DAK sagt Adipositas den Kampf an Deutschlands dickes Problem

Fast ein Viertel der Bevölkerung ist adipös. Fettleibigkeit ist verantwortlich für über 60 Folgeerkrankungen. Trotzdem ist sie nicht als behandlungsbedürftige Erkrankung anerkannt. DAK-Chef Rebscher möchte das ändern.

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16 Millionen Menschen in Deutschland zwischen 18 und 79 Jahre sind fettleibig – und damit anfällig für viele Folgekrankheiten. Quelle: dpa

Berlin Die Analyse ist dramatisch. Und der aktuelle Gesundheitsreport der Deutschen Angestelltenkrankenkasse (DAK) ist nicht der erste, der sich mit dem Thema beschäftigt. 16 Millionen Menschen in Deutschland zwischen 18 und 79 Jahre sind fettleibig. Das bedeutet, sie haben einen Body-Mass-Index (BMI) von über 30. Das ist nahezu ein Viertel der Bevölkerung. Der Anteil der Menschen mit extremer Adipositas, also einem BMI von über 40, hat sich zwischen 1999 und 2013 mehr als verdoppelt.

Als übergewichtig (BMI 25 bis 30) gelten 44 Prozent der Männer und 29 Prozent der Frauen. Normal- und Untergewichtige sind inzwischen in Deutschland eindeutig mit 32 Prozent der Männer und 45 Prozent der Frauen in der Minderheit. Dabei errechnet sich der BMI wie folgt: Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch Körpergröße in Metern zum Quadrat.

Alles nicht so schlimm, könnte man meinen – getreu dem Julius Cäsar zugeschriebenen Motto: Lasst dicke Männer um mich sein. Würde das Dick-Sein nicht auch oft krank machen. Über 60 Begleiterkrankungen gehen mit der Fettleibigkeit einher. Das IGES Institut hat für die DAK sieben davon näher unter die Lupe genommen: Brustkrebs, Darmkrebs, Arthrose, Bluthochdruck, Schlaganfall, koronare Herzkrankheit und Diabetes Typ zwei. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass pro Jahr 4,4 Millionen Erkrankungen in diesen Bereichen mit Fettleibigkeit einhergehen und 32.400 Todesfälle. 630.000 gesunde Lebensjahre gehen pro Jahr durch Fettleibigkeit verloren.

Was tut die Gesundheitspolitik bislang dagegen? Viel zu wenig, meint DAK-Chef Herbert Rebscher. „Es gibt in Deutschland eine deutliche Unter- und Fehlversorgung bei der Therapie von extremem Übergewicht“, sagt auch Hans-Dieter Nolting vom IGES-Institut, das die Studie im Auftrag der DAK erstellt hat. So existiere bislang kein gesetzlich geregelter Versorgungspfad, den adipöse Menschen nutzen könnten. Oft würden nur die Folgeerkrankungen medizinisch behandelt, nicht aber das zu Grunde liegende Übergewicht.

Und so kommt es, dass nur ein Prozent der Versicherten mit einer dokumentierten Adipositas im vergangenen Jahr eine Kostenerstattung für eine Ernährungsberatung von der DAK erhalten haben. Die sogenannte multimodale Therapie, bei der versucht wird durch eine Veränderung der Lebensführung und Ernährungsgewohnheiten eine Gewichtsreduktion zu erreichen, nutzten gerade mal 0,025 Prozent der Erkrankten. Verdreifacht hat sich bei der DAK allerdings in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Magen-OPs bei fettleibigen Menschen.

Das bedeutet: Gehandelt wird erst, wenn es gar nicht mehr anders geht. Nolting: „Zur Zeit werden außer chirurgischen Eingriffen wie künstlicher Magenverkleinerung kaum Behandlungen auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen durchgeführt.“


Längere Lebenszeit durch Therapieumstellung

Die DAK würde das gerne ändern. „Wir müssen beim Thema Adipositas umdenken und das Gesundheitssystem fit für die Zukunft machen“, sagt Kassenchef Rebscher. „Anstatt auf Wunderpillen oder Wunderdiäten zu warten, sollten die existierenden, vor allem konservativen Maßnahmen auf den Stand es heutigen Wissens in die Regelversorgung integriert und den Betroffenen konsequent angeboten werden.“ Und so könne das aussehen: Stellt der Hausarzt bei einem Patienten Fettleibigkeit, also einen BMI von über 30 fest, sorgt er für eine Überweisung an einen ernährungsmedizinisch qualifizierten Arzt. Dieser Arzt soll dann im Rahmen einer Basistherapie die folgende Ernährungstherapie begleiten. Das heißt: An ein erstes Gespräch mit dem Arzt schließt eine mehrmonatige Betreuung durch eine Ernährungsfachkraft an. Der Arzt kontrolliert dabei einmal im Quartal den Erfolg der Betreuung.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Bisher sei nämlich, so Rebscher, eine Ernährungstherapie in Deutschland gar nicht als Heilmittel zugelassen. Sie gehört also gar nicht zur Regelversorgung – im Gegensatz zur chirurgischen Behandlung. Die hält der DAK-Report nur bei starkem Übergewicht mit einem BMI von über 40 für sinnvoll. Operiert werden dürfe aber nur, wenn anschließend eine systematische Langzeitbetreuung des Patienten sichergestellt sei, meint Matthias Blüher, Leiter der Adipositas-Ambulanz für Erwachsene an der Universitäts-Klinik Leipzig. „Ernährungsberatung, Blutuntersuchungen und Rehabilitationssport sollten zu einer optimalen OP-Nachsorge gehören“, sagt er.

Eine wichtige Voraussetzung sei darüber hinaus die Anerkennung von Adipositas als behandlungsbedürftige chronische Erkrankung im Sinne der Weltgesundheitsorganisation und der Aufbau entsprechender Versorgungsstrukturen. Die aber könne es nur geben, wenn die Finanzierung nicht einzelnen Krankenkassen überlassen werde, so wie es nach geltendem Recht der Fall sei. Die Kosten einer Adipositas-Behandlung müssten vielmehr wie dies bei anderen chronischen Krankheiten auch der Fall sei, in den Finanzausgleich der Krankenkassen einbezogen werden, so Blüher.

Das Problem sei nämlich, dass eine bessere Therapie der Fettleibigkeit erst einmal vor allem mehr kostet. Nach dem Berechnungen des IGES-Instituts geht es um Mehrkosten von 1,2 Milliarden Euro pro Jahr, wenn nur 15 Prozent der Erkrankten auf die neuen Versorgungsangebote eingehen würden. Die Einsparungen durch mehr gesündere Versicherte würden dagegen lange auf sich warten lassen. Zwei Millionen weniger Übergewichtige in zehn Jahren sind nach Einschätzung des Instituts erreichbar. Weil damit auch Folgeerkrankungen ausbleiben, könnten nach zehn Jahren allein Klinikkosten von 1,2 Milliarden Euro pro Jahr eingespart werden.

Eigentlich imposanter ist aber der Gewinn für die Menschen: Zehn Jahre nach der Umstellung auf die neue Behandlungsmethode könnten zwei Millionen Menschen weniger adipös sein, nach 20 Jahren drei Millionen. Auf lange Sicht könnten mithin 1,5 Millionen Krankheitsfälle im Jahr vermieden werden. Es gäbe 10.400 weniger Todesfälle. Unter dem Strich brächte die Therapieumstellung, wenn nur 15 Prozent der Betroffenen mitmachen, 220.000 gewonnene gesunde Lebensjahre.

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