Debatte um Impfanreize „Die deutsche Impfkampagne hat die Ungleichheit vergrößert“

Quelle: imago images

US-Präsident Joe Biden will mit Geld neue Impfanreize schaffen. Nora Szech hält das für den richtigen Weg. Es werde Zeit, dass auch die deutsche Politik ins Handeln komme, fordert die Ökonomin.

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Nora Szech ist Professorin für Politische Ökonomie am Karlsruher Institut für Technologie. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Marta Serra-Garcia hat sie erforscht, wie sich die Impfbereitschaft in der Pandemie steigern ließe. Die Studie der beiden Wissenschaftlerinnen erlangte internationale Aufmerksamkeit.

Frau Szech, US-Präsident Joe Biden empfiehlt neuerdings, 100 Dollar Belohnung an neu geimpfte Bürger auszuzahlen. Wäre das auch hierzulande der richtige Weg?
Die Ergebnisse unserer Studien legen das nahe, ja. Ohne Boni liegt die Impfbereitschaft bei etwa 70 Prozent. Ein einfacherer Zugang zu Impfstoffen kann ein bisschen helfen, ungefähr fünf Prozent Steigerung bringen, aber mit finanziellen Anreizen lässt sich die Bereitschaft noch einmal ein ganzes Stück weiter steigern. Aus den Daten ist meine Hoffnung groß, dass wir die Herdenimmunität in Deutschland mit einem Impfbonus von 500 Euro erreichen können.

Und mit etwas kleineren Anreizen – sagen wir zehn Euro oder einem Mittagessen?
Wenn dreistellige Beträge im Spiel sind, zeichnet sich ein sehr robuster Anstieg der Impfbereitschaft ab. Bei 100 Euro Bonus sind etwa 80 Prozent impfbereit, bei 500 Euro nähern wir uns sogar den 90 Prozent. Geringere Beträge können dagegen sogar demotivierend wirken. Es macht also Sinn, etwas mehr Impfbonus anzubieten. Übrigens auch aus ökonomischer Sicht: Laut Ifo-Institut liegt der Wert, den eine neu geimpfte Person für die Gemeinschaft hat, bei 1500 Euro. Das, was man den Menschen dann abgeben würde, wäre nur ein Bruchteil davon.

Prof. Dr. Nora Szech Quelle: Karlsruher Institut für Technologie

Die USA scheinen sich die Ergebnisse Ihrer Studie bereits zu Herzen zu nehmen. Die deutsche Politik ist da offenbar zögerlicher.
Unseren Informationen zufolge landete unsere Studie bereits kurz nach ihrem Erscheinen im Weißen Haus. Die Reaktion aus der US-Politik war also sofort da. In Deutschland gab es zwar auch schon früh Interesse – das war aber längst nicht so ausgeprägt wie in Übersee. Erst jetzt wacht die deutsche Politik offenbar langsam auf. Erst jetzt ist die Bereitschaft da, sich Gedanken zu machen und sich auszutauschen. Aber da ist Deutschland nun eben reichlich spät dran.

Die deutsche Politik hat es bislang also weitgehend verschlafen, Impfanreize zu setzen. Wie erklären Sie sich das?
Die Reaktion in Deutschland ist generell zögerlich. Es zeichnete sich früh ab, dass Menschen aus nicht-akademischen Haushalten mal wieder unter den Tisch fallen würden. Auch die deutsche Impfkampagne hat dazu beigetragen, die gesellschaftliche Ungleichheit weiter wachsen zu lassen. Dass uns das so egal war, hat mich sehr bestürzt. Solange noch gebildete Leute den Impfstoff wollten, hat sich die Politik wenig um die bildungsfernen Schichten gekümmert. Erst jetzt, wo wir genug Impfstoff haben, ist offenbar die Bereitschaft da, sich wirklich mal systematisch zu überlegen, wie man auch die Menschen abholt, die bis jetzt ignoriert wurden.

Gab es davor denn wirklich gar kein Interesse der deutschen Politik an Ihrer Forschung?
Ein gewisses Interesse war schon da, würde ich sagen. Und es gab auch Austausch. Aber Sie sehen ja: Umgesetzt wurde bisher viel zu wenig. Mobile Impfteams zum Beispiel sind ja sicherlich besser als gar nichts. Aber aus zig anderen Ländern, die das schon seit Monaten machen, wissen wir: Allein damit kommen wir niemals auf eine Impfquote von 85 Prozent, die es laut Robert-Koch-Institut für Herdenimmunität benötigt.

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Was lässt sich aus Ihrer Sicht noch aus dem Ausland lernen?
Die USA sind ja nicht das einzige Land, das immer mehr Impfboni auszahlt. Griechenland etwa belohnt jüngere Menschen mit 150 Euro, wenn sie sich impfen lassen. Ehrlich gesagt: Ich sehe das im Moment auch als die einzige Alternative zu einer Impfpflicht, wenn wir wirklich 85 Prozent der Bevölkerung impfen wollen. Wir kommen da sonst nicht hin, kein Land hat das geschafft. Israel hat sich bei seiner Impfkampagne größte Mühe gegeben mit mobilen Impfteams, die USA haben viel versucht – von Appellen bis zu Impflotterien. Aber es zeigte sich: Für eine Impfquote, die Herdenimmunität bedeutet, reicht das alles nicht. Nicht einmal ansatzweise.

Mehr zum Thema: Die wachsende Impfmüdigkeit in Deutschland nährt die Debatte um Privilegien und Pflichten. Ökonominnen plädieren noch für einen anderen Weg: Prämien.

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