Das ökonomische Profil des neuen Bundeskanzlers Für Scholz folgt die Wirtschaft dem Staat, nicht andersherum

Zäsur nach 16 Jahren Angela Merkel: Olaf Scholz wird Bundeskanzler. Doch wofür steht er? Quelle: imago images

Olaf Scholz löst Probleme. Und wenn sich die Probleme wandeln, verändern sich seine Lösungen. Mit diesem wirtschaftspolitischen Pragmatismus schaffte er es nun bis ins Kanzleramt. Ein Kommentar.

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Im Wahlkampf hatte es Olaf Scholz auf eine Partei und dabei auf einen Minister ganz besonders abgesehen. Die CDU sei eine Gefahr für den Standort Deutschland, verkündete der SPD-Kanzlerkandidat von fast jeder Bühne. Was er damit meinte, schickte er meist direkt hinterher. Dann tadelte Scholz das, was er Peter Altmaiers „Stromlüge“ nannte. Erst auf den letzten Metern seiner Amtszeit habe der Wirtschaftsminister kleinlaut eingeräumt, dass die deutsche Wirtschaft in Zukunft viel mehr erneuerbare Energie benötige als bisher eingeplant. Spät genug, um keinen Konflikt mit seiner eigenen Fraktion mehr eingehen zu müssen. Zu spät. Ha! Man konnte dem Sozialdemokraten die grimmige Fassungslosigkeit dann ansehen.

Wahlkampfattacken, natürlich, auch ein bisschen gespielte Empörung, aber doch mehr als das. Aus den gezielten Spitzen sprach Scholz‘ Überzeugung, dass die Wählerinnen und Wähler seiner Partei nur dann ihre Stimmen geben, wenn sie künftig ihm und nicht mehr den Schwarzen die Führung des Landes zutrauen. Eines Industrielandes, wohlgemerkt.

Das war der eine, der taktische Aspekt. Der andere rührt an seinen politischen Charakter: Scholz ist ohne Zweifel ein Staats-Mann. Er glaubt zutiefst an die Notwendigkeit tatkräftiger Politik nicht nur für den sozialen Ausgleich und gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern auch als Voraussetzung für ein prosperierendes Land. Einem starken Staat folgt eine starke Wirtschaft, nicht andersherum.

Gerade die verschluderte und verbummelte Energiewende passt deshalb ausgesprochen gut, um seine Überzeugung auszubuchstabieren: es ist die öffentliche Hand, die Stromtrassen ermöglichen, Verfahren beschleunigen und Wind- und Solarparks erst schaffen muss, damit deutschen Unternehmen günstigen, sicheren und saubere Energie bekommen. Anders gesagt: Ordnungspolitik bedeutet für Olaf Scholz ordnende Politik, die Wettbewerbsfähigkeit überhaupt erst begründet.

Das macht den Wirtschaftspolitiker, der heute als Bundeskanzler gewählt und vereidigt wird, allerdings schwer zu fassen. Mit den gängigen Gegensatzpaaren wie Markt oder Staat ist ihm nicht beizukommen. Scholz hat beispielsweise schon in Hamburg Jugendberufsagenturen ins Leben gerufen, die dem leicht dahin gesagten Satz „Kein Kind zurücklassen“ erst eine behördliche Unterfütterung gaben. Das liberale Ideal der Chancen- und Bildungsgerechtigkeit – dank funktionierender Bürokratie.

Am ehesten ist Scholz jemand, der Probleme identifiziert und Lösungen sucht. Was dann bedeutet, dass diese Lösungen je nach Problem sehr unterschiedlich ausfallen können. Ein Maschinist und Pragmatist der Macht.

Als Deutschland noch der kranke Mann Europas war, half Scholz unter Gerhard Schröder tatkräftig mit, die Agenda 2010 durchzusetzen (ein Umstand, der ihm bei vielen Genossen lange unmöglich machte). In der Finanzkrise verhalf er der Kurzarbeit zu einer ersten Renaissance. Im Amt des Ersten Kaufmanns-Bürgermeisters Hamburgs bekam dann der Hafen nicht weniger Aufmerksamkeit als der Kita- oder Wohnungsbau. Später nannte Scholz sich selbst einen „deutschen Finanzminister“, solange die Einnahmen sprudelten, und weil er wusste, dass die Republik der Bausparer und Eigenheimzulagenkrämer keinen Hallodri an der Kasse mag. Erst als die Pandemie das Land lahmlegte, holte der Neokeynesianist der Krise mit Wumms die Bazooka raus.



Womöglich wäre Olaf Scholz eines Tages sogar bereit, eine Agenda 2030 konzipieren. Aber nur, wenn die Verhältnisse sie ihm abnötigen würden. Bis dahin ist er der Kanzler, der den Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen, die Renten nicht antasten und Hartz IV – jedenfalls dem Namen nach – ausradieren wird.

Mehr Flexibilität wagen. Fortsetzung folgt.

Mehr zum Thema: Liberaler Kaufmanns-Bürgermeister oder doch linker Steuermann? Annäherung an einen Mann, der nicht so leicht auszurechnen ist. 

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