Datensparsamkeit „Ein Push für den Markt“

Das Prinzip der Datensparsamkeit ist in Zeiten von Big Data vielen Wirtschaftsvertretern ein Dorn im Auge. Allerdings birgt der Grundsatz aus Expertensicht viele ökonomische Chancen, sofern die Firmen umdenken.

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Das Prinzip der Datensparsamkeit ist ab 2018 für alle EU-Staaten verpflichtend. Quelle: dpa

Berlin Die Digitalwirtschaft ist skeptisch, ob man mit Datensparsamkeit eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung von Daten und einen effektiven Datenschutz in Einklang bringen kann. Anders als das Bundesjustizministerium, das auch aus verbraucherschutzrechtlicher Sicht insbesondere den Datenschutz im Blick hat. Doch diese Maxime bedeutet nicht zwingend einen Wettbewerbsnachteil. Staatssekretär Ulrich Kelber (SPD) verwies kürzlich in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt vielmehr auf die vielen Vorteile und nannte als Vorbild in dieser Hinsicht das Silicon Valley.

„Dort sind Firmen auf dem Weg, den nachhaltigen Umgang mit den Daten ihrer Kunden zum Wettbewerbsvorteil zu machen“, erklärte Kelber. Diesen Vorteil habe Deutschland schon, dank des Grundsatzes der Datensparsamkeit. „Ihn aufzugeben, wäre also auch wirtschaftlich Unsinn.“ Abgesehen davon lässt sich das Prinzip der Datensparsamkeit ohnehin nicht mehr infrage stellen. Nach der jüngst verabschiedeten Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union ist das Prinzip für alle Mitgliedstaaten ab dem Jahr 2018 bindend.

Deshalb schlägt Kelber auch im Sinne der hiesigen Wirtschaft vor, die anstehende Harmonisierung des europäischen Datenschutzes dafür zu nutzen, Konzepte zu entwickeln, wie Big-Data inklusive Datensparsamkeit aussehen und funktionieren kann. Was Kelber „Datensparsamkeit 4.0“ nennt, soll am Ende die Behauptung widerlegen, dass zwischen Big-Data und Datensparsamkeit ein großer Widerspruch besteht. Denn, gibt der SPD-Politiker zu bedenken, nur wer unbegrenzt werben, ausforschen und steuern möchte, müsse wissen, welche Person sich hinter einem Datum verbirgt. „Alle übrigen Analysen funktionieren sehr wohl erfolgreich mit anonymisierten Daten“, so Kelber.

Der Wirtschaft ist das zu kurz gedacht. Der Vorstandschef der Hypo-Vereinsbank, Theodor Weimer, plädierte jüngst in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt für Gesetze und Strukturen, „die dem neuen Produktionsfaktor Daten Raum geben“, gleichzeitig wandte er sich aber gegen den Grundsatz der Datensparsamkeit und das Prinzip der Zweckbindung, weil beides „diametral mit den Möglichkeiten der Big-Data-Analyse und der ökonomisch sinnvollen Nutzung des Datenreichtums“ kollidiere. Ähnlich hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geäußert. In einer kürzlich gehaltenen Rede beim Tag der Deutschen Industrie betonte sie, dass Daten der Rohstoff der Zukunft seien und daher „das uns einst vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Prinzip der Datensparsamkeit nicht mehr zur heutigen Wertschöpfung passt“.

Die Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Marit Hansen, hält von derlei Thesen wenig. Die von einigen Politikern vertretene Ansicht, das Prinzip der Datensparsamkeit müsse dem Prinzip der „Datensouveränität“ geopfert werden, sei Unsinn. „Die Prinzipien dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern können in Einklang gebracht werden“, sagte Hansen dem Handelsblatt. Dies habe Staatssekretär Kelber ganz richtig erkannt. „Während Datensparsamkeit manchmal übersetzt wird mit einer Art unzeitgemäßer Enthaltsamkeit, was personenbezogene Daten angeht, funktionieren neue Ansätze auf Basis von innovativen technischen Lösungen.“


„Eine große Chance für deutsche Firmen mit innovativen Lösungen“

Die neue europäische Datenschutzgrundverordnung erwarte von allen Datenverarbeitern, „dass sie ihre Systeme überprüfen und Risiken für die Bürger und Verbraucher minimieren“, machte die Datenschützerin deutlich. Jede Firma, die in Europa aktiv sei, habe dann Bedarf an sogenannten „Privacy-by-Design-Lösungen, bei denen der Datenschutz von Anfang an eingebaut ist“. Hansen sieht hier viel Potential für die Wirtschaft. „Ich erwarte einen Push für den Markt, weil die Nachfrage nach Datenschutz-Lösungen nun deutlich zunehmen wird – eine große Chance auch für deutsche Firmen mit innovativen Lösungen“, so Hansen.

Aus Hansens Sicht enthält der „Werkzeugkasten für Datensparsamkeit 4.0“ vielseitige Lösungen, die das Datenschutz-Forschungslabor längst verlassen hätten und einen viel breiteren Einsatz verdienten, aber noch nicht allen bekannt seien.

Als Beispiel nannte sie etwa Ausweise. Während herkömmliche Identitätsdokumente bei jedem Vorzeigen gleich seien, könne man digitale Ausweise technisch so bauen, dass sie jedes Mal verschieden aussähen und doch weiterhin überprüfbar seien. „Der Inhaber kann dadurch nicht getrackt werden“, sagte Hansen.

Das Vorzeigen des vollständigen Ausweises sei überdies nicht notwendig, wenn es lediglich darum gehe, die eigene Volljährigkeit nachzuweisen. „Noch nicht einmal das Geburtsdatum ist dafür nötig, sondern nur das automatisch berechnete Ergebnis „ist mindestens 18 Jahre alt“. Das könne beispielsweise der deutsche elektronische Personalausweis.

Für Big-Data-Analysen, in denen Zusammenhänge oder Trends im Vordergrund stehen, reicht es aus Hansens Sicht aus, anonymisierte Daten zu verwenden. „Identifizierende Informationen werden herausgenommen oder die Daten durch Zusammenfassen oder Einfügen von Unschärfen so verändert, dass die Analyse immer noch gute Ergebnisse liefert, ohne dass Risiken für die Betroffenen bestehen“, erläuterte die Datenschützerin. Und wo ein Personenbezug unerlässlich sei, komme man häufig mit Pseudonymen aus.


Digitale Wirtschaft trommelt gegen Datensparsamkeit

Die Digitalwirtschaft fürchtet indes, durch mehr Regulierung ins Hintertreffen zu geraten. „Datensparsamkeit steht der Lebenswirklichkeit einer digitalen Gesellschaft diametral entgegen“, sagte kürzlich der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom), Bernhard Rohleder, dem Handelsblatt. „Denn Daten, die nicht erhoben werden, können auch nicht sinnvoll genutzt werden – für eine bessere medizinische Versorgung, zur Vermeidung von Staus und Unfällen oder für mehr Sicherheit.“ Dass dabei die Privatsphäre geschützt werden müsse, sei selbstverständlich.

Auch Oliver Süme, Vorstand beim Internetverband eco, glaub nicht, „dass uns so ein offensives Label wie Datensparsamkeit 4.0 bei der Lösung der Frage weiterhilft, wie wir die wirtschaftlich sinnvolle Nutzung von Daten und einen effektiven Datenschutz in Einklang bringen können“. Der Schlüssel für einen souveränen Umgang mit den eigenen Daten seien vielmehr „transparente Datenverarbeitungsprozesse und eine konstruktive Debatte über eine sinnvolle Klassifizierung von Daten“, sagte Süme dem Handelsblatt.

Dabei spielten beispielsweise die Pseudonymisierung und die Etablierung von Branchenstandards eine wichtige Rolle. Beides sei im neuen Datenschutzrecht auch angelegt. „Darauf müssen wir aufbauen“, so Süme.

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