Das deutsche Straßendilemma Wir fahren auf einem Haufen Schrott

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Die große Geldverteilungsmaschine

Im Rahmen der Möglichkeiten seines knurrigen Erscheinungsbildes hat Michael Groschek erkennbar gute Laune, als er Mitte Dezember vor die wichtigsten Unternehmer tritt, die sich in Nordrhein-Westfalen darum kümmern, Dinge von A nach B oder, häufiger, von Rotterdam nach Köln zu bringen. Der nordrhein-westfälische Verkehrsminister sagt: „Die Probleme der Zukunft unterscheiden sich grundsätzlich von denen der Vergangenheit, und das ist diesmal eine gute Nachricht: Der deutsche Straßenverkehr wird in den nächsten Jahren mit Geld geflutet, wir müssen jetzt zusehen, dass wir überhaupt dazu kommen, es auszugeben.“ Einmal im Jahr treffen sich die Bauunternehmer und Spediteure des Landes zum Verkehrskongress der Handelskammer Düsseldorf, für Groschek ein verlässlich unangenehmer Termin. Nirgendwo gibt es so viele Staus wie in seinem Bundesland, nirgends sind die Straßen in so schlechtem Zustand. Doch in diesem Jahr ist alles anders, schon auf dem Weg zum Podium erhält der SPD-Minister freundlichen Applaus.

Grund dafür ist der Bundesverkehrswegeplan, ein Hunderte Seiten schweres Ungetüm, an dem die interessierte Öffentlichkeit schon nach der zweiten Silbe ihr Interesse verliert. Dieses Desinteresse schien man lange auch in der Düsseldorfer Staatskanzlei zu teilen, und so ließ man es geschehen, dass das größte und am dichtesten besiedelte Bundesland in dem Plan nur eine untergeordnete Rolle spielte. Dabei ist dieser Plan eine gigantische Geldverteilungsmaschine. Was hier mit dem richtigen Buchstabenkürzel versehen ist, das wird gebaut. Und 2016 profitiert davon nach Jahren auch Groscheks Verantwortungsbereich, gut ein Viertel aller Gelder für den Straßenbau sollen in den kommenden Jahren nach NRW fließen. Groschek feiert das auf seine eigene Weise: „Vor uns liegt jetzt ein Jahrzehnt der Baustellen.“

Leider aber zeigt der Fall Leverkusen: Damit fangen die Probleme erst an.

Sanierung, das klingt ja erst mal unspektakulär. Die Straße oder Brücke ist schon da, sie muss nur wieder in Schuss gebracht werden. Untersuchungen, ob der Boden das Bauwerk trägt oder die Anwohner den Lärm aushalten, kann man sich sparen. In der Praxis aber ist es genau umgekehrt. „Erneuerungsbauten sind heutzutage zum Teil aufwendiger als neue Projekte“, sagt der Oberstraßenbauer Herr Raithel, „Sie brauchen genauso viele Genehmigungen wie bei einem Neubau und müssen sich zugleich noch überlegen, wie Sie während des Baus den Verkehr am Laufen halten.“ Um das nachzuvollziehen, genügt im Falle der Leverkusener Brücke schon ein kurzer Blick auf die Landkarte. Auf der westlichen Flussseite folgt auf die Brücke nach ein paar Kilometern das Autobahnkreuz mit der A 57, das allein wäre kein Problem. Auf der östlichen Seite aber liegt ein weiteres Autobahnkreuz, das sich direkt an die Brückenauffahrt anschließt und von den Bauingenieuren „Spaghettikreuz“ genannt wird. Die Ursache für die verworrene Form: Der Autobahnknoten windet sich um und über eine der gefährlichsten Mülldeponien Deutschlands.

Seit den Zwanzigerjahren hatte Bayer in dieser Gegend seine Abfälle verbuddelt, den Moden der Zeit entsprechend nahezu undokumentiert und ohne bekannte Auflagen. Stattdessen freute man sich gar noch über den praktischen Nebeneffekt, dass die Müllkippe den dahinter beginnenden Ortsteil Leverkusens vor Hochwassern schützte. Noch beim Bau der Brücke in den Sechzigerjahren nahm man die inzwischen geschlossene Müllkippe als Geländeunebenheit einfach hin, für den Bau des Autobahnkreuzes versuchte man die Eingriffe zwar gering zu halten, schnibbelte letztlich aber doch ziemlich freimütig darin herum.

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