CSU zum Türkei-Deal „Die verbale Kraftmeierei sollte man sich sparen“

Das EU-Parlament will visafreies Reisen für türkische Bürger nur erlauben, wenn das Land seine Anti-Terror-Gesetze ändert. Das aber schließt die Regierung in Ankara aus. Für die CSU ein inakzeptables Verhalten.

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Mit seinen Drohungen gegen die EU stößt der türkische Präsident Erdogan auf scharfe Kritik. Quelle: dpa

Berlin Die stellvertretende Vorsitzende der CSU, Angelika Niebler, schließt im Streit über die Anti-Terror-Gesetzgebung der Türkei Zugeständnisse an Ankara aus. „Die türkische Seite muss wissen, dass die Bedingungen für Visaerleichterungen für die EU nicht verhandelbar sind. Das widerspräche nicht nur unserem rechtstaatlichen Grundverständnis, sondern liefe auch unseren Interessen, zum Beispiel im Bereich in Inneren Sicherheit zuwider“, sagte die Europaabgeordnete dem Handelsblatt. „Die EU wird ihre Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzen.“

Niebler hält es jedoch aus EU-Sicht für verfrüht, über Alternativen nachzudenken, sollte das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei scheitern. „Übereilte Reaktionen hielte ich gegenwärtig nicht für angemessen. Noch ist der Zeitrahmen nicht ausgeschöpft“, sagte die CSU-Politikerin. „Der Ball liegt ganz klar im Feld der türkischen Regierung, auch sie muss ein Interesse am Zustandekommen des Abkommens mit der EU haben.“ Denn die „menschenverachtende Schleuserkriminalität“ könne auch die Türkei nicht ignorieren. „Insofern sollte man sich die verbale Kraftmeierei sparen“, fügte Niebler hinzu.

Hintergrund ist die Weigerung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Anti-Terror-Gesetze seines Landes wie von der EU gefordert zu ändern. Im Streit um die Visumfreiheit wird auch die Zukunft des Flüchtlingspakts zwischen der Türkei und der EU immer ungewisser. Erdogan-Berater Burhan Kuzu drohte mit Blick auf die Abgeordneten des Europaparlaments via Twitter: „Sollten sie eine falsche Entscheidung treffen, schicken wir die Flüchtlinge.“

Der Vorsitzende der Europa-Grünen, Reinhard Bütikofer, empfahl der EU-Kommission und der Bundesregierung sich für den Fall zu wappnen, dass das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei scheitert. „Wenn es so weit kommt, dann sollte man gleich Nägel mit Köpfen machen - das heißt, nicht eine B-Variante mit einer Abschottungsstrategie versuchen, sondern ein Konzept entwickeln, das humanitären Kriterien entspricht“, sagte der Europaabgeordnete dem Handelsblatt. „Die kolportierte Überlegung, man könnte vielleicht einige griechische Inseln in quasi extraterritoriale EU-Flüchtlingslager verwandeln, wird nicht zu realisieren sein.“

Bütikofer plädierte auch dafür, dass Deutschland eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen festlegt. Er nahm dabei Bezug auf den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU), der im vergangenen Jahr eine Obergrenze von maximal 200.000 Flüchtlingen pro Jahr vorgeschlagen hatte. „Heute braucht es in Deutschland ironischerweise wahrscheinlich schon erheblichen Mut, eine solche Größenordnung neuerlich in den Raum zu stellen. Den sollten wir aber aufbringen“, sagte Bütikofer. „Das wäre das Mindeste.“ Eingebettet werden müssten die von Deutschland zu leistenden Anstrengungen in Absprachen mit anderen EU-Ländern in einer „Koalition der Willigen“, fügte der Grünen-Politiker hinzu. „Eine verbindliche Verteilungsquote kann realistischerweise dafür nicht zur Voraussetzung gemacht werden.“


Zeitplan für visafreies Reisen nicht mehr zu halten

Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, glaubt indes nicht mehr an ein Aufheben der Visumpflicht für Türken im angestrebten Zeitrahmen bis Ende Juni. Es sei „absolut außerhalb jeder Diskussion“, dass das Europaparlament mit den Beratungen beginne, wenn Ankara die Voraussetzungen für die Visumfreiheit nicht erfüllt habe, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch im Deutschlandfunk. Er habe deshalb die Vorlage der EU-Kommission nicht an den zuständigen Justizausschuss weitergeleitet.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) äußerte sich einem Bericht der „Bild“-Zeitung zufolge skeptisch, dass die Türkei alle Voraussetzungen für die Visumfreiheit erfüllen wird. Erdogan sei offenbar „nicht bereit, die Kriterien zu erfüllen“, sagte de Maizière demnach unter Berufung auf Teilnehmer der Sitzung der Unionsfraktion am Dienstag in Berlin. „Wenn nicht, dann wird es keine Visafreiheit geben“, wurde der Minister zitiert.

Die Änderung der Anti-Terror-Gesetze ist eine von fünf noch offenen Bedingungen, bevor die Visumpflicht für Türken bei Reisen in den Schengen-Raum aufgehoben werden kann. Nach dem Willen der EU soll die Türkei die bislang recht weit gefasste Definition von Terrorismus umgestalten, damit die Gesetze tatsächlich der Verfolgung von Terroristen dienen - und nicht gegen politische Gegner oder unliebsame Journalisten missbraucht werden können.

Die Visumfreiheit ist integraler Bestandteil des Flüchtlingspakts, in dem sich die Türkei zur Rücknahme von Flüchtlingen verpflichtet, und war bis Ende Juni angestrebt. Erdogan hat Änderungen an den Anti-Terror-Gesetzen in den vergangenen Tagen aber wiederholt ausgeschlossen. Am Dienstag hatte er gesagt, er hoffe, dass die Visumfreiheit spätestens im Oktober komme. Das war der angepeilte Zeitrahmen vor dem Flüchtlingspakt vom März, den der auf Druck Erdogans bald aus dem Amt scheidende türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu mit der EU ausgehandelt hatte.


Türkei sagt Nein zur Änderung der Anti-Terror-Gesetze

Der türkische EU-Minister Volkan Bozkir machte am Mittwoch deutlich, dass die Gesetzgebung seiner Ansicht nach schon jetzt den Vorgaben genüge. „Ohnehin entspricht das Anti-Terror-Gesetz der Türkei den EU-Standards“, sagte Bozkir dem türkischen Sender NTV in Straßburg. Eine Änderung sei damit nicht nötig und auch nicht akzeptabel.

Schulz sagte mit Blick auf die fünf noch offenen Punkte in dem Abkommen: „Es geht nämlich nicht um die Quantität, sondern um die Qualität, und in der Qualität ist es so, dass zwei der wesentlichsten Voraussetzungen, Datenschutz und Anti-Terror-Paket, sichtlich nicht nur nicht erfüllt sind, sondern nicht mal angepackt sind“, bemängelte der Sozialdemokrat.

Schulz forderte Erdogan zum Einlenken auf: Die Türkei müsse klarstellen, wann sie das Parlament in Ankara über die Maßnahmen beraten lassen wolle. „Dann könnten wir uns überlegen, wie wir unsere Fahrpläne hier anpassen.“ Für eine Verabschiedung der Novelle im Oktober müsse Ankara unverzüglich mit den Beratungen beginnen.
Mit dpa

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