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Zerplatzende Seifenblasen Quelle: imago images

Deutschland ist für die nächste Krise schlecht gerüstet

Der Daueraufschwung verdeckt, dass Deutschland für die nächste Krise schlecht gerüstet ist. Und das Zeitfenster für Reformen schließt sich.

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Seit vielen Jahren bemüht die Bundesregierung das Narrativ, Deutschland gehe es nicht nur ökonomisch gut, sondern sei auch für die Zukunft wirtschaftlich gewappnet. Und in der Tat: Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt steigt solide, die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie Anfang der Achtzigerjahre in Westdeutschland. Auch die Herausforderungen, die diesen Erfolg im nächsten Jahrzehnt infrage stellen könnten, benennt die Politik formal richtig: Demografie, technologischer Wandel, Globalisierung.

Doch die politischen Antworten auf diese Herausforderungen sind vielfach zweifelhaft. Die wirtschaftlich gute Situation erlaubt derzeit viele Maßnahmen, die vorübergehend alle besser und kaum jemanden schlechter zu stellen scheinen. Bei der Rente und in vielen anderen Bereichen weitet die Bundesregierung die Staatstätigkeit aus, um vermeintlich Zukunftsfähigkeit zu beweisen und Wählersorgen zu besänftigen, etwa im sozialen Wohnungsbau. Der prosperierende Arbeitsmarkt lässt die Einführung neuer Rigiditäten wie die Begrenzung der sachgrundlosen Befristung als vertretbar erscheinen. Der 2019 sinkende Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wird ohne größere Widerstände durch steigende Pflegebeiträge neutralisiert. Zugleich hat der Daueraufschwung die Staatskassen gefüllt, eine expansive Fiskalpolitik ermöglicht und die deutsche Staatsschuldenquote unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt.

Doch irgendwann wird auf den seit fast zehn Jahre anhaltenden Aufschwung der Abschwung folgen. Angesichts der protektionistischen Tendenzen in der Welt und einer heranrollenden Welle von Wirtschaftskrisen, die bereits die Türkei und Argentinien erfasst haben, ist auch eine Rezession denkbar. Und was dann? Wie krisenresistent ist Deutschland, wenn die von einer lockeren Geldpolitik angeheizte, globale wirtschaftliche Expansion endet, wenn zudem die politische Instabilität in der Welt und die zentrifugalen Kräfte in Europa zunehmen?

Die Antwort muss uns Sorgen bereiten. Die mit einem Abschwung verbundenen Einnahmeausfälle, gepaart mit immer höheren Steuerzuschüssen für die Rentenkasse, werden den öffentlichen Haushalten stark zusetzen. Eine zukünftige Bundesregierung könnte sich gezwungen sehen, nach der Ausweitung der Staatsausgaben in den vergangenen guten Zeiten mit Ausgabenkürzungen in schlechten Zeiten zu reagieren – und damit den Abschwung verschärfen. Am einfachsten ließe sich dann fatalerweise bei den öffentlichen Investitionen sparen, beim Breitbandausbau, bei Forschung und Bildung, bei der Förderung von Zukunftstechnologien.

Auch der stabile Arbeitsmarkt ist nicht gottgegeben. Im nächsten großen Abschwung droht zusätzlich zur steigenden konjunkturellen Arbeitslosigkeit eine strukturelle Arbeitslosigkeit von Arbeitnehmern, deren Jobs durch die Digitalisierung wegfallen. Qualifizierte Beschäftigte könnten theoretisch zwar in neuen, innovativen Unternehmen eine neue Aufgabe finden. Doch entstehen diese Firmen mittlerweile eher in Shenzhen oder im Silicon Valley, da in Deutschland der Mangel an Risikokapital, die hohe Steuer- und Bürokratielast und eine innovationshemmende Regulierung viele potenzielle Firmengründer abschrecken.

Wenn es aus ökonomischer Sicht einen guten Zeitpunkt für Strukturreformen gibt, so ist dies ein konjunktureller Aufschwung, wie wir ihn heute erleben. Und der notwendige Strukturwandel in Deutschland lässt sich nicht durch Verbote und immer neue Regulierungen bewältigen. Während in Deutschland noch Uber, Airbnb und andere innovative Geschäftsideen behindert werden, etablieren sich um uns herum völlig neue Servicekonzepte. Schutzwälle wie Meisterpflicht und Honorarordnungen dürften zunehmend durch neue Arten der Dienstleistungserbringung – womöglich von innovativen ausländischen Anbietern – unterhöhlt werden.

Die deutsche Wirtschaftspolitik muss sich vor diesem Hintergrund konsequent auf die Zukunft ausrichten. Wer darüber räsoniert, wie man die Rendite der Digitalisierung gerecht verteilt, der muss zunächst sicherstellen, dass sie überhaupt entsteht.

Der Infrastrukturausbau ist dabei nur ein Baustein. Auch die digitale Servicewüste in deutschen Amtsstuben sollte möglichst bald der Vergangenheit angehören. Überholte und die Digitalisierungsökonomie behindernde Regulierungen wie das Arbeitszeitgesetz gilt es zu reformieren. Neue Regulierungen, sei es für das autonome Fahren oder das Urheberrecht, müssen innovationsfreundlich ausgestaltet sein.

Zu all dem gehört viel Mut, denn Strukturwandel schafft Gewinner und Verlierer. Verharrt die deutsche Politik dagegen bei Scheinlösungen und versucht, die Kluft in der Gesellschaft mit Steuergeldern zu kitten, könnte sich bald große Ernüchterung einstellen – und eine Demontage des Wirtschaftsstandorts Deutschland.

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