Demografie Deutschland riskiert die Bevölkerungskatastrophe

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Demografischer Lernprozess auf die harte Tour

Das wäre eine Demografiestrategie, die den Namen verdiente: Den fatalen Konstruktionsfehler des Rentensystems beseitigen. Eines Systems, das Kinderlosigkeit belohnt und Eltern bestraft. Hans-Werner Sinn liefert einen konkrete Reparaturvorschlag: Eine volle Rente soll nur noch beziehen, wer drei Kinder groß gezogen hat. Kinderlose wären verpflichtet, zusätzlich zu den Rentenbeiträgen privat vorzusorgen, also zu „riestern“. Mit jedem Kind, das sie bekommen, würde ihnen ein Drittel dieser Pflicht erlassen und ihr Anspruch an die Rentenkassen steigen. Diese Konstruktion würde endlich klarstellen, dass die Einzahlung in die Rentenkasse allein noch keinen Anspruch begründet, sondern dass Kinder dazugehören.

Die Katastrophe kommt

So einleuchtend Sinns Konzept auch ist, es wird von der deutschen Politik ignoriert, totgeschwiegen wie jeder Versuch einer ernsthaften Geburtenförderungspolitik. Das Thema Demografie ist für deutsche Politiker einfach nicht sexy. Mit den immer zahlreicher werdenden und ökonomisch mächtigen Kinderlosen legt man sich nicht gerne an. Und dann ist da noch die Sache mit der deutschen Geschichte und den „Mutterkreuzen“. Außerdem: Die Katastrophe wird noch ein paar Jahre auf sich warten lassen, in denen man auch ohne radikale Rentenreform recht bequem regieren kann. Noch arbeiten ja die Baby-Boomer...

Bequemer scheint da die Zuwanderungslösung. Wer im deutschen Demografie-Diskurs bequem mit dem Strom schwimmen will, der nennt wie Christoph Schmidt als „Parameter der Steuerung“ der demografischen Entwicklung zuerst die Steigerung der Zuwanderung und der Frauenerwerbsquote und nennt die Steigerung der Geburtenrate allenfalls ganz am Schluss. Vor den  mit verstärkter Einwanderung einhergehenden Integrationsrisiken verschließt man dabei gerne ebenso die Augen, wie vor der Tatsache, dass unsere Lieblingszuwanderer aus europäischen Ländern stammen, die selbst mit einem extremen Geburtenmangel konfrontiert sind. Außerdem würde selbst ein anhaltender Nettozuzug von jährlich 100 000 Menschen die Alterung nur leicht abmildern.     

Selbst verordnete Blindheit

Während also andere entwickelte Länder wie der Nachbar Frankreich mit einer langfristigen und grundlegenden Geburtenförderungspolitik das Ruder herumgeworfen haben, oder es wie Japan zumindest ernsthaft versuchen, hält Deutschland in selbst verordneter Blindheit auf die demografischen Untiefen zu.

Den Deutschen steht in der Mitte des 21. Jahrhunderts ein Lernprozess auf die harte Tour bevor. Sie werden spätestens ab den 2030er Jahren mit einer Welle der Armut im Alter konfrontiert sein. Die schockierende Erfahrung des Versagens der staatlichen Alterssicherung könnte eine umgekehrte Wirkung entfalten wie deren Einführung seit Bismarck: Die Rückbesinnung auf die verlässlichste Organisation der Solidarität, die Familie. Die ist, wie der verstorbene Frank Schirrmacher in seinem Bestseller „Minimum“ zeigt, wenn alle gesamtgesellschaftlichen Stricke reißen, die beste „Überlebensfabrik“.

Vielleicht werden irgendwann viele Kinderlose im Alter voller Neid auf diejenigen blicken, die Kinder haben, die sich um sie kümmern können, wenn die Rente nicht mehr reicht und die Polinnen mit der Pflege ihrer eigenen Alten genug zu tun haben. Vielleicht wird für künftige Generationen angesichts zusammengebrochener staatlicher Sicherungssysteme, ein Leben ohne eigene Kinder wieder das werden, was es jahrhundertelang war: ein wenig erstrebenswertes Lebensmodell.

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