Debatte um den Gasverbrauch Die Kriegsmangelwirtschaft rückt näher

Was kann eingespart werden, etwa im BASF-Werk in Ludwigshafen? Mittelfristig einiges, heißt es. Aber kurzfristig eher wenig Quelle: dpa

Kürzer duschen? Heizung mal runter? Bisher klingen Energiespar-Appelle oft wie Gedöns. Das hat sich mit Putins Griff an den Gashahn geändert. Nun, da Wirtschaftsminister Robert Habeck die „Alarmstufe Gas“ ausgerufen hat, ist Sparen – im Privaten und in der Wirtschaft – Staatsräson. Habeck stimmt auf härtere Zeiten ein. Immerhin: Für die Wirtschaft gibt es eine marktbasierte Idee.

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Es ist noch nicht viele Wochen her, da erregte Robert Habeck Aufsehen mit einer Ansage: Deutschland könne schon in diesem Winter unabhängig von russischem Gas sein, sagte er im WirtschaftsWoche-Interview. Eher unter ging in der Aufregung allerdings, dass der grüne Bundeswirtschaftsminister die Erfüllung dieser Hoffnung selbst an einige harte Bedingungen geknüpft hatte: „Wenn wir zum Jahreswechsel volle Speicher haben, wenn zwei der vier von uns angemieteten schwimmenden LNG-Tanker schon am Netz angeschlossen sind und wenn wir deutlich an Energie sparen, können wir im Fall eines Abrisses der russischen Gaslieferungen einigermaßen über den Winter kommen“, sagte Habeck. Wenn, wenn, wenn.

Aktuell sieht es so aus, als würde vieles eben doch nur Hoffnung bleiben. LNG etwa kommt bisher noch lange nicht in ausreichenden Mengen nach Deutschland – und auch der Gasfluss aus der Pipeline Nord Stream 1 droht nun ganz abzubrechen. Offiziell wegen Wartungsarbeiten, sagt Gazprom – doch diese Begründung hält Habeck für „schlicht vorgeschoben“. In Wahrheit, das macht er in diesen Tagen deutlich, sei die Drosselung politisch motiviert. Putin setzt Gas als Waffe ein, auch gegen Deutschland.

Jetzt hat die Bundesregierung reagiert und die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Was die Alarmstufe bedeutet, lesen Sie hier.

Der energiepolitische Ernstfall rückt näher

Bisher konnten sich die Bundesregierung und ihr grüner Vizekanzler – und mit ihr die Bürgerinnen und Bürger – noch einem gewissen Optimismus hingeben. Die Gasspeicher sind zu 59 Prozent gefüllt; die moralisch schwierige Realpolitik, weiter von einem Kriegstreiber Energie zu beziehen, um die eigene Konjunktur und Versorgung nicht zu gefährden, ging immerhin auf. Bis jetzt.

Schritt für Schritt rückt der energiepolitische Ernstfall näher. Erst stellte Habeck in einer Notoperation die deutsche Gazpromtochter unter Treuhandverwaltung, vor wenigen Tagen dann musste das Unternehmen mit einem Milliardenkredit der Staatsbank KfW gestützt werden. Vergangene Woche dann der nächste Paukenschlag. Der Wirtschaftsminister verkündete in den Tagesthemen: „Wenn die Speichermengen nicht zunehmen, dann werden wir weitere Maßnahmen zur Einsparung, zur Not auch gesetzlich, vornehmen müssen.“ 

Diese Länder haben einen Alarm bei der Gaslieferung ausgesprochen

Gesetzlich vorgegeben ist, dass Verbraucher und kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser als letztes das Gas abgedreht bekommen, die Wirtschaft wäre vorher dran. In der vergangenen Woche noch stellte Habeck den Start einer groß angelegten Kampagne fürs Energiesparen  vor. Aber da hieß es, das solle eher den Charakter von Empfehlungen haben, auf Augenhöhe. Getragen wird die Sparkampagne auch von einem Bündnis von Handwerk, Industrie, Gewerkschaften, Verbraucherschützern und vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Nun will Habeck auch eine Absenkung der Heiztemperatur in Häusern zumindest nicht mehr ausschließen. Man schaue sich alles an, sagte Habeck vergangene Woche.  Ein Dementi war das nicht. Der Städte- und Gemeindebund bringt bereits eine Absenkung der Temperaturvorgaben bereits ins Spiel. BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae sagt zwar, die Gasversorgung laufe derzeit stabil. Dennoch sei die Entwicklung „besorgniserregend, insbesondere mit Blick auf den Winter.“ Um so wichtiger sei die Befüllung der Speicher in den nächsten Monaten. „Der Aufruf der Bundesregierung, Energie zu sparen, kommt im richtigen Moment.“ Es wird tatsächlich ernst.

Das betrifft auch große Teile der Wirtschaft. Rund ein Drittel des Erdgases wird in Deutschland von privaten Haushalten verbraucht. Aber eben auch 27 Prozent von der Industrie, vor allem von der Chemie, der Lebensmittelproduktion, dem Stahl. Rund 18 Prozent werden für die Erzeugung von Strom verwendet, rund sechs Prozent für die Erzeugung von Fernwärme, rund elf Prozent von Gewerbe, Handel und Dienstleistungen. So war es jedenfalls nach Berechnungen des Analyse- und Beratungsunternehmens Prognos und des Berliner Think Tanks Agora Energiewende im Jahr 2021.

Im Notfall hat die Netzagentur den Überblick

Das genaue, kurzfristige Einsparpotenzial in den einzelnen Wirtschaftszweigen ist bereits in den vergangenen Monaten Gegenstand intensiver Diskussion gewesen. Es ist die Bundesnetzagentur, die, was die Daten betrifft, mittlerweile den genauesten Überblick haben dürfte. Sie hat im Mai eine Erhebung bei Verbrauchern mit einer Anschlusskapazität von mehr als 10 Megawatt in der Stunde durchgeführt. Die Daten hier sollen allerdings zur Anwendung kommen, wenn die Bundesregierung die dritte Stufe des „Notfallplans Gas“ ausruft, den Notfall. Seit diesem Donnerstag, den 23. Juni, gilt bereits die zweite Stufe, die „Alarmstufe.“

Vor allem für den Mittelstand werden derzeit viele, kurzfristig umsetzbare Energiesparmöglichkeiten genannt, denn sie ähneln in vielerlei Hinsicht dem privaten Konsum: geringere Gebäudetemperaturen, Lichter aus, Einbau von Wärmepumpen, effizientere Nutzung von Druckluft.

Die großen Konzerne halten sich dagegen mit der Verkündung von Einsparpotenzialen zurück, den gerade in Branchen, in denen für die zentralen Produkte sehr hohe Prozesstemperaturen weit über 200 Grad erforderlich sind, ist der Umstieg auf andere Brennstoffe schwierig und die Gefahr, dass es zu Produktionsausfällen kommt, eher hoch – und damit zu weiteren Wachstumseinbußen.

BASF: Sonderalarmplan Erdgas

BASF etwa benötigt das meiste Gas an seinem Verbundstandort in Ludwigshafen, der zweitgrößte Verbraucher ist der Standort Antwerpen. Der Chemiekonzern insgesamt ist ein Gas-Großverbraucher. Bereits bei den ersten Meldungen über die reduzierten Gasmengen sackte der BASF-Aktienkurs Mitte dieser Woche kräftig ab.    

Konkret betrug der Erdgasverbrauch in Ludwigshafen 2021 in etwa 37 Terrawattstunden (TWh), davon wurde etwa die Hälfte für die Strom- und Dampferzeugung verwendet, die Hälfte aber auch als Rohstoff. In der Chemieindustrie ist Erdgas auch als Rohstoff zentral, etwa zur Ammoniakproduktion. Prozesswärme erzeugt BASF etwa in Ludwigshafen nach eigenen Angaben zur Hälfte durch Wärmerückgewinnung ohne den Einsatz von Primärenergie in den eigenen Produktionsanlagen. Die „Restlast“, heißt es, werde durch Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerke (GuD-Kraftwerke) gedeckt.

Mittelfristig ist vieles möglich, erklärt das Unternehmen, um die Abhängigkeit von fossiler Energie zu reduzieren, erklärt BASF: Eine weitere Erhöhung der Energieeffizienz, ein schneller Umstieg auf erneuerbare Energien in der Stromversorgung und neue Technologien.  Da könnten dann etwa mit Grünstrom betriebene Wärmepumpen zum Einsatz kommen, um bisher technisch nicht nutzbare Abwärme aus den Anlagen in Prozesswärme umzuwandeln. Im vergangenen Jahr hat die BASF zudem in einen Offshore-Windpark in der Nordsee investiert und langfristige Lieferverträge für Grünstrom abgeschlossen.

Doch kurzfristig lässt sich das Gas kaum ersetzen – für die Produktion bei der BASF könnte das gewaltige Folgen haben. Sollte es zu reduzierten Erdgasmengen oder sogar zu einem kompletten Ausfall von Erdgas aus Russland kommen, könnte es auch zu Kürzungen von Erdgasmengen für BASF in Ludwigshafen kommen, erklärt das Unternehmen. Dann würde die Bundesregierung den „Notfallplan Gas“ in Kraft setzen  und in Ludwigshafen würde der „Sonderalarmplan Erdgas“ greifen. Dort ist detailliert vorgedacht, wie die BASF  auf Erdgaskürzungen oder Druckschwankungen reagiert. Kurz zusammengefasst: Bleibt die Versorgung bei über  50 Prozent des maximalen Erdgasbedarfs der BASF, könnten die Anlagen mit reduzierter Last weiterbetrieben werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es unter 50 Prozent kritisch wird und der Betrieb eingestellt werden müsste.

Die Folgen hat BASF-Chef Martin Brudermüller kürzlich in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ ausgemalt: „Sollten wir kein Gas mehr zugeteilt bekommen, blieben uns für das Herunterfahren des Standorts Ludwigshafen ein paar Stunden. Dann stünde der riesige Standort zum ersten Mal in seiner Geschichte still. Wenn der Druck in den Leitungen unter 38 bar fällt, schalten sich die Anlagen automatisch ab. Es ist nicht trivial, eine Anlage, die bei hohen Temperaturen gefahren wird, binnen Stunden kontrolliert abzukühlen.“ Derzeit erfolgt die Belieferung mit Erdgas an allen europäischen Standorten der BASF allerdings „bedarfsgerecht“.



Von der Wirtschaftsvereinigung Stahl (WVS) heißt es, die Branche benötige im Jahr in etwa so viel Gas wie die Städte Berlin und München zusammen, vor allem zur Erzeugung von Prozesswärme in den Hochöfen. Kurzfristig seien erhebliche Einsparungen von Erdgas durch einen Energieträgerwechsel kaum möglich. „Kurzfristig ist Erdgas, unabhängig von seiner Herkunft, in den Prozessen kaum ersetzbar.“ Ein Einsatz von Ölbrennern etwa würde Umbauten und möglicherweise auch neue Genehmigungsverfahren erfordern. „Bei der Erzeugung von Prozesswärme sind die Potenziale technisch weitgehend ausgereizt und daher sehr limitiert.“

Sparen per Bieterverfahren

Eine Variante, um marktbasiert Gas zu sparen, hatte vor Kurzem der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ins Spiel gebracht. Es geht um einen Auktionsmechanismus ähnlich dem Mechanismus zur Stilllegung von Kohleverstromungskapazitäten. Dort werden Kapazitäten ausgeschrieben, die stillgelegt werden sollen. Dann geben die Kohleverstromer Gebote ab: Für den und den Preis würde ich diese Kapazität stilllegen. Den Zuschlag erhält derjenige Bieter, der die geringste finanzielle Gegenleistung fordert. Ähnlich, so die Idee, könnte es bei der Versteigerung von Gassparkapazitäten funktionieren. Das würde dazu führen, dass jene Unternehmen, die am ehesten auf bestimmte Verbräuche verzichten könnten, den Zuschlag für diesen Verzicht bekommen würden.

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Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur, hatte sich gegenüber diesem Konzept offen gezeigt und Holger Lösch, BDI-Hauptgeschäftsführer sagte: „Es geht weniger um eine Auktion von Gas als um die Entwicklung marktbasierter Anreize für die Gaseinsparung. In einer plötzlichen Mangellage braucht es eine flexible und schnell zu aktivierende Nachfrage, um Schäden an Produktionsanlagen zu vermeiden.“ Zusätzlich müsse es darum gehen, schon vor einer Mangellage „Gas zu sparen und einzuspeichern“, sagte Lösch. Noch hat die Bundesnetzagentur kein Konzept für einen entsprechenden Sparmechanismus vorgelegt.

Anbieten würde sich das jetzt.

Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 17. Juni 2022 veröffentlicht. Wir haben ihn aktualisiert.

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