
Mit seinen umstrittenen Äußerungen hat Thilo Sarrazin eine Diskussion über ein Thema angestoßen, das in Deutschland sträflich unterbewertet wird. Dem Mikrozensus zufolge haben rund 15 Millionen der in Deutschland lebenden Menschen Migrationshintergrund, das heißt, sie sind selbst nach Deutschland zugewandert oder haben mindestens einen zugewanderten Elternteil. Von den unter 20-Jährigen haben mittlerweile fast 30 Prozent einen Migrationshintergrund. Die größte Gruppe stellen Zuwanderer aus der Türkei und der ehemaligen Sowjetunion, gefolgt von dem ehemaligen Jugoslawien, Polen und Italien.
Eine erfolgreiche Integration ist die Voraussetzung dafür, dass die deutschstämmige Bevölkerung mit dem starken Zuzug des vergangenen Jahrhunderts ihren Frieden macht. Das Unbehagen über diese Entwicklung ist weitverbreitet. 57 Prozent der Bevölkerung halten den Anteil der Zugewanderten in Deutschland für zu groß. Die überwältigende Mehrheit geht davon aus, dass der Anteil an Kindern aus Migrantenfamilien an den Schulen große Probleme mit sich bringt und dass der Anteil der Sozialhilfeempfänger zu hoch ist. Nur 13 Prozent der Bevölkerung halten die meisten Zuwanderer für gut integriert.
Angesichts dieses kritischen Urteils wäre zu erwarten, dass die Bevölkerung der besseren Integration politische Priorität einräumt. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Während die meisten es für besonders wichtig halten, die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen, zählen nur 23 Prozent eine bessere Integration zu den Aufgaben, die über die Zukunft des Landes mitentscheiden. Den meisten ist nicht bewusst, dass es schon seit Jahren kaum noch Nettozuwanderung nach Deutschland gibt. Die Geringschätzung des Integrationsthemas lässt sich nicht nur an den politischen Prioritäten der Bevölkerung ablesen, sondern auch an dem geringen Interesse für dieses Thema. Nur 14 Prozent der Bevölkerung bekunden großes Interesse an der Frage, wie die Integration von Zuwanderern in die deutsche Gesellschaft verbessert werden kann; 42 Prozent der westdeutschen, 56 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung bekennen dagegen freimütig völliges Desinteresse. Das geringe Interesse an einem Thema, das die Mehrheit gleichzeitig für ein großes Problem hält, geht unter anderem darauf zurück, dass viele zu wenig zwischen Zuwanderung und Integration trennen. Weite Teile der Bevölkerung haben Integration mit einer offensiven Zuwanderungspolitik in Verbindung gebracht und weniger als Herausforderung, die bereits erfolgte Zuwanderung zu bewältigen.
Bei allem fast demonstrativen Desinteresse hat die Mehrheit der Bürger sehr klare Vorstellungen von den Leitlinien einer Erfolg versprechenden Integration. Dazu gehört vor allem das Erlernen der deutschen Sprache, aber auch die Anerkennung der Grundprinzipien und Werte der deutschen Gesellschaftsordnung. Mit dem politisch immer wieder sehr kontrovers diskutierten Konzept der deutschen Leitkultur hatte die überwältigende Mehrheit der Bürger nie ein Problem. Es wurde von den meisten auch nie als Forderung nach einer vollständigen Assimilierung und Unterdrückung anderer Kulturen interpretiert, sondern als klare Regel, welche Werte im Konfliktfall Vorrang haben müssen. Zwei Drittel der Bürger halten es auch für wichtig, so weit wie möglich Ghettoisierungstendenzen entgegenzuwirken.
Die Vorstellungen der meisten Zuwanderer von einer erfolgreichen Integration sind in weiten Teilen deckungsgleich mit denen der deutschen Bevölkerung: Zugewanderte sollten die deutsche Sprache beherrschen, Grundwissen über die deutsche Geschichte und Kultur besitzen, die Gesetze einhalten, viele Kontakte zu Deutschen suchen und Grundwerte wie die Gleichberechtigung von Männern und Frauen anerkennen.
Mit der Umsetzung hapert es allerdings teilweise. Kinder von Zuwanderern tun sich mit der deutschen Sprache oft schwer, da insbesondere in vielen türkischen Familien und bei Zuwanderern aus Russland ausschließlich die Herkunftssprache gesprochen wird. Beide Zuwanderergruppen haben relativ wenig Kontakte zu Deutschstämmigen und mehrheitlich einen Freundeskreis, der aus Zuwanderern besteht. Für die Kinder aus diesen Familien ist es besonders wichtig, dass sie so früh wie möglich in Kindergärten und Betreuungseinrichtungen die Chance erhalten, perfekt Deutsch zu lernen. Ohne Sprachkompetenz ist jede Integration von vornherein zum Scheitern verurteilt.