Deglobalisierung, Insolvenzen, Digitalisierung Diese Corona-Thesen haben sich so nicht bewahrheitet

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So groß ist der Einschnitt von Corona in den Unternehmen

2. Nach der Coronakrise kommt die Insolvenzwelle

Im August 2020 waren in Deutschland mehr als eine halbe Million Unternehmen – also jeder sechste Betrieb – infolge der Coronakrise überschuldet. Bei vielen Beobachtern stieg die Sorge, dass es zu einer millionenschweren Insolvenzwelle kommen könnte. Viele schon vorher wackelige Unternehmen wurden durch die Krise weiter geschwächt und entwickelten sich infolge schwerer Verluste zu Insolvenzkandidaten.

Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform schätzte im Mai 2020 ein Fünftel mehr Firmenpleiten in Deutschland. „Jeder Lieferant muss sich fragen, ob sein Geschäftspartner tatsächlich noch solvent und stabil ist – oder doch längst insolvent ist, aber noch keinen Antrag stellen musste“, sagte Thomas Langen, der Vorsitzende der Kommission Kreditversicherung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Ende des vergangenen Jahres. Stefan Schneider, Chefvolkswirt für Deutschland bei der Deutschen Bank, hatte bereits im August angekündigt, dass es nach Ablauf des Insolvenzmoratoriums zu einem Dominoeffekt kommen könne, bei dem auch gesunde Unternehmen durch die Häufung von Zahlungsausfällen in die Knie gezwungen werden.

Im Frühjahr 2020 hatte die Bundesregierung mit Blick auf die anschwellende Krise die Insolvenzantragspflicht für alle Unternehmen ausgesetzt. Zunächst bis Herbst und nach mehreren Verlängerungen letztlich sogar bis Ende April 2021. Für einige Unternehmen, die überschuldet, aber noch nicht zahlungsunfähig sind, gilt das noch bis Jahresende. Und: Bund und Länder griffen den Unternehmen mit einer Vielzahl an finanziellen Hilfen unter die Arme. Der Bund hatte den Angaben zufolge in Zuschussprogrammen 150 Milliarden Euro bereitgestellt. Die Luftfahrtbranche erhielt noch eine millionenschwere Extra-Finanzspritze: Lufthansa und Tui wurden so mit Riesenbeträgen unterstützt.

Infolgedessen ging die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen auf einen neuen Tiefststand zurück. Die Amtsgerichte meldeten 15.841 Unternehmensinsolvenzen und damit 15,5 Prozent weniger als 2019, teilte Ende April das Statistische Bundesamt mit. Viele schoben diese Zahlen ausschließlich auf das Aussetzten der Insolvenzantragspflicht. Allerdings: Seit diese für die meisten Betriebe wieder gilt, ist kein Anschwellen der Insolvenzzahlen in Sicht.

Insolvenzexperten gaben bereits leichte Entwarnung. „Schon in den vergangenen Monaten galten die Ausnahmeregelungen nur noch für einen eng eingegrenzten Kreis von Unternehmen“, sagte etwa Tillmann Peeters, Geschäftsführer der Sanierungsberatung Falkensteg im April der WirtschaftsWoche. „Trotzdem ist die Wahrnehmung in weiten Teilen der Wirtschaft eine ganz andere: Viele Unternehmer gehen davon aus, sie bräuchten momentan keine Insolvenz anmelden“, so Peeters.

Auch der Düsseldorfer Insolvenzverwalter Dirk Andres von der Sanierungs- und Insolvenzkanzlei AndresPartner sagte im Gespräch mit der WirtschaftsWoche im Frühling 2021, er glaube nicht an die große Welle von Insolvenzanträgen. „Es gibt immer noch zahlreiche Hilfsprogramme und Unterstützungsmaßnahmen wie die Kurzarbeit, die viele Unternehmen über Wasser halten“, sagte Volker Hees ebenfalls im April. Der Partner der Düsseldorfer Kanzlei Hoffmann Liebs berät Unternehmen, Gesellschafter und Geschäftsleiter in Fragen des Insolvenz- und Sanierungsrechts. Viele Unternehmen befänden sich „derzeit noch in einer Art Winterschlaf“, so Hees. „Erst wenn Firmen aus stark betroffenen Wirtschaftszweigen wie der Hotellerie, der Gastronomie und der Veranstaltungsbranche ihre Geschäft wieder hochfahren – und damit auch ihre Kostenbasis steigt – wird sich zeigen, welche Unternehmen langfristig eine Chance haben.“

Fazit: Mit der großen Insolvenzwelle ist eher nicht mehr zu rechnen. Das Risiko einer Vielzahl an Insolvenzen ist allerdings noch nicht ganz ausgestanden.

3. Nie wieder raus aus dem Homeoffice

Das Büro von morgen: in den eigenen vier Wänden. Seit März vergangenen Jahres herrscht Ausnahmezustand. Der Bundestag hatte im April 2021 zur Reform des Infektionsschutzgesetzes sogar eine Pflicht zum Homeoffice eingeführt. Arbeitgeber mussten seitdem Heimarbeit ermöglichen und Arbeitnehmer wiederum annehmen, wenn nicht ein gravierender Grund dagegen sprach.

Das Ende der Pandemie war nicht in Sicht und so auch nicht die Rückkehr ins Büro. Nach über einem Jahr Homeoffice rechneten einige schon gar nicht mehr damit, überhaupt noch zurückzukommen. Unternehmen wie Microsoft, Twitter und Facebook verkündeten verschiedentlich, dass die Büroarbeit außerhalb der Firmensitze für einen Großteil ihrer Mitarbeiter oder womöglich alle eine dauerhafte Option werden könnte. Auch in Deutschland zeigten Unternehmen wie Siemens. Auch der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen kam zu dem Ergebnis, dass „Qualität und Quantität der Arbeitsergebnisse beibehalten und zum Teil sogar gesteigert wurden“ während der Zwangs-Homeoffice-Phase.

Doch seit wenigen Wochen scheinen die Massenimpfungen zu wirken. Die Inzidenzen sinken rasant. Wie viel Homeoffice bleibt? Die Pflicht zum Homeoffice wird nicht über den 30. Juni hinaus verlängert.

Zwar gilt die These, dass Homeoffice sich deutschlandweit durchsetzt, demnach nicht für alle Arbeitnehmer in Deutschland – doch einige Firmen wollen durchaus ein Homeoffice-Konzept beibehalten. So verlegt etwa der Reisekonzern Tui das Büro der Zentrale am Standort Hannover vollkommen ins Homeoffice. Selbst Tui-Chef Friedrich Joussen wird kein festes Büro mehr haben, sondern auf einer offenen Fläche mit seinen Vorstandskollegen arbeiten.

Auch der Autohersteller Porsche legte sich fest: Zwölf Tage Homeoffice im Monat sollen ab Juni für alle Büroangestellten erlaubt sein, bei der DZ Bank rechnet man damit, dass die Quote der von zu Hause aus arbeitenden Mitarbeiter (zehn Prozent vor der Krise) auf 20 bis 30 Prozent steigen werde, und auch bei Siemens soll as mobile Arbeiten „dauerhaft als Standard“ etabliert werden. „Das Ziel ist, dass alle Beschäftigten im Schnitt stets zwei bis drei Tage pro Woche mobil arbeiten können, wenn es sinnvoll und machbar ist“, sagte eine Sprecherin des Konzerns dem „Tagesspiegel“.



Eine repräsentative Antwort auf die Frage, ob Homeoffice zum Dauerzustand wird, gibt eine im Oktober veröffentlichte Studie des Fraunhofer-Instituts. In der Studie „Arbeiten in der Coronapandemie — auf dem Weg zum New Normal“ wurden Entscheider (Verantwortliche aus Bereichen wie Personal, Organisationsentwicklung und Strategie) aus rund 500 Unternehmen in Deutschland befragt. Wie die Umfrageergebnisse zeigten, hat sich das Homeoffice in der Pandemie tatsächlich zur Normalität entwickelt, da in fast 70 Prozent der Unternehmen die Angestellten zum Zeitpunkt der Befragung komplett oder größtenteils von zuhause aus arbeiteten, während vor Corona lediglich bei 17 Prozent der befragten Betriebe Homeoffice die Regel gewesen war.

Auf die Frage, ob die Homeoffice-Regelungen dauerhaft Bestand haben werden, antworteten 42 Prozent der Entscheider, dass sie überzeugt sind, dass virtuelles Arbeiten im Homeoffice gut sei und vorangetrieben werden sollte. Die Schlussfolgerung der Studienmacher: „Die Rolle des Büros – die bereits vor der Pandemie in einem Wandel war - hat sich durch den flächendeckenden Einsatz des Homeoffice noch stärker verändert.“ Kurzum: Das Büro werde zwar der Hauptarbeitsort bleiben, es werde jedoch vermehrt durch das Homeoffice ergänzt.

Fazit: Homeoffice wird sich, auch dank Corona, besser durchsetzen, den Alltag im Büro allerdings sicher nicht gänzlich verdrängen

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