CSU-Kritik an Justizminister Maas „Nicht der Algorithmus ist das Problem“

Auch Algorithmen können Menschen diskriminieren, meint Justizminister Maas und bringt gesetzliche Regelungen ins Spiel. Die CSU-Netzexpertin Bär lehnt das ab, weil sie findet, das geltende Recht sei ausreichend.

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Der Ruf nach schärfere Regeln für die Netzwirtschaft wird lauter. Quelle: dpa

Berlin Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) stößt mit seinem Gesetzesvorstoß zu Algorithmen von Internetunternehmen auf Widerstand beim Koalitionspartner. „Mir ist das etwas zu einfach. Nach dem Motto: Es gibt ein Problem, lasst uns ein Gesetz machen und das Problem ist nicht mehr da“, sagte die CSU-Staatssekretärin Dorothee Bär dem Handelsblatt. „Stattdessen müssen wir beispielsweise prüfen, wie sich die bestehenden Antidiskriminierungsgesetze anwenden lassen, denn natürlich haben diese online wie offline gleichermaßen zu gelten“, fügte die Vorsitzende des CSU-Netzrates und des CSUnet, einem Arbeitskreis für Netzpolitik der CSU, hinzu.

Maas hatte seine Überlegungen am Montag in einer Grundsatzrede bei einer Konferenz seines Ministeriums in Berlin vorgestellt. Konkret fordert der Minister ein digitales AGG, ein Antidiskriminierungsgesetz für Algorithmen – „gegen digitale Diskriminierung und für vorurteilsfreies Programmieren“, wie er sagte. Technischer Fortschritt dürfe nicht zu gesellschaftlichem Rückschritt führen, betonte der Minister. Deshalb sei ein rechtlicher Ordnungsrahmen notwendig, „der viel Raum für Innovationen bietet, aber den Einsatz von diskriminierenden Algorithmen verhindert“.

Wenn etwa soziale oder wirtschaftliche Scoring-Verfahren eingesetzt würden, könne daraus eine „gefährlichen Gleichung“ werden, nach der positive Daten Vorteile und Teilhabe und negative Daten Nachteile und Ausgrenzung bedeuteten. „Deshalb brauchen wir mehr Transparenz von Algorithmen. Und wir brauchen eine behördliche Kontrolle, um die Funktionsweise, Grundlagen und Folgen von Algorithmen überprüfen zu können“, sagte Maas.

Ein Algorithmus ist ein Berechnungsverfahren für ein mathematisches Problem. Er sortiert und organisiert zum Beispiel Informationen. In vielen Fällen lernt ein Algorithmus selbstständig dazu – je mehr Informationen er verarbeitet, desto besser wird sein Ergebnis. In der Praxis ist ein Algorithmus zum Beispiel der Computercode, der die Rangliste der Google-Suche erstellt. Aber auch Navigationsgeräte enthalten Algorithmen, Onlinewerbung basiert ebenfalls auf ihnen.

Die CSU-Politikerin Bär gab zu bedenken, dass „die ganze Materie wesentlich komplexer“ sei, als das Bundesjustizministerium sich das vorstelle: „Nicht der Algorithmus an sich ist das Problem, ohne den zum Beispiel Suchmaschinen oder bestimmte Anwendungen nicht mehr funktionieren würden, sondern die Verwendung und der Kontext, in dem er eingesetzt wird“, sagte die CSU-Politikerin. Maas‘ Vorstoß sieht sie daher als reines Wahlkampfmanöver. „Plakative Forderungen eignen sich vielleicht für einen Wahlkampfflyer, gehören aber nicht in einen Gesetzentwurf.“

Auch aus der CDU gab es schon Kritik an den Maas-Plänen. „Die Aussagen von Maas zeugen von einem grundsätzlichen Unverständnis von Algorithmen: Oft ist es ja gerade deren Aufgabe, zu diskriminieren“, sagte der digitalpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Thomas Jarzombek, dem Handelsblatt. Immer dann, wenn jemand bei Google etwas suche, werde eine Auswahl an Suchergebnissen gezeigt und Millionen anderer Ergebnisse würden diskriminiert. „Anders kann es aber kaum gehen“, betonte der CDU-Politiker. „Algorithmen sind so komplex, dass wir heute nicht einmal die der Abgasreinigung in den Autos durchdrungen haben. Wie soll das dann bei Google und Co. funktionieren?“


Nationaler Digitalrat soll sich um Algorithmen kümmern

Mit scharfer Kritik hatten auch Verbände der Digitalwirtschaft reagiert. „Mit diesem Vorschlag sendet die Bundesregierung das völlig falsche Signal an internationale Investoren, die digitale Wirtschaft und Tech-Start-ups in Deutschland“, sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder dem Handelsblatt. Das Bundesjustizministerium schaffe Verunsicherung, wo Planungssicherheit gebraucht werde. Und es schrecke Leistungsträger ab, die wir in Deutschland halten oder nach Deutschland bringen sollten.

„Deutschland geht so erneut einen Sonderweg und schneidet sich von digitalen Entwicklungen ab“, kritisierte Rohleder. „Pixellandschaften in Online-Landkarten, Löschorgien in sozialen Netzwerken und jetzt Bremsklötze für technologische Innovationen – das ist das Gegenteil dessen, was Deutschland braucht, um zu einem weltweit führenden Digitalstandort zu werden.“ Schon beim Facebook-Gesetz gegen Hasskriminalität im Netz sei offenbar geworden, „wie schwer sich das Bundesjustizministerium bei der Suche nach Antworten auf die digitalen Herausforderungen tut“, so Rohleder. Mit seinem Algorithmen-Vorstoß werde nun erneut klar, „wie wichtig es ist, in der kommenden Legislaturperiode eine kompetente Stelle für Digitalpolitik innerhalb der Bundesregierung zu etablieren“.

Von einem „überflüssigen und innovationsfeindlichen“ Gesetz sprach auch Oliver Süme, Vorstand Politik und Recht beim Branchenverband Eco. „Algorithmen sind per se ohnehin erstmal diskriminierungsfrei und entfalten erst im Kontext des jeweiligen Geschäftsmodells, in dem sie eingesetzt werden, evaluierende Funktionen“, sagte Süme dem Handelsblatt. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Offenlegung der zugrundeliegenden Algorithmen käme aber einer Verpflichtung zur Veröffentlichung von Geschäftsgeheimnissen gleich und „würde jeden Wettbewerbsvorteil vernichten“. „Damit sabotiert der Bundesjustizminister ganz klar das Ziel von Wirtschaftsministerin Zypries, Deutschland zum Standort Nr. 1 für Industrie 4.0 zu machen.“

Die CSU-Politikerin Bär setzt indes auf ein Projekt, dass die Union in der kommenden Legislaturperiode angehen will. CDU und CSU wollten einen Nationalen Digitalrat einführen, der sich mit möglichen Gefahren durch Algorithmen, aber auch anderen Fragen „differenzierter auseinandersetzen wird, als das derzeitige Bundesjustizministerium“, sagte sie.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hält eine Prüfung der Algorithmen durch eine Digitalagentur aus mehreren Gründen für „nicht zielführend“. Zum einen, weil Algorithmen weit verbreitet seien und ständig angepasst würden oder selbst lernten. „Eine Prüfung jedes Algorithmus in Deutschland ist daher eine Mammutaufgabe, die in dieser Form personell und finanziell kaum zu bewältigen sein dürfte“, so die Forscher.

Algorithmen zu prüfen, stelle einen „großen bürokratischen Aufwand“ dar, der nicht nur für große, amerikanische Plattformen anfallen würde. „Auch kleine deutsche Start-ups würden hiervon stark getroffen“, warnte das IW. „Dies ist ein Standortnachteil für Deutschland, das ohnehin bei Gründungen unter anderem hinter den USA herhinkt.“

Algorithmen seien überdies wesentlicher Bestandteil vieler digitaler Geschäftsmodelle. „Müssen Unternehmen sie offenlegen – und sei es nur bei einer Behörde –, könnte dies dazu führen, dass sie hierzulande weniger in Innovationen investieren“, befürchten die IW-Experten. „Schlimmstenfalls könnten die betroffenen Unternehmen ihr Angebot einschränken.“

Statt Unternehmen zu verpflichten, Geschäftsgeheimnisse zu offenbaren, rät das IW der Politik daher, Konsumenten weiterzubilden, „um sie zu mündigen, digital affinen Bürgern zu machen“. Denn nur wer mehrere Informationskanäle nutze, sei weniger anfällig für Manipulationen.

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