De Maizière trifft Scholz Die Kunst des klugen Kompromisses

Thomas De Maizière und Olaf Scholz bei der Buchvorstellung

Der ehemalige CDU-Bundesminister Thomas de Maizière hat mit „Regieren“ einen Insiderbericht aus dem Maschinenraum der Macht geschrieben, der dem amtierenden SPD-Vizekanzler besonders gut gefällt.

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Es gibt viele Routinen im politischen Berlin, eine funktioniert so: Wenn ein Politiker ein Buch geschrieben hat, lädt er einen anderen Vertreter seiner Zunft ein, um das Werk vorzustellen. Im besten Fall hat derjenige das Buch wirklich ein bisschen gelesen. Und im allerbesten Fall gehört er einer anderen Partei an als der Autor. Da wirkt ein Lob gleich doppelt ehrlich.

Thomas de Maizière hätte also niemand Besseren finden können als Olaf Scholz. Der frühere CDU-Innenminister und der heutige SPD-Finanzminister kennen sich lange, sie duzen und schätzen sich. Und sie ähneln einander. Beide gelten als fleißige Aktenfresser, als Handwerker im Maschinenraum der Macht. „Ich war die Büroklammer, er der Scholzomat“, sagt de Maizière.

Sein neues Buch heißt schlicht „Regieren“ und verspricht „Innenansichten der Politik“. Der Christdemokrat erklärt darin die Routinen des Exekutive, Prozesse und kleine Spielchen. Er beschreibt aber auch konkrete Entscheidungen, die er in seinen Ämtern auf Landes- und Bundesebene treffen musste, etwa im Flüchtlingsherbst 2015.

Man kann das Buch als Anleitung zum guten Regieren verstehen. Da passt es umso mehr, dass Olaf Scholz zur Buchvorstellung ins Haus des Familienunternehmens am Brandenburger Tor gekommen ist. Jener von seiner Kanzlerfähigkeit überzeugte Sozialdemokrat also, der selbst seit Jahren „ordentliches Regieren“ als Leitmotiv für sich in Anspruch.

Das Buch sei gut, sagt Scholz zum Auftakt seiner Kurzkritik. De Maizière sei ein „ganz feiner Kerl“. Und das merke man, wenn man das Buch lese. Scholz hebt ein Beispiel hervor, das zeige, wie verdienstvoll die Arbeit sei, die sich sein früherer Kabinettskollege gemacht hat. „Muss man wissen, was A- und B-Frühstücke sind?“, fragt er und schiebt die Antwort gleich hinterher: Ja, klar, sollte man. Es geht dabei um die getrennten Treffen der Minister von SPD (A) und Union (B), die sich in kleiner Runde absprechen, bevor in großer Runde das Kabinett tagt. Er habe selbst nicht gewusst, woher die Bezeichnung komme, gibt Scholz zu. Das habe er erst jetzt von de Maizière gelernt: aus einer Sitzung der Kultusministerkonferenz in den 1970er Jahren.

Dieses Beispiel ist nur eine der vielen kleinen Geheimnisse des Regierens, die de Maizière in seinem Buch beschreibt und damit für den interessierten politischen Laien transparent macht. Jeder politische Korrespondent in Berlin hingegen, so Scholz, müsse beim Lesen eigentlich nach jeder Seite ein Häkchen machen können. Nach dem Motto: Klar, wusste ich. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob das bei allen klappt“, sagt Scholz und lacht.

"Regieren" - Das neue Buch von Ex-Innenminister Thomas de Maizière

Überhaupt, diese Journalisten. De Maizière will mit seinem Buch einerseits Einblicke geben in die „Mechanismen im Berliner S-Bahn-Ring“. Andererseits will er klarstellen, dass man als Politiker eben nicht nur in dieser Berliner Blase lebe – anders als die Hauptstadtpresse. Der Kontakt zu den Menschen und die vielen verschiedenen Sichtweisen, die man kennenlerne, sei „eines der großen Geschenke, die man als Politiker erfahre“, sagt de Maizière.

Es fällt auf, dass er neben den Prozessen der Politik vor allem eines herausstellen möchte: die Kunst des guten Kompromisses. Auch Scholz hebt das hervor. Ihm habe das Buch auch deshalb so gut gefallen, so der Finanzminister, weil es sich klar zum Kompromiss bekenne. In der Öffentlichkeit gebe es das Ideal des guten Politikers, der keine Kompromisse mache. „Gutes Regieren funktioniert komplett anders.“ Er und de Maizière sind sich einig, dass darin ein wesentlicher Kern von Politikverdrossenheit liegt. „Wir haben die falschen Ideale“, sagt Scholz.

Es fällt auch auf, dass de Maizière sich mit politischen Inhalten zurückhält. Er habe ja nur einige Vorschläge gemacht, etwa für eine dritte Föderalismusreform, um der wachsenden Bedrohung von Cyberangriffen gewachsen zu sein, erklärt er. Es sei ihm dieses Mal eben mehr um die Prozesse und weniger um Ergebnisse und Ziele gegangen. „Dazu schreibe ich vielleicht mal ein anderes Buch.“ Bleibt die Frage, ob auch dann ein Sozialdemokrat der beste Rezensent wäre.

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