
Der Bundestag hat wegen Drogenverdachts die Immunität des SPD-Innenexperten Michael Hartmann aufgehoben. Begründet wurde der Beschluss vom Mittwoch mit einem Durchsuchungsantrag der Berliner Staatsanwaltschaft. Nach dpa-Informationen aus Parlamentskreisen soll es um die Modedroge Crystal Meth gehen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte auf Nachfrage, dass Räume des bisherigen innenpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion durchsucht wurden. Hartmann trat noch am Mittwoch als innenpolitischer Sprecher zurück.
„Es geht um den Verdacht eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz“, sagte Sprecher Martin Steltner der Deutschen Presse-Agentur. Zunächst hatte die „Bild“-Zeitung über den Crystal-Meth-Verdacht berichtet. Nach dpa-Informationen geriet Hartmann bei Ermittlungen gegen Drogenhändler ins Visier der Behörden. Der 51 Jahre alte ledige Rheinland-Pfälzer Hartmann sitzt seit 2002 im Bundestag, er ist auch Mitglied im parlamentarischen Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste.
Wenige Stunden nachdem die Meldung in die Öffentlichkeit gelangte, öffnete die SPD am Mittwochabend die Tore zu ihrem traditionellen Hoffest an der Spree. Offiziell fiel zwischen Wein, Bier und Gegrilltem kein Wort über den möglichweise nächsten Abgeordnetenskandal nach Sebastian Edathy, inoffiziell herrschte überall unter den mehr als 1500 Gästen Überraschung, Bestürzung, Angst.
So gefährlich ist Crystal Meth
Crystal Meth (offiziell: Methamphetamin) wurde erstmals im Jahr 1893 synthetisiert. Die Droge wird meist aus Ephedrin oder Hyperephidrin hergestellt, dieses findet sich zum Beispiel in apothekenpflichtigen Erkältungsmitteln. Werden diese Stoffe mit Jodwasserstoff in einer chemischen Reaktion reduziert, entsteht die Droge.
Methamphetamin unterdrückt Müdigkeit, Hungergefühl und Schmerzen. Je häufiger es eingenommen wird, desto mehr gewöhnt sich der Körper an die Droge, so dass die Dosis stetig erhöht werden muss, damit die Wirkung erreicht wird.
Die Zeitspanne bis zum Wirkungseintritt der Droge hängt von der Einnahmeart ab. Wird es gespritzt oder geraucht, tritt die Wirkung sofort ein, wird es oral eingenommen, dauert es 30 bis 45 Minuten. Die Wirkungsdauer variiert zwischen sechs und 48 Stunden, da die Droge vom Körper sehr langsam abgebaut wird.
Bei Abhängigen stellen sich oft Haarausfall, Zahnschäden, Hautentzündungen und Aggressivität ein. Wird Methamphetamin fehlerhaft hergestellt, erhöht sich das Risiko der Einnahme.
Die Preise für Methamphetamin variieren je nach Region, das Gramm kostet zwischen 65 und 85 Euro. Es ist günstiger als Kokain, das pro Gramm bis zu 90 Euro kostet.
Während der Blitzkriege gegen Polen und Frankreich 1939/40 wurde Methamphetamin unter dem Namen Panzerschokolade von vielen Soldaten, Fahrzeugsführern und Piloten verwendet, um Müdigkeit und Angst zu unterdrücken. Unter dem Handelsnamen Pervitin wurde die Droge noch bis in die Achtziger hinein zur Leistungssteigerung verwendet.
Überraschung, weil keiner der Fraktionskollegen dem ehemaligen Innenexperten eine Verbindung zu Drogen zugetraut hätte, erst recht nicht - wie nun kolportiert wird – zu Crystal Meth. Bestürzung, weil hier wohl mit großer Wahrscheinlichkeit eine weitere Politikerkarriere beendet sein wird. Und Angst, weil nach den noch zu frischen Erfahrungen der Edathy-Affäre niemand mit Sicherheit sagen kann, ob sich bei der Aufhebung von Hartmanns Immunität alle Eingeweihten korrekt verhalten haben.
Fassungslos blickten gestern viele Genossen nun bereits auf den dritten SPD-Bundestagsabgeordneten nach Jörg Tauss und Edathy, der offenbar mit dem Gesetz in Konflikt gerät. „Ich glaube das noch nicht“, war einer der häufigsten Sätze. Es gelte die Unschuldsvermutung, ein anderer. Einem Fraktionskollege fiel nur ein Wort ein: „Tragödie“.
Die Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht betonte: „Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Arbeit der Staatsanwaltschaft. Die Vorwürfe müssen schnell und umfassend aufgeklärt werden.“ Aus Rücksicht auf die Ermittlungen werde es keine weitere Kommentierung durch die Fraktion geben.
Hartmann selbst war zunächst für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Er ist der zweite SPD-Bundestagsabgeordnete, bei dem ein Antrag auf Aufhebung der Immunität in der laufenden Legislaturperiode gestellt wurde. Ausgerechnet am Tag der Durchsuchung bei Hartmann wurde der Edathy-Untersuchungsausschuss eingesetzt.
Der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy hatte im Februar sein Bundestagsmandat niedergelegt. Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt gegen den SPD-Politiker wegen Verdachts auf Erwerb und Besitz von Kinderpornografie.
Der Ausschuss soll unter anderem die Rolle des Bundeskriminalamts und der Frage nachgehen, ob Edathy vorab vor den Ermittlungen gewarnt wurde. Der Fall hatte die schwarz-rote Koalition in eine Krise gestürzt. Der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) war wegen der Affäre im Februar von seinem Amt als Agrarminister zurückgetreten. Er hatte Monate zuvor als Innenminister Informationen über die Vorwürfe gegen Edathy an die SPD-Spitze weitergegeben.