Das deutsche Integrationsproblem „Wir sollten über eine Kindergartenpflicht nachdenken“

Quelle: imago images

Was läuft in Deutschland schief bei der Integration – und was ist nun zu tun? Der Bildungsökonom Ludger Wößmann fordert: Wir müssen bei den Kindern ansetzen.

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WirtschaftsWoche: Herr Wößmann, seit den Silvesterkrawallen ist die Debatte über unsere Integrationsprobleme wieder voll entbrannt. Für CDU-Chef Friedrich Merz liegt das Problem vor allem bei „Jugendlichen aus dem arabischen Raum, die nicht bereit sind, sich hier in Deutschland an die Regeln zu halten“. Hat er Recht?
Ludger Wößmann: Das ist mir viel zu pauschalisierend und auch in der Tonalität wenig hilfreich. Wir dürfen trotz der Silvesterkrawalle nicht vergessen, dass die große Mehrheit der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland gut integriert ist. Was nichts daran ändert, dass wir ein offenkundiges Problem haben: Es gibt in manchen Ballungsräumen Gruppen junger Migranten, die den Rechtsstaat herausfordern und unsere freiheitlich-demokratische Ordnung nicht anerkennen. Die Akzeptanz unserer grundlegenden Werte und gesellschaftlichen Normen sollten – und müssen – wir von jedem Menschen in diesem Land einfordern.

Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, um die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern – und auch ihre Integrationsbereitschaft?
Der Fokus muss auf der Schule und auf den Familien liegen. Der zentrale Schlüssel zur Integration ist Bildung – und zwar vom Kindesalter an. Dazu zählt an erster Stelle der Spracherwerb. Wer die Sprache des Landes nicht beherrscht, in dem er lebt, kann sich auf Dauer nicht wirklich integrieren. Und dann wird es auch schwerer, ein Auskommen und einen Arbeitsplatz zu finden. Gewaltexzesse entstehen nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit. Um es klar zu sagen: Schulische und berufliche Bildung sind die Grundlage für die Teilhabe am Arbeitsleben – und damit für Lebensperspektiven, soziale Aufstiegschancen und Integration.

Merz fordert verbindliche Sprach- und Einschulungstests für alle Kinder. Der richtige Weg?
Das Ziel ist richtig, der Weg nicht. Es wäre kontraproduktiv, Kindern mit mangelhaften Deutschkenntnissen den Schulzugang zu verwehren. Das würde die Situation verschärfen. Die Forschung ist hier eindeutig: Kinder können eine neue Sprache im alltäglichen Austausch mit Muttersprachlern geradezu aufsaugen. Wir müssen daher bereits vor der Einschulung ansetzen.

Zur Person

Und wie?
Wir sollten in Deutschland analog zur Schulpflicht über eine Kindergartenpflicht nachdenken, von der die Eltern die Kinder nur bei stichhaltigen Begründungen befreien lassen können. Vier- und fünfjährige Kinder mit Sprachdefiziten sollten bereits in der Kita speziell gefördert werden und mehrmals pro Woche mit einer Fachkraft eine Stunde Deutsch üben. Klar, das kostet Geld, zahlt sich aber auf lange Sicht für die Gesellschaft aus. Im Übrigen auch für die Wirtschaft: Funktionierende Integration hat auch eine ökonomische Dimension.

Was nützt die Sprachförderung in Kita und Schule, wenn im Elternhaus kein Deutsch gesprochen wird?
Sicher, Kindergarten und Schule sind nicht allmächtig. Wenn zu Hause nicht auf Deutsch kommuniziert wird, ist das ein Problem. Wir können den Menschen aber nun mal nicht vorschreiben, in welcher Sprache sie zu Hause sprechen.

von Sonja Álvarez, Max Biederbeck, Sophie Crocoll, Daniel Goffart, Max Haerder, Christian Ramthun

Welche Rolle spielt die Schule für die gesellschaftliche Einbindung speziell von Jugendlichen?
Eine bedeutende. Wir haben an den Schulen über Jahre die politische Bildung und Demokratieschulung vernachlässigt. Wir müssen der politischen und staatsbürgerlichen Bildung an den Schulen deutlich mehr Raum geben, und zwar an allen Schulen, gerade auch außerhalb der Gymnasien. Und wir müssen – auch den Eltern – die hohe Bedeutung einer beruflichen Qualifikation vermitteln. Bei Akademikern liegt in Deutschland die Arbeitslosenquote bei rund 2,5 Prozent, bei Menschen mit Berufsabschluss bei 3,5 Prozent – bei Menschen ohne Berufsausbildung aber bei über 20 Prozent.

Ökonomen sind sich einig, dass die Fachkräftelücke in Deutschland auch durch mehr Zuwanderung geschlossen werden muss. Aber könnte das die Integrationsprobleme unserer Gesellschaft nicht weiter verschärfen?
Nicht, wenn wir bei der geregelten Zuwanderung einen klaren Fokus auf Bildungsstand und berufliche Qualifikation legen. Die Pläne der Bundesregierung gehen zum Glück in diese Richtung. Fakt ist: Wer in der Arbeitswelt integriert ist, ist in der Regel auch gesellschaftlich integriert. Davon trennen muss man natürlich das Asylrecht. Hier geht es um ein Grundrecht, da kann der Bildungshintergrund naturgemäß keine Rolle spielen.

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Welche Rolle für die Integration spielt die regionale Verteilung? Ist es gut oder schlecht, wenn Zuwanderer sich dort niederlassen, wo bereits viele Landsleute leben?
Da gibt es zwei gegenläufige Effekte. Studien zeigen, dass eine regionale Ballung dabei helfen kann, dass Zuwanderer schneller einen Job im eigenen Umfeld finden – wobei das oft keine qualifizierten Beschäftigungen sind. Zugleich lässt sich nachweisen, dass eine starke Ansammlung von Menschen bestimmter Herkunft in einer Region die Integration hemmt. Das gilt vor allem für die Kinder und ihren Spracherwerb. Daher sollte der Staat bei künftigen Flüchtlingswellen in Deutschland dafür sorgen, dass die Verteilung der Menschen regional gleichmäßiger erfolgt und eine zu starke Ballung an einzelnen Orten vermeiden.

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