Debatte um Innenminister de Mazière Sehnsucht nach Otto Schily

Die Union hat keinen Zweifel, dass Innenminister de Mazière seiner Verantwortung voll gerecht wird. In der SPD gibt es dagegen Zweifel an seiner Kompetenz. Manche wünschen sich den früheren Ressort-Chef Schily zurück.

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Otto Schily war einst unter Rot-Grün Innenminister: Nachdem die Unzufriedenheit mit dem amtierenden Innenminister Thomas de Maizière immer größer wird, wünschen sich manche einen Innenminister seines Schlags zurück. Quelle: Reuters

Berlin Wenn Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) einen Vorgänger von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) über den grünen Klee lobt, dann ist das erkennbar ein Misstrauensbeweis gegenüber dem Kabinettskollegen. „Nach der Ära Otto Schily ist bei der Bundespolizei elf Jahre lang von CDU-Innenministern immer nur gespart worden“, hatte Gabriel kürzlich der „Bild am Sonntag“ gesagt. Inzwischen fehlten allein 45 Millionen Euro für Hubschrauber, die dringend für die schnelle Verlegung von Spezialkräften benötigt würden. „Die Bundespolizei muss endlich angemessen ausgestattet werden – mit ausreichend Personal und mit der nötigen Technik“, forderte der SPD-Vorsitzende.

Gabriel, der sich unter dem Eindruck der jüngsten Terroranschläge in Bayern äußerte, zieht damit eine vernichtende Bilanz der Arbeit des amtierenden Innenministers. De Maizière ließ die damaligen Anwürfe naturgemäß nicht auf sich sitzen. Er betreibe schon seit Jahren einen konsequenten Kurs der Stärkung, ließ der CDU-Politiker sein Ministerium mitteilen. Doch die Kritik an de Maizière ist seitdem nicht leiser geworden, im Gegenteil.

Ob Flüchtlinge, Kriminalität oder Zivilschutz – in der SPD ist man inzwischen immer weniger davon überzeugt, ob der CDU-Politiker der Richtige ist, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Mancher äußert sogar massive Zweifel am Krisenmanagement des Ministers. „Es verwundert nicht, dass man sich bei der Bundespolizei und im Ministerium Otto Schily zurückwünscht“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs dem Handelsblatt.

Schily dürfte der SPD, sollte er heute noch im Amt sein, aber auch kaum Freude bereiten. Gilt er doch beispielsweise als vehementer Befürworter der Vorratsdatenspeicherung. Außerdem findet Schily die Amtsführung de Maiziéres alles andere als kritikwürdig. Das Auftreten des Ministers seit den Pariser Anschlägen kommentierte er einmal mit den Worten: „Das ist eine sehr abgewogene, nüchterne und kühle Herangehensweise, die ich nur befürworten kann.“

Doch inzwischen überwiegt Kritik bei den Sozialdemokraten. „Kommunikationsprobleme, mangelnde Organisation und Stockfehler im Ministeriumsapparat: der Bundesinnenminister war schon mal trittsicherer“, sagte SPD-Bundesvize Ralf Stegner dem Handelsblatt. „Wenn De Maizière jetzt auch noch seinen Ruf als penibler Beamter aufs Spiel setzt, droht er zum Mann ohne Eigenschaften zu werden.“

Die Union gibt dem Minister Rückendeckung: De Maizière stehe angesichts der hohen Terrorgefahr im Land und der anhaltenden Flüchtlingskrise unter „herausragender Belastung und einer hohen Verantwortung“, sagte der CSU-Innenexperte Stephan Mayer dem Handelsblatt. „Dieser Verantwortung wird er voll gerecht. Ich habe keinen Zweifel, dass dies nicht auch in Zukunft der Fall sein wird.“

Hintergrund der Debatte sind diverse Vorstöße des Innenministers. Zuletzt stellte de Maizière ein gut gemeintes und sinnvolles Zivilschutzkonzept vor, was jedoch dazu geführt hat, dass sich die Menschen im Land fragen, ob der Krieg vor der Tür steht und sie jetzt Lebensmittel bunkern müssen. Die gesamte Republik belustigt sich seither mit Hamsterwitzen.


Kubicki: „Performance des Innenministers ist alles andere als optimal“

Auf Kritik stieß auch, dass der CDU-Politiker die Bürger angesichts der zunehmenden Terrorgefahr zwar einerseits beruhigen will, aber gleichzeitig sagt, dass er nicht alles über die Bedrohung sagen könne, weil Teile seiner Antwort die Bevölkerung verunsichern würden. Ein Fußball-Länderspiel ließ der Minister seinerzeit absagen.

De Maizière versicherte den Menschen zudem zuletzt, ihre Sorgen angesichts der sprunghaft gestiegenen Einbruchszahlen ernst zu nehmen. Zur Abhilfe schlug er dann den Einsatz von Hilfspolizisten vor. Das sind bewaffnete Sicherkräfte mit einer dreimonatigen Kurzausbildung.

Nach den islamistischen Anschlägen von Würzburg und Ansbach warnte er einerseits, nicht in Aktionismus zu verfallen, doch dann ließ er sich von seinen wahlkämpfenden Parteifreunden in Mecklenburg-Vorpommer und Berlin in eine Debatte über das Burka-Verbot treiben, die der Minister selbst für überflüssig hält.

Vorläufiger Höhepunkt seines, wie das Handelsblatt in seiner Wochenendausgabe schreibt, „Missmanagements“, ist, dass eine eigentlich unter Verschluss zu haltende, kritische Bewertung der Türkei ohne Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt an die Öffentlichkeit gelangte und de Maizières Sprecher danach von einem „Büroversehen“ sprach. Zugleich betont der Minister aber, dass es an der Aussage nichts zurückzunehmen gebe.

Der FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki hegt ebenfalls Zweifel, ob de Maizière den Herausforderungen seines Amtes gerecht wird. „Die Performance des Bundesinnenministers ist alles andere als optimal“, sagte Kubicki dem Handelsblatt. Schon dass er die Einführung der verfassungswidrigen Vorratsdatenspeicherung maßgeblich vorangetrieben habe, „zeichnet ihn nicht gerade als Verfassungsminister aus“. „Es sieht vielmehr so aus, als schwanke de Maizière ständig zwischen inhaltlicher Überforderung einerseits und dem krampfhaften Bemühen um öffentlich präsentierte Seriosität anderseits“, meint Kubicki. Die Türkei-Kommunikationspanne sei da nur ein weiterer Mosaikstein in dem „schwachen Bild, das er als Innenminister abgibt“.

Innere Sicherheit sei einmal mal der Markenkern der CDU gewesen, sagt der SPD-Politiker Kahrs. Doch schon alleine der Umstand, dass Unions-Innenminister und -senatoren aus den Ländern ein Konzept zur inneren Sicherheit ohne den Bundesinnenminister erarbeiten und dieser anschließend drei Viertel davon einsammeln müsse, sei „kein Zeichen für gutes Regieren“.

Stegner findet es immerhin gut, „dass de Maizière das Populismus-Boot der CDU-Wahlkämpfer Henkel und Caffier mit Burka-Verbot und Abschaffung des Doppelpasses an Bord eiskalt versenkt hat“. Amateurpolizisten statt ordentlich ausgebildete Polizeikräfte einzusetzen sei aber mit der SPD nicht zu machen. Die Pläne des Ministers, die kurzfristige Einführung der Wehrpflicht im Rahmen eines Zivilschutzkonzeptes in Betracht zu ziehen, kommen ebenfalls nicht sonderlich gut bei  Koalitionspartner an. Kahrs kanzelte die Idee als „Stuss“ ab – und lobte zugleich seine Partei dafür, dass sie sich um zusätzliche Stellen und eine bessere Ausrüstung bei der Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt kümmere.


Wahltaktisch motivierte Innenpolitik

Für den Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sind viele Maßnahmen aus dem Innenministerium vor allem wahltaktisch motiviert. „Angesichts einer offensichtlich als Bedrohung wahrgenommenen AfD präsentiert man derzeit einen verfassungsrechtlich fragwürdigen Vorschlag nach dem anderen“, sagte von Notz dem Handelsblatt. Als Beispiele nannte von Notz den Einsatz der Bundeswehr im Inneren, die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung oder Überlegungen zum Knacken von Verschlüsselungen zum Schutz vor Online-Ausspähung.

Von Notz warnte, das Kalkül, „mit populistischen Vorschlägen auf die AfD zu antworten, wird nicht aufgehen. „Statt die Innere Sicherheit effektiv zu erhöhen, gefährde die Union vielmehr mit Blick auf die kommenden Wahlen den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land und unseren Rechtsstaat konstituierende Freiheitsrechte.

In dasselbe Horn stößt die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke. „Die Union will sich mit dem Thema Innere Sicherheit in den bevorstehenden Wahlkämpfen profilieren – aber heraus kommt nur Verunsicherung. Da ist auch Thomas de Maizière keine Ausnahme“, sagte Jelpke dem Handelsblatt. „Die Hardliner preschen mit absurden bis offen verfassungswidrigen Forderungen wie etwa dem Burka-Verbot voran – und anstatt dass der Verfassungsminister ein klares Stopp sagt, rennt er ihnen hinterher.“

Das sei „nicht nur schlechtes Krisenmanagement, sondern wenigstens teilweise auch Kalkül“. Die Union mache den Bürgern erst Angst und verspreche dann, ihnen diese Angst durch eine entschlossene Sicherheitspolitik zu nehmen, ist Jelpke überzeugt. Dieses Spiel sei aber verantwortungslos. „Heraus kommt dabei vor allem eine antimuslimische Stimmung, von der am Ende in erster Linie die AfD profitiert.“

Die Bürger hätten Anspruch auf Sicherheit und auf „professionelles“ Personal, das sowohl Sicherheit als auch Freiheitsrechte schützen könne. „Dazu gehören weder sogenannte Wachpolizisten mit einer Schmalspurausbildung noch Bundeswehrsoldaten mit ihren Kriegserfahrungen.“ Vielmehr müsse mit der Rotstiftpolitik im öffentlichen Dienst Schluss gemacht werden, verlangte die Linksfraktionsabgeordnete.

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