Datenschutzgrundverordnung Merkel torpediert neue EU-Datenschutzregeln

In zwei Wochen tritt die EU-Datenschutzverordnung in Kraft. Bundeskanzlerin Merkel warnt plötzlich vor den Folgen – und muss dafür Kritik einstecken.

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Bundeskanzlerin Merkel bei der Kreisvorsitzenden-Konferenz der CDU: Kritik an den neuen EU-Datenschutzregeln. Quelle: dpa

Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat vor den negativen Folgen der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) für die Wirtschaft gewarnt.

Natürlich müssten die Menschen über ihre Daten verfügen können. Es müsse aber aufgepasst werden, dass die Regeln nicht „unpraktikabel“ ausfielen, sagte Merkel am Mittwoch bei einer Konferenz von CDU-Kreisvorsitzenden in Berlin. So werde sich beispielsweise die Künstliche Intelligenz ohne den Umgang mit großen Datenmengen nur so entwickeln „wie eine Kuh, die kein Futter kriegt“.

Zuvor hatten sich Vertreter der Wirtschaft kritisch zur DSGVO geäußert, die am 25. Mai in Kraft tritt. Das Regelwerk verlangt von Unternehmen umfangreiche Anpassungen. Vor allem soll der Verbraucherschutz und der transparente Umgang mit Daten gestärkt werden.

Der Präsident des Industrieverbands BDI, Dieter Kempf, warb dafür, noch einen Weg zu finden, wie die Regelungen den Anforderungen an informationeller Selbstbestimmung genügten, aber nicht die Interessen der Industrie behinderten.

Manches sei „wirklich eine Überforderung“, sagte auch Merkel laut „Berliner Zeitung“ mit Blick auf die Wirtschaft. In anderen Ländern, wie etwa Österreich, werde die EU-Vorschrift anders realisiert als in Deutschland. Darüber werde sie nun noch einmal mit dem zuständigen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) beraten.

Die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland unterscheide sich wohl auch deswegen von anderen EU-Mitgliedsstaaten, weil die Datenschutzbeauftragten hierzulande nicht weisungsgebunden seien, so Merkel.

SPD und Grüne wiesen die Vorbehalte Merkels scharf zurück. „Wenn Frau Merkel jetzt noch einmal mit ihrem Innenminister reden will, sollte sie ihn in erster Linie beauftragen, für eine bessere Aufklärung bei Firmen, Verbänden und Vereinen zu sorgen“, sagte der Digitalexperte der Sozialdemokraten im Bundestag, Jens Zimmermann, dem Handelsblatt. „Viele der vorgebrachten vermeintlichen Probleme erübrigen sich bei genauer Prüfung oder stellen keine Veränderung zum bisherigen nationalen Datenschutzrecht dar.“

Auch von Seiten der Datenschutzbeauftragten erwarte er keine Probleme, sagte Zimmermann weiter. „Dort ist man sich der speziellen Situation bewusst und wird entsprechend handeln.“

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) plädierte in dieser Hinsicht dafür, die DSGVO „verbraucherfreundlich“ anzuwenden. „Das gilt insbesondere für Vereine, Ehrenamtliche und kleine Unternehmen“, sagte Barley der „Rheinischen Post“.

Aber allen Digitalkonzernen, die mit persönlichen Daten sehr viel Geld verdienten, müsse klar sein: „Wenn sie sich nicht an das europäische Recht halten, drohen ihnen künftig schmerzhafte Sanktionen von bis zu vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes“, sagte die Justizministerin. „Die Europäische Datenschutzgrundverordnung ist ein Meilenstein für den Schutz der persönlichen Daten.“

Auch der SPD-Politiker Zimmermann sagte, die DSGVO sei „ein wichtiger Schritt für einen europaweit einheitlichen Verbraucherschutz“. Gerade erst im Fall Facebook habe man gesehen, wie nötig dies sei.

Mit Unverständnis reagierte der Grünen-Digitalpolitiker Dieter Janecek auf den Vorstoß der Kanzlerin. „Merkelsche Schnellschüsse kurz vor der Einführung tragen nur zur Verunsicherung von Selbstständigen und sonstigen Usern bei“, sagte Janecek dem Handelsblatt. „Und wo war eigentlich in den letzten Wochen der zuständige Datenschutzminister Horst Seehofer? Statt im intensiven Dialog mit Verbrauchern und Gewerbetreibenden Sorgen abzubauen, macht er vor allem mit Tiraden gegen Kardinal Marx in Sachen Kreuzzwang von sich reden.“

Janecek erinnerte zudem daran, dass die Datenschutzgrundverordnung seit beinahe zwei Jahren in Kraft sei. Die Unternehmen hätten somit mehr als ausreichend Zeit gehabt, sich auf die Anwendung vorzubereiten.

BDI-Präsident Kempf nannte es indes einen großer Fehler, dass die DSGVO auf dem Prinzip der Datensparsamkeit basiere. In der Verordnung ist festgeschrieben, dass in Europa Daten nur noch dann erhoben, verarbeitet und genutzt werden dürfen, wenn sie einem erlaubten Zweck dienen und wenn sie überhaupt erforderlich sind.

Kempf meinte dagegen, im Rahmen einer informationellen Selbstbestimmung sollten die Bürger selbst entscheiden können, welche Daten erhoben und verwendet werden. „In Zeiten der Datenvielfalt ist Datensparsamkeit einfach das falsche Bauprinzip“, sagte Kempf kürzlich bei einer Veranstaltung in Potsdam.

Als Beispiel führte der BDI-Chef den Autozulieferer Bosch an, der kürzlich ein automatisches Frühwarnsystem für den Verkehr vorgestellt habe, das drohende Kollisionen im Vorfeld erkenne. „Ich wüsste nicht, wie wir das nach der DSGVO unterbringen könnten.“ Es müsse daher intensiv darum gerungen werden, die „Version zwei“ der DSGVO zu diskutieren, sagte Kempf. Es gehe darum, wie aus der Datensparsamkeit ein Prinzip der Datensouveränität gemacht werden könne.

Thomas Bareiß, Staatssekretär beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, hob allerdings die DSGVO als große Errungenschaft hervor, die die europäischen Staaten gemeinsam geschaffen haben. Es gelte, das Spannungsverhältnis zwischen ökonomischen Chancen und den Risiken abzuwägen. Notwendig sei ein verbindlicher Rechtsrahmen, der Grundrechte schütze und Geschäftsmodelle ermögliche.

Fast alle großen Firmen versuchen derzeit, mit der Auswertung großer Datenmengen (Big Data) neue Geschäftsmöglichkeiten auszuloten. Auch das Interesse bei Daimler sei es, einen Mehrwert zu schaffen, sagte Guido Vetter, Datenspezialist des Automobilkonzerns. Jeder einzelne Fall werde jedoch inzwischen danach untersucht, ob er datenschutzrechtlich zulässig sei.

Durch die DSGVO seien Testdaten quasi nicht mehr legal zu erheben, klagte Axel Keßler von Siemens. Der Konzern erhebe sie inzwischen deshalb in China oder den USA. Die Grundverordnung schreibe „exzessive Informationspflichten vor“, sagte Keßler. „Die sind kaum zu bewältigen.“

Für Kempf ist jedoch nicht alles schlecht an den neuen EU-Regeln. Immerhin sei die DSGVO doch sinnvoller, als in 28 Ländern verschiedene Gesetze zum Datenschutz in Europa befolgen zu müssen, sagte er.

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