Der irrlichternde Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel verliert sich in Kleinkriegen

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Überreizung und Überreaktion

Gabriel hat Talent zuhauf, zweifellos. Und natürlich: Ein Politiker muss seine Positionen überdenken, wenn sich die Realität wandelt, wenn neue Fakten auf den Tisch kommen oder die Stimmung kippt.

Aber Gabriel hat zu viel: vor allem zu viel Sensibilität. Überreizung und Überreaktion sind die Folge.

Er kann wohl nicht anders. Im Willy-Brandt-Haus kennen sie schon das Ritual, das seinen Einwürfen oft vorausgeht – wenn der Chef Talkshow spielen möchte. Seine Mitarbeiter bekommen dann den Auftrag, eine kleine Runde für ihn zusammenzustellen. Mal geht es um Bildung, mal um Flüchtlinge. Gabriel will dann vier, fünf Gäste um sich, aus der Praxis, der Wissenschaft, aus Kunst und Kultur, Politiker eher selten. Es ist eine Fortbildung im Schnellverfahren. „Er saugt förmlich die Energie aus den Kontrasten und Kontroversen, die sich auftun“, sagt einer, der ihn sehr regelmäßig berät.

Gabriel hat sich im Ministerium und in der Parteizentrale mit sehr vielen klugen, cleveren Männern umgeben, die ihrem Chef permanent neues, manchmal vollkommen gegenläufiges Denkfutter kredenzen. Das Einzige, was man ihm vorwerfen kann, ist, dass seine Berater vielleicht zu klug und clever sind – und ausschließlich männlich. „Er bräuchte“, so sagt es ein Vertrauter, „einen Berater für all seine Berater.“ Vielleicht auch jemanden, der ihm häufiger sagen würde, dass es besser wäre, einen Gang zurückzuschalten.

Die SPD-Führung

So aber pöbelt Gabriel nach dem richterlichen Stopp der Ministererlaubnis im Fall Kaiser’s-Tengelmann: „Das Urteil enthält eine ganze Reihe falscher Tatsachenbehauptungen.“ Unrichtige Termine, unvollständige Gesprächszusammensetzungen. „Das Gericht hat entweder einen falschen Eindruck oder ist falsch informiert“. Kein nüchternes Statement – ein Angriff. Und eine fragwürdige Behauptung, wie sich inzwischen herausgestellt hat. Doch Gabriel ist im Rausch: Er als Kämpfer für 16 000 Jobs, als Freund der Gewerkschaften. So sieht er sich gerne. „Sigmar Gabriel hat da ganz klar als SPD-Chef gehandelt, nicht als Wirtschaftsminister“, sagt dazu Kerstin Andreae, Vize-Fraktionschefin der Grünen. Ihr Schluss: „Gabriel hat die Ministererlaubnis missbraucht.“

Oft wurde Gabriel seine erratische Natur als Sprunghaftigkeit ausgelegt. Doch das trifft es nicht. Sprunghaft ist nur jemand, der unzuverlässig ist. Gabriel nicht. „Gabriel traut sich was. Der ist nicht so ein Bangebüx wie all die Wirtschaftsminister vor ihm“, sagt Henning Scherf. „Sigmar ist ein Political Animal. Er hat eine schnelle Auffassungsgabe, ein untrügliches politisches Gespür“, meint der frühere Grünen-Vormann und Gabriel-Wegbegleiter Jürgen Trittin. „Aber seine Ungeduld verführt ihn oft, sich nur auf dieses Bauchgefühl zu verlassen. Das konnte er in den Jahren als Umweltminister zügeln. Seitdem fällt es ihm wieder sichtlich schwerer.“

Am schönsten aber erklärt es Karl-Heinz Funke, der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister: „Mit Sigmar ist es wie mit den Pferden: Die Oldenburger Pferde ziehen den Wagen, auch wenn es schwer ist. Das Hannoveraner Pferd ist etwas spritziger. Jedes gute Pferd schlägt mal über die Stränge. Aber ein Hannoveraner öfter als ein Oldenburger.“ Funke muss es wissen, er hat einen Pferdehof kurz vor der Nordsee. 50 Jahre lang war Funke in der SPD. Und lernte so Anfang der Neunzigerjahre auch Gabriel kennen – das Hannoveraner-Pferd: „Sigmar ist oft dabei, ohne vorher mal zu fragen: Wie machen wir das eigentlich?“

Wenn Funke über Gabriel spricht, dann ist da eine ganze Menge Bewunderung für jemanden, der Menschen für sich gewinnen kann, der rackert, der dabei aber immer wieder an seiner Partei scheitert. „Sigmar hätte beweisen können, dass die SPD Wirtschaftskompetenz hat. Aber das hat in den drei vergangenen Jahren nicht geklappt“, sagt Funke. Es sei ein Fehler von Gabriel gewesen, den wirtschaftsfreundlichen Kurs zu verlassen. Aber die Partei habe ihm das aufgezwungen. „Sie müssen ein gutes Pferd laufen lassen, auch wenn es ein Hannoveraner ist. Sie machen das Pferd kaputt, wenn sie die Zügel zu eng halten.“

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