Der irrlichternde Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel verliert sich in Kleinkriegen

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Die Bilanz der Unternehmer

Diese Zügel aber lässt die SPD Gabriel immer wieder spüren. Sie wollen ein linkes Programm für die Bundestagswahl, keinen neuen Agenda-Kurs. Sie wollen nicht den unbedingten Erfolg. Vor allem wollen sie am Ende auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.

Und so, wie es aussieht, will Gabriel ihnen folgen.

Entsprechend gemischt fällt seine Bilanz bei der Wirtschaft aus. Da ist etwa Dirk Roßmann, Chef der Drogeriekette, der Gabriel seit 20 Jahren kennt. „Das mit dem Wirtschaftsministerium heute ist ein extrem schwieriges Feld. Die Probleme sind derart kompliziert und vielschichtig, da hat er nichts Entscheidendes ändern können“, sagt er. Auch als SPD-Chef sei es schwierig: „Das Amt so auszuführen, dass alle Flügel innerhalb der SPD zufrieden sind, ist aus heutiger Sicht unmöglich.“

SPD-Chef Sigmar Gabriel wünscht sich einen Konkurrenzkampf um die Kanzlerkandidatur seiner Partei. In einem Interview räumt er aber auch ein, dass die Chancen der SPD auf eine Kanzlerschaft derzeit schlecht stehen.

Härter sagt es ein Vertreter der Old Economy, wie Gabriel der Schwerindustrie ideologisch näher als irgendwelchen Windmühlen. Das verbindet. Allerdings nicht weit genug, als dass der Manager seinen Namen in der Zeitung lesen will. Anonym aber sagt er: „Es gibt Widersprüche in Gabriels Leben. Ich bewundere an ihm, wie viel Arbeit er sich aufhalst, obwohl er sieht, dass manche Dinge gar nicht miteinander vereinbar sind.“ Die Energiewende etwa, die Gabriel ins Wirtschaftsministerium geholt habe. „Schlau? Mutig, ja. Aber nichts für Erfolg in einer Legislaturperiode.“

Dass der SPD-Chef es trotzdem gewagt hat, dass er das Wirtschaftsministerium besetzt hat und nun wohl auch die Bürde der SPD-Kanzlerkandidatur trägt, erklärt der Mann mit einem „fast preußischen Pflichtgefühl“, das Gabriel habe. „Der sagt nicht: Schau’n wir mal.“ Aber er sei eben ein Kümmerer, der glaube, immer einen Beitrag leisten zu müssen – zu allem.

Gabriels große Stärke ist es, Nähe zuzulassen. Gleichzeitig ist es auch seine große Schwäche. Wer Menschen nah an sich heranlässt, der kann ihre Herzen erobern. Wer sie zu nah heranlässt, ist schnell angreifbar. Bei Gabriel führt das zu einem ständigen Reflex: Er schlägt um sich, um nicht selbst getroffen zu werden. Und wenn er doch etwas abbekommt, keilt er mit voller Härte zurück.

So wie in Salzgitter, Mitte August. Gabriel ist auf einer SPD-Veranstaltung. Eine Gruppe Neonazis will die Party stören. Sie pöbeln. Ein Mann ruft Gabriel zu: „Mensch, dein Vater hat sein Land geliebt. Und was tust du? Du zerstörst es.“ Zunächst lächelt der Vizekanzler nur müde, dann packt es ihn, er dreht sich um und zeigt den Rechten den Stinkefinger. Sie haben es geschafft, Gabriel hat die Contenance verloren.

Vielleicht bewundert der Vizekanzler deshalb seine Regierungschefin so. Gabriel mag Merkel, ihren Witz, ihre unprätentiöse Art, einfach die Tatsache, dass sie zu der wurde, die sie ist. Vor Jahren unterbrach Gabriel eigens seinen Urlaub, um für sie an ihrem 60. Geburtstag eine kleine, launige Rede zu halten „Liebe Frau Merkel, es ist wenigstens zeitweise eine große Freude, mit Ihnen zusammenzuarbeiten“, sagte Gabriel. Er glaubt, dass sie manches gemeinsam haben: beide ehemalige Umweltminister. Beide aufgestiegen gegen Widrigkeiten. Und dann ist da noch der Umstand, dass er von ihr mehr Respekt und Aufrichtigkeit erfährt als von so manchem in seiner eigenen Partei.

Noch ist bis zur nächsten Bundestagswahl ein Jahr Zeit, aber schon jetzt schließen SPD und die Linkspartei ein Regierungsbündnis nicht mehr aus.

Und dennoch: Merkel ist so, wie er nie sein wird. Kühl, kontrolliert, manchmal stoisch. Umso mehr wird Gabriel sich in die Auseinandersetzung werfen. Wenn er den September übersteht, dann wird er die Kanzlerkandidatur an sich ziehen. Es gibt eigentlich niemanden in seinem Umfeld, der das noch bezweifelt. Gabriel hat bedeutende Fürsprecher, die ihm nahelegen, im Herbst das Ministeramt niederzulegen und nur noch Kandidat zu sein, Herausforderer. Ein freier roter Radikaler. Ein Mann voller Leidenschaften gegen die Frau ohne Eigenschaften.

Er würde es lieben, die Hitze der Schlacht, diese maximale Herausforderung, mit offenem Visier. Die vermeintlich Unverwundbare verwundbar zu machen, das wäre der ultimative Kick. 2017 wird sein Meisterstück. Oder sein Untergang. So oder so: Es wird ein echter Gabriel.

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