Debatte Wachstum? Nein danke!

Der Anspruch der Wirtschaft auf Wachstum trifft auf den zunehmenden Widerstand einer umweltbewegten Bevölkerung. Die Dialektik von Ökonomie und Ökologie ist die prägende Kraft der Gegenwart.

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Ein symbolischer Wahlzettel mit Kreuzen gegen den Bau der dritten Startbahn am Flughafen München bei einer Wahlparty der Startbahn-Gegner in München am 17.06.2012 Quelle: dpa

„4000 Meter Zukunft“ nennt sie die Betreibergesellschaft des Münchner Flughafens: Die geplante dritte Landebahn mache den Flughafen „fit für die Zukunft“. Die Münchener Bürger aber ließen sich durch solche Fortschrittspoesie nicht beeindrucken. 

Der Bürgerentscheid gegen die Landebahn ist nur das jüngste Beispiel von vielen Großprojekten, die in der Bevölkerung auf Ablehnung oder gar erbitterten Widerstand stoßen. Und immer öfter setzen sich die Gegner der „Zukunft“ durch. Die Bahn blieb hart im Kampf um den Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, viele andere Unternehmen kapitulieren jedoch vor dem Bürgerunmut. Der jüngste Fall: Vattenfall hat wegen des Widerstands von Bürgerinitiativen die unterirdische Verpressung von Kohlendioxid aus Kraftwerken aufgegeben, obwohl der Gesetzgeber sie grundsätzlich ermöglicht. 

Großprojekte werden von immer mehr Menschen nicht mehr als sinnvolle Investitionen eines aufstrebenden Wirtschaftsstandortes willkommen geheißen, sondern stoßen auf Ablehnung oder gar Widerstand in der Bevölkerung. 81 Prozent der Bundesbürger lehnen nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts den Bau von Kohlekraftwerken in ihrer Region ab, 64 Prozent auch den von Gaskraftwerken und 51 Prozent den von neuen Stromtrassen.

Man kann die Dimension dieser Ablehnung nicht allein durch eine Not-in-my-backyard-Mentalität erklären. Es ist nicht nur der Wunsch nach Ruhe und ungestörtem Blick auf Wald und Wiesen, der die Ablehnung treibt, sondern eine wachsende Skepsis gegenüber der Notwendigkeit großer Investitionen überhaupt. 59 Prozent der Bundesbürger glauben, dass unsere Verkehrsinfrastruktur schon gut oder sogar sehr gut ist und 64 Prozent sagen dasselbe über die Energieversorgung. Die Menschen sehen in großen Investitionen keinen Sinn mehr. 

Die Proteste gegen große Infrastrukturprojekte sind nicht nur Akte der Zukunftsverweigerung, der Bequemlichkeit oder der Technologiefeindschaft. Sie mögen im konkreten Einzelfall dumm oder kurzsichtig sein. Aber sie sind Symptome eines wachsenden Bedürfnisses in der Bevölkerung, das auch Unternehmen sehr ernst nehmen müssen. In den Protesten wird eine zunehmende Skepsis gegen das deutlich, was eine moderne Wirtschaft im Wesen kennzeichnet: der Drang nach Wachstum.

Jahrzehntelang war Wirtschaftswachstum das, was die Gesellschaft von links bis rechts und von unten bis oben einte. Wie die Wirtschaft am effektivsten wachsen könne und vor allem, wie der Wohlstand verteilt werden solle, war politisch umstritten. Unumstritten war aber, dass sie wachsen solle. Da waren sich sogar die Gegner diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs einig. Auch sozialistische Volkswirtschaften wollten nur das eine, nämlich mehr von allem. Wenn Produktion und Dienstleistungen expandierten, bedeutete das wachsenden Wohlstand und den konnten nach den Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts alle gut gebrauchen. Man kann sich das kaum noch vorstellen, aber in den fünfziger und sechziger Jahren protestierte niemand gegen Flughäfen und neue Kraftwerke. Sie waren willkommen, weil sie mehr Wohlstand mitbrachten.

Grüner High-Tech für Stadt und Land
Schlafkapsel von Leap-Factory Quelle: PR
Prototyp eines wärmespeichernden Grills Quelle: PR
Mini-Windkraftwerk von MRT Wind Quelle: PR
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Selbstversorgende Insel in der Südsee Quelle: PR
Tomaten in einem Gewächshaus Quelle: dpa
Ein Schild mit der Aufschrift "Genfood" steckt in einer aufgeschnittenen Tomate neben einem Maiskolben Quelle: dpa/dpaweb

Doch das ändert sich. Deutlicher noch als bei den Demonstrationen gegen Flughäfen und Bahnhöfe wird die Abwendung vom Wachstumsparadigma an Universitäten und in Denkfabriken. Eine Flut von Büchern verkündet die "Befreiung vom Überfluss" (Niko Paech) oder "Wohlstand ohne Wachstum" (Tim Jackson). Der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel, früherer Mitarbeiter von Kurt Biedenkopf, hat nicht nur ein Buch über das Ende des Wachstums geschrieben ("Exit"), sondern organisiert mit seiner Stiftung "Denkwerk Zukunft" regelmäßig prominent besetzte Seminare, auf denen "Alternativen zur tradierten Wachstumspolitik" angedacht werden. In den Köpfen der Denker und den Seminaren der Universitäten ist das bevorstehende Ende der Wachstumsgesellschaft eines der zentralen Diskussionsthemen.

Die Wachstumsdynamik des Kapitalismus hat, indem sie historisch einzigartigen Wohlstand und historisch einzigartige Umweltzerstörungen hervorbrachte, auch eine starke Gegenkraft hervorgerufen: die ökologische Bewegung. Die daraus entstandene Dialektik von Ökonomie und Ökologie ist das Spannungsfeld, in dem Unternehmen und Politik heute stehen.

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