Renommierte Ökonomen wie der Amerikaner Robert Gordon argumentieren aber, dass die Innovationsdynamik in Zukunft deutlich nachlassen wird - weil bahnbrechende neue Erfindungen ausbleiben.
Von Weizsäcker: Die von Gordon beschriebenen Sättigungsphänomene kann man vernachlässigen. Es mag sein, dass viele "low hanging fruits" - also Innovationen, die einem mehr oder weniger in den Schoss fallen - abgeerntet sind. Ich sehe aber noch gigantisches Innovationspotenzial etwa auf den Gebieten Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit.
Paqué: In dem Punkt teile ich Ihren Optimismus. Neue Ideen schaffen neue Fragestellungen und diese wiederum einen Anreiz weiterzusuchen. Solche Anreize werden irgendwann Marktfrüchte tragen. Die globalen Voraussetzungen sind gut, denn bei der Innovationskraft kommt es auch auf die absolute Anzahl von Köpfen an. Chinesen, Inder, Indonesier, Brasilianer - sie alle wachsen immer stärker in die Weltwirtschaft hinein, bringen ihr Wissen ein und entwickeln es weiter. Das stärkt die Wachstumskräfte.
Umstritten ist allerdings, wie sich Wachstum und Wohlstand am besten messen und international vergleichen lassen. Das BIP, also der Wert aller produzierten Güter und erbrachten Dienstleistungen, hat als Indikator seine Schwächen.
Von Weizsäcker: Das BIP misst den Umsatz, und am Umsatz hängen Beschäftigung und Steueraufkommen. Das sind beides politische Heiligtümer...
Paqué: ...zu Recht...
Von Weizsäcker: ...und auf eine Politik der BIP-Minderung zu hoffen ist daher illusorisch. Ich würde das BIP als Wohlstandsindikator auch gar nicht abschaffen wollen, sondern es lieber relativieren. Ökonomen haben ja längst nachgewiesen, dass es keinen stabilen Zusammenhang zwischen steigendem Wirtschaftswachstum und dem persönlichen Glück der Menschen gibt.
Paqué: Das stimmt so nicht. Das Auseinanderklaffen von BIP und Lebenszufriedenheit ist wissenschaftlich umstritten. Dass steigende Einkommen die Zufriedenheit nicht weiter erhöhen, gilt in der Regel nur bei sehr hohen Einkommen. Bei Geringverdienern gibt es einen klaren Zusammenhang. Ich sage ganz klar: Das BIP ist als zentraler Indikator unverzichtbar. Beim BIP wissen wir genau, was wir messen. Nämlich die marktfähige Produktion einer Volkswirtschaft...
Von Weizsäcker: ...einschließlich aller Verkehrsunfälle, Überschwemmungen und sonstiger unschöner Ereignisse. Weil daran immer anschließend jemand verdient, steigt das BIP. Verkehrsunfälle als Wohlstand, das ist irgendwie absurd.
Paqué: Im Zuge des Wirtschaftens und menschlichen Zusammenlebens kommt es naturgemäß zu Schäden, und werden die beseitigt, schafft dies einen Mehrwert und erhöht die Stromgröße des BIPs. Wollen Sie die Reparatur eines Unfallwagens anders messen als einen Reifenwechsel? Wenn wir anfangen, sinnvolle und nicht sinnvolle Wertschöpfung zu unterscheiden, geraten wir in einen Sumpf von Willkür.
Von Weizsäcker: Ich gestehe Ihnen zu: Realistisch betrachtet lässt sich das BIP als zentraler Indikator - noch - nicht ersetzen. Die Kritik am BIP ist trotzdem berechtigt und jede ideologische Überhöhung dieses Indikators überflüssig. Wir haben längst Kategorien jenseits des Wachstums, etwa die Grundrechte in der Verfassung. Auch den Atomausstieg nach Fukushima haben wir unabhängig von wirtschaftlichen Fragen getroffen. Es macht keinen Sinn, zerstörerische Formen des Wachstums in die Wohlstandsmessung einfließen zu lassen. Daher müssen wir bei der Beurteilung, wie gut es einer Gesellschaft geht, eine Reihe anderer Indikatoren hinzunehmen.