Demografie Wie der Bevölkerungsrückgang deutsche Städte umformt

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Ein Plattenbau in Dresden. Die Quelle: dpa

Der demografische Wandel hat aber nicht nur Folgen für Bürger und Politik, sondern trifft auch die Wirtschaft. Schon in zehn Jahren dürften bundesweit rund zwei Millionen Fachkräfte fehlen. Zudem schrumpft mit sinkender Einwohnerzahl auch die Nachfrage, was insbesondere – und schon jetzt – die Wohnungswirtschaft trifft. In Ostdeutschland haben die kommunalen Wohnungsgesellschaften seit 2002 rund 250 000 Wohnungen abreißen müssen, um den Markt zu stabilisieren. Trotzdem stehen aktuell rund eine Million Einheiten leer. Die Immobilienbranche befürchtet eine „zweite Leerstandswelle“, wenn die Zahl der Haushalte ab 2010 wie erwartet drastisch sinkt. Experten halten dann den Abriss von weiteren 200 000 bis 250 000 Ost-Wohnungen für notwendig, damit in den Städten keine Geisterquartiere entstehen.

Umso überraschender kommen die Ergebnisse einer neuen Studie daher, die das Schweizer Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos Mitte März präsentierte. Nach der im Auftrag von Mieterbund, Bau-Gewerkschaft und mehreren Bauverbänden erstellten Expertise droht – trotz sinkender Einwohnerzahlen – vielerorts eine neue Wohnungsnot. Die Forscher erwarten bis zum Jahr 2025 in drei Vierteln aller Regionen eine „Wohnungsbaulücke“. Auch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung geht im Zeitraum von 2010 bis 2025 von einem Neubaubedarf von 183 000 Einheiten pro Jahr aus, allein in München werde die Wohnflächennachfrage um 14 Prozent steigen. Andere Studien halten gar 400 000 neue Apartments und Einfamilienhäuser pro Jahr für nötig. Wie kann das sein?

Grund ist der gespaltene Wohnungsmarkt in Deutschland. Dort, wo es Wohnraum en masse gibt, will ihn keiner haben. Wo hingegen der Bedarf wächst, fehlt es an Wohnungen, zumindest an der passenden Größe und Qualität. Die wachsende Zahl an Senioren etwa erfordert altengerechte, barrierefreie Behausungen – davon gibt es noch viel zu wenig. Gleichzeitig wächst in Deutschland trotz sinkender Bevölkerung die Zahl der Haushalte – laut Prognos um fünf Prozent bis 2025, weil immer mehr Menschen allein oder zu zweit leben.

Soziale Gegensätze verschärfen sich

„Familien, Singles und Rentner aus besonders stark betroffenen Regionen müssen aufgrund von höheren Mieten infolge der Knappheit an marktgerechten Wohnungen schlechtere Wohnverhältnisse in Kauf nehmen oder einen überdurchschnittlich großen Teil ihres Einkommens für die Miete ausgeben“, heißt es, holprig formuliert, in der Prognos-Studie. Auch Haushalte mit überdurchschnittlichem Einkommen werden in wirtschaftsstarken Regionen wie München und Rhein-Main „aufgrund des teilweise massiven Wohnungsdefizits Einschnitte beim Wohnen beziehungsweise bei ihrer Lebensqualität machen müssen“.

Mehr noch: Innerhalb der Städte könnten sich soziale Gegensätze dramatisch verschärfen. Stadtforscher Beckmann warnt vor einem wachsenden Gefälle zwischen „den noch prosperierenden, den stagnierenden und den vom demografischen und wirtschaftlichen Rückgang geprägten Schrumpfungsregionen“. Zum anderen sieht er „eine Verschärfung der sozialen Disparitäten zwischen verschiedenen sozialen und ethnischen Gruppen, zum Teil aber auch Altersgruppen“ voraus. Um Derartiges zu verhindern, hatten Bund, Länder und Kommunen zwar schon vor gut zehn Jahren das Programm „Soziale Stadt“ ins Leben gerufen; seitdem sind über 2,3 Milliarden Euro in die Aufwertung von Problemvierteln geflossen. Doch dies war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Immer mehr ärmere Menschen wohnen immer dichter beieinander und konzentrieren sich auf immer weniger Wohngebiete“, registriert GdW-Präsident Freitag.

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