre Grund für die überraschende Kurskorrektur der Kanzlerin. Ginge es nach ihr und ihrem Kanzleramtsminister Helge Braun, einem ebenfalls wissenschaftsaffinen Mediziner, würde man heute bestimmt noch nicht über Öffnungen reden – zumal die Infektionszahlen trotz Lockdown im Moment nicht sinken, sondern wegen der Ausbreitung der britischen Mutation sogar wieder steigen.

Doch die Physikerin Merkel tritt wider besseres Wissen hinter die Politikerin Merkel zurück. Recht haben bedeutet eben noch lange nicht Recht bekommen – das gilt vor Gericht ebenso wie in der Politik. Unbestreitbar schmilzt das Vertrauen der Bevölkerung in die Weisheit der Bundesregierung nach mehr als einem Jahr Coronakrise wie der Schnee in der Frühlingssonne.

Dürfen Geimpfte künftig mehr?

Der Erfolg des vorsichtigen Öffnungskurses hängt von mehreren Faktoren ab. Neben sinkenden Inzidenzwerten und der Anzahl verfügbarer Intensivbetten in den Krankenhäusern spielen Hygienekonzepte in den Unternehmen und rasche Fortschritte bei der Impfung der Bevölkerung eine entscheidende Rolle – allen voran bei der Risikogruppe der Älteren. Und je mehr Menschen ein Vakzin erhalten haben, desto eher können Restaurants, Geschäfte und Kultureinrichtungen wieder ihre Türen öffnen – wenn auch nur für die (wachsende) Gruppe der bereits Geimpften.

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Der Streit um diese Differenzierung und die Frage nach deren Legitimierung wird die nächsten Monate bestimmen – auch das weiß Merkel. Doch entgegen ihrer sonstigen Vorgehensweise denkt sie in der Pandemie nicht vom ungewissen Ende her, sondern fährt auf Sicht. Und da ist angesichts des Stimmungswandels ein Nachgeben unvermeidbar, wenn sie nicht auf offene Bühne eine Niederlage riskieren will.

Mehr zum Thema: Verpatzte Impfkampagne, analoge Ämter und stockende Hilfen – Berlin und Brüssel drohen an der „Jahrhundertaufgabe“ Corona zu scheitern.

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