Denkfabrik Der Fachkräftemangel bremst die Energiewende

Grüne Technologien sollen nach dem Willen der Politik zum Jobmotor in Deutschland werden. Doch Hochschulen und Weiterbildungsträger sind darauf nicht vorbereitet, die Rekrutierung von Fachkräften in der Wirtschaft stockt. Fehlendes Personal könnte nun die gesamte Energiewende ausbremsen.

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Klaus Zimmermann (2009) Quelle: dapd

Grüne Jobs gelten, erst recht seit der im Frühjahr verkündeten „Energiewende“, in Deutschland als Hoffnungsträger für den Arbeitsmarkt der Zukunft. So prophezeit der Unternehmensberater Roland Berger, Umweltschutz werde künftig der bedeutendste deutsche Industriezweig; 2020 könne dieser Sektor mehr Mitarbeiter ernähren als die beiden heutigen Leitbranchen Automobil- und Maschinenbau zusammen. Auch Kanzlerin Angela Merkel ist optimistisch – und hält allein im Bereich der Energieeffizienz in den nächsten zehn Jahren 800.000 neue Jobs für möglich.

Leider beruhen derartige Hoffnungen auf ungesicherten Annahmen. Sorgfältige wissenschaftliche Evaluierungen gibt es bisher kaum – und noch weniger ein beschäftigungspolitisches Konzept als Unterbau für diese ambitionierten Ziele.

Die Bundesregierung hat im Oktober beschlossen, den Umbau in der Energie- und Umweltpolitik wissenschaftlich begleiten zu lassen. Sie greift damit zum Teil eine Empfehlung der „Ethik-Kommission sichere Energieversorgung“ auf. Diese hatte in ihren Empfehlungen Ende Mai geschrieben, der Prozess der Neuorientierung sei organisatorisch eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe, für die ein umfassendes Projektmanagement erforderlich sei.

Dies gilt speziell mit Blick auf den Arbeitsmarkt. Damit der ökologische Umbau zu einem Jobtreiber werden kann, brauchen wir eine Verzahnung von energie- und beschäftigungspolitischen Zielen. Welche nicht nur quantitativen, sondern auch qualitativen Veränderungen für die Beschäftigung sind zu erwarten? Wie hoch ist der Fachkräftebedarf in den teilweise ganz neuen Berufsfeldern? Welche neuen Anforderungen entstehen an Ausbildung und Qualifizierung?

In eine seriöse beschäftigungspolitische Gesamtrechnung gehört auch die Auseinandersetzung mit der Sorge, der Atomausstieg schwäche die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie – vor allem im Bereich der energieintensiven Unternehmen – und habe negative Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Immerhin räumt auch die Expertenkommission „Sichere Energieversorgung“ ein, die Energiewende werde den ohnehin zu beobachtenden Preisanstieg für Energie und CO₂-Emissionszertifikate beschleunigen.

Es ist notwendig, dass in den regelmäßigen dreijährigen Fortschrittsberichten zur Energiewende – der erste ist Ende 2012 vorgesehen – das Thema Beschäftigung zentralen Raum einnimmt. Denn sollen in Deutschland grüne Jobs tatsächlich boomen, benötigen wir rasch eine gezielte Rekrutierung von Fachkräften. Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) warnt, dass für den Ausbau erneuerbarer Energien nach dem Atomausstieg die Spezialisten fehlen. Schon derzeit herrsche in der Solarindustrie und der Windkraftbranche akute Personalnot.

Herausforderung Jobs schaffen

In anderen Bereichen sieht es ähnlich aus. So können laut dem Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) 84 Prozent der Betriebe ihren Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern für die Umstellung von Verbrennungs- auf Elektromotoren nicht mehr ausreichend decken. Neben Energie-, Klima- oder Umweltingenieuren fehlen auch Handwerker für den Betrieb und die Wartung der neuen Techniken. Hier kommen auf die Hochschulen und die beruflichen Bildungsträger in der Zukunft große Herausforderungen zu.

Personelle Engpässe könnten die neue Energie- und Umweltpolitik ausbremsen, bevor sie richtig in Fahrt gekommen ist. Selbst wenn die Hochschulen jetzt neue Studiengänge schaffen, ihre Kapazitäten umschichten und ausbauen, wird es Jahre dauern, bis diese Experten zur Verfügung stehen. Deshalb muss sich auch die Wirtschaft intensiv dieser Herausforderung annehmen.

Nur wenn sich die Unternehmen selbst verstärkt für eine solche Aus- und Weiterbildungsoffensive engagieren, können die Beschäftigungspotenziale im Bereich grüner Produkte und Dienstleistungen ausgeschöpft werden. Die deutsche Wirtschaft ist auch deshalb gefordert, weil davon wichtige Exportchancen abhängen: Mehr als ein Sechstel des Welthandels im Bereich der modernen Umwelttechnologien entfällt derzeit auf deutsche Unternehmen.

Doch der globale Wettbewerb wird härter. Damit wächst auch der Kampf um die besten Köpfe. Schon vor der Atomkatastrophe von Fukushima gingen Experten davon aus, dass die weltweiten Ausgaben für Umwelt- und Klimaschutzgüter bis zum Jahr 2020 dreimal so schnell wachsen wie die Weltwirtschaft insgesamt. 2008 flossen Investitionen in Höhe von 120 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien, 2012 dürften es gut 800 Milliarden Dollar sein. Rechnet man Maßnahmen in Infrastruktur und Gebäude, Mobilitätskonzepte, Abfall- und Wasserwirtschaft sowie umweltverträgliche Industrieanlagen hinzu, könnten grüne Investitionen in Zukunft ein Jahresvolumen zwischen 1,2 und 1,9 Billionen US-Dollar erreichen.

Diese Entwicklung kann weltweit zu Millionen neuer Jobs führen. Doch momentan sind die Arbeitsmärkte darauf nur unzureichend vorbereitet. Dies muss sich rasch ändern. Damit aus einem erhofften Jobwunder kein Jobdesaster wird.

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