Das Wichtigste zum Wochenende Man könnte meinen, es braucht keinen Lockdown mehr

Bahnmitarbeiter kontrollieren im Hamburger Stadtteil St. Pauli die Einhaltung der 3G-Regeln. Quelle: dpa

Unser Autor hat derzeit ein ungutes Gefühl – weil es wegen Corona immer mehr Kontrollen gibt, und selbst privat Fragen nach dem Impfstatus. Dazu: warum Sicherheitsleute knapp werden, Omikron nicht Xi heißen durfte – und was von der Verteidigungsstrategie von Ex-Wirecard-Chef Markus Braun zu halten ist. Lesen Sie hier den Weekender, den Überblick über alles Wichtige dieser Woche.

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Im Newsletter Weekender der WirtschaftsWoche stellen Chefredakteur Beat Balzli und Vize-Chefredakteur Hauke Reimer jeden Freitag Highlights der neuen Ausgabe und der Webseite wiwo.de vor: persönlich, subjektiv, nicht immer ausgewogen, mit Einblicken in den Redaktionsalltag. Bisher ging der Brief als E-Mail an die Abonnenten und Abonnentinnen. Wir haben festgestellt: Viele nehmen dieses Angebot gern an. Um noch mehr von Ihnen zu erreichen, veröffentlichen wir den Weekender ab sofort immer am Freitag auch auf wiwo.de.

Corona tut dem Klima in diesem Land nicht gut. Das Misstrauen nimmt zu. Im öffentlichen Raum wird kontrolliert, im privaten, mehr oder weniger verdruckst, die Frage „bist Du geimpft?“ gestellt. Ungeimpfte, Impfunwillige, Impfgegner bekommen die volle Wucht gesellschaftlicher Ablehnung zu spüren – und jetzt auch harte Sanktionen.

Andrea Ammon, Chefin der EU-Epidemiologiebehörde (ECDC), warnt vor dem Spaltpotenzial einer allgemeinen Impfpflicht. „Eine Impfpflicht kann polarisieren“, sagt die Medizinerin. „Sie kann dazu beitragen, dass sich mehr Leute impfen lassen, aber auch dazu, dass Leute, die noch Fragen haben, völlig zurückschrecken.“

Lesen Sie hier das vollständige Interview: Die Chefin von Europas Infektionsschutzbehörde, Andrea Ammon, nennt die erfolgreichsten Strategien raus aus der Coronapandemie.

Besser wird es nicht werden in den nächsten Tagen, und nach den harten Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz. Demnächst werden wir wohl auch unter dem Weihnachtsbaum checken müssen, ob die liebe Verwandtschaft geimpft ist.

Dazu kommt dieses ständige miese Gefühl. Kennen Sie das? Auf dem Bahnsteig kommt Ihnen ein Polizist entgegen, und schon kontrollieren Sie unwillkürlich, ob die Maske wirklich über der Nase sitzt? Ich hatte das zuletzt als 20-Jähriger, in meinem alten Renault: immer ein schlechtes Gefühl bei Polizisten, weil die Karre abgefahrene Reifen hatte oder sonst irgendwas nicht vorschriftsmäßig funktionierte.

Es wird noch viel mehr Kontrollen geben. Sicherheitsleute werden schon knapp, hat meine Kollegin Sonja Álvarez recherchiert. Klar, Verkäufer im notleidenden Einzelhandel haben Besseres zu tun, als zu kontrollieren. Sie müssen verkaufen, was noch geht. Also brauchen alle Sicherheitsleute. Vielleicht hilft ja ein höherer Mindestlohn, und dass die künftige Bundesregierung die Zuverdienstregeln ändern will. Bisher haben Hartz-IV-Empfänger, die eine Arbeit aufnehmen, danach oft weniger Geld, als wenn sie es sein lassen, rechnet Sophie Crocoll vor.

Kontrolle in der Bahn? Fehlanzeige

In der Bahn wollte übrigens noch niemand von mir Impfpass oder Test sehen. Dabei wäre hier schnell kontrolliert, die ICE sind leer wie lange nicht mehr (aber trotzdem unpünktlich wie immer). Wer sich im Land umschaut, bekommt den Eindruck, es braucht überhaupt keinen Lockdown mehr. Die meisten fahren von ganz allein ihre Kontakte zurück. Es ist ein Erlebnis der besonderen Art, beim sonst immer ausgebuchten Lieblingsitaliener der einzige Gast zu sein. Restaurantbesitzer können einem leidtun. Meine Kollegen Cornelius Welp und Andreas Macho haben mit einigen gesprochen. Am schwierigsten, sagt die Frankfurter Gastro-Größe James Ardinast, sei die Ungewissheit vor dem Lockdown. Wenn die Virenticker heiß laufen, dann zuerst Mediziner und danach Politiker dazu aufrufen, Kontakte einzuschränken, wenn dann Gäste Reservierungen stornierten und Tische leer bleiben. So wie vor einem Jahr. Und so wie jetzt wieder.

Noch einen obendrauf gesetzt auf das allgemeine Angstlevel hat die Omikron-Variante, obwohl die im Moment unsere kleinste Sorge sein sollte, wie mein Kollege Thomas Kuhn in seinem Daily Punch „Vergesst Omikron“ geschrieben hat. Andere kamen übrigens auf die gleiche Idee – zwei Tage später.

Immerhin: Die Hoffnung, dass das neue Virus sich zwar schneller verbreitet, aber schwächer wirkt und damit ein Abklingen der Epidemie oder zumindest ein normales Leben mit dem Virus möglich wird, besteht noch. „In zwei, drei Wochen werden wir wissen, ob die gängigen Impfstoffe noch wirksam sind und ob zuvor mit Delta Infizierte immun sind,“ sagt EU-Seuchenbekämpferin Ammon.

Bis dahin bleiben die Börsen im Sägezahnmodus, mal hoch, mal runter. Wer Gewinne hat, sollte an den oberen Zacken ruhig mal ein paar mitnehmen, rät meine neue Kollegin Julia Groth. So mancher hat ein Déjà-vu, auch wenn es nicht so übel werden dürfte, wie im Frühjahr 2020, als die Börsen crashten, ob der Alpha-Variante des Virus.

Lesen Sie hier, warum Anleger jetzt Gewinne mitnehmen sollten.

Sollten Sie ausgecasht haben – wenn Sie unsere BörsenWoche lesen, sollte das drin sein – dürfen Sie sich ruhig was gönnen, einen neuen Kühlschrank, zum Beispiel. So sparen Sie Energie, tun etwas fürs Klima – und machen Menschen wie Carla Kriwet glücklich, mit der sich Beat Balzli diese Woche im Podcast Chefgespräch unterhalten hat. Im Juli 2020 hat diese den CEO-Posten von BSH übernommen, Europas größtem Hausgerätehersteller mit über 60.000 Mitarbeitern, mit den Marken Bosch, Siemens, Gaggenau. Kriwet, deren Vater Heinz Kriwet Vorstands- und Aufsichtsratschef von Thyssen war (ich durfte ihn in den Neunzigerjahren mal im hochherrschaftlichen Wasserschloss Hugenpoet bei Essen erleben: ein Stahlmanager wie aus dem Bilderbuch der alten Deutschland AG), erzählt im Podcast, dass sie ursprünglich Entwicklungshelferin in Burundi werden wollte, wie ihre Karriere auch von Männern gefördert wurde, und warum sie gerade extrem viele Geschirrspüler in China verkauft. BSH, so viel steht fest, ist Corona-Profiteur. My home is my castle – Cocooning boomt in diesen Pandemiezeiten.

Carla Kriwet erzählt im Podcast, warum sie ursprünglich Entwicklungshelferin werden wollte, gerade extrem viele Geschirrspüler in China verkauft – und intelligente Waschmaschinen Teenager zu neuen Menschen machen.
von Beat Balzli

Und die werden wohl noch eine Weile anhalten. Wenn es übel läuft, werden wir noch einige weitere Buchstaben des griechischen Alphabets lernen. Mir jedenfalls sagte Omikron vor zwei Wochen noch nichts. Eine Art, humanistische Bildung zu erwerben, auf die wir alle wohl gern verzichtet hätten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO, habe ich bei der Deutschen Welle gelesen, verpasst auch weniger wichtigen Mutanten griechische Buchstaben: „Epsilon“, „Zeta“, „Lambda“ sind schon weg. Jetzt wäre eigentlich „Ny“ dran gewesen, das klang aber wie „New“ und schied deshalb aus. Als nächstes kommt „Xi“. Genau. „Xi“, so wie Xi Jinping, der chinesische Staatspräsident. Donald Trump hätte ein Virus namens Xi sicher gefallen, den Chinesen wohl weniger, und mit denen hat die WHO ohnehin schon genug Trouble.

Fest steht: In Sachen Corona spielte China nicht mit offenen Karten, wie auch auf vielen anderen Feldern nicht. Die Chinapolitik, der Spagat zwischen Menschenrechtsmahnungen und Exportinteressen, hat unser Berliner Büro recherchiert, könnte eine der ersten Sollbruchstellen der Ampelkoalition werden. Die Grünen wollen Angela Merkels konziliante Chinapolitik beenden, der künftige Kanzler Olaf Scholz dagegen will genau die weiterführen. Er ließ Chinas Präsidenten Xi Jinping schon mal ausrichten, dass er die von Wirtschaftsinteressen geleitete Politik Merkels fortführen werde. Postillon d‘amour, das haben Diplomaten in Brüssel und Berlin unserer Korrespondentin Silke Wettach übereinstimmend bestätigt, war EU-Ratspräsident Charles Michel, jener Herr, der durch #Sofagate bekannt wurde.

Von #Sofagate zu #Dieselgate: Meine Kollegin Annina Reimann kann bei manchen Recherchen das sein, was die angelsächsischen Kollegen „a pain in the ass“ nennen. In den letzten Tagen hat sie Staatsanwälte so lange genervt, bis sie ihr Neues zu Verwicklungen von Continental, PSA und Mitsubishi in diverse Dieselskandale verrieten. Dabei entstand dann die Story über die smarten Continental-Manager, die das Risiko möglicher Bußgeldzahlungen an die Ex-Tochter Vitesco ausgelagert haben. Eine unangenehme Mitgift, die auch erklären könnte, warum der Aktienkurs dieses eigentlich sehr leistungsfähigen und günstig bewerteten Unternehmens nicht aus dem Quark kommt.

Normalerweise sollten wir Journalisten uns nicht mit uns selbst beschäftigen (obwohl etwas mehr Medienkritik unserer Demokratie vermutlich gut tun würde). Die Geschichte, die Peter Steinkirchner aufgeschrieben hat, reicht aber über bloße Nabelschau weit hinaus. Er schildert, wie Medienriese Bertelsmann – wobei Riese, wenn man auf Google oder Facebook schaut, auch relativ ist – seine beiden Sparten RTL und Gruner + Jahr (mit „Stern“ und „Capital“) zusammenwirft, und so einen echten Clash der Kulturen verursacht. Möglich, dass daraus auch positive Reibung entsteht, aber ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, was zum Beispiel die WiWo davon hätte, wenn sie mit ProSieben fusioniert würde.

Obwohl, eins fällt mir ein: Wir könnten zusammen einen Film über Wirecard machen. An einen Dokumentarfilm von Sky und der ARD haben die WiWo-Investigativreporter und Autoren des besten aller Wirecard-Bücher, Melanie Bergermann und Volker ter Haseborg, schon mitgewirkt. Aber an einem ProSieben-Spielfilm noch nicht. Bis der kommt, lege ich Ihnen unsere Titelgeschichte ans Herz. Präzise, faktenreich und gnadenlos zerlegen die beiden die Verteidigungsstrategie der Anwälte und PR-Berater von Ex-Wirecard-Chef Markus Braun, der nichts gesehen, nichts gehört und nichts gewusst haben will – wie die drei berühmten Affen.

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