Der Islam in Deutschland Türkischstämmigen fehlt Anerkennung der Gesellschaft

Türkische Muslime und ihre Nachkommen fühlen sich in Deutschland zwar in praktischen Dingen nicht stark benachteiligt. Allerdings fehlt ihnen die mangelnde Anerkennung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft.

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Beim Friedensmarsch für die Türkei: ein junger Türke läuft durch Berlin. Vielen der hier lebenden Türken fehlt es an Anerkennung. Quelle: dpa

Berlin Unter den in Deutschland lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln findet fast jeder Zweite die islamischen Gebote wichtiger als die deutschen Gesetze. Bei einer repräsentativen Umfrage durch das Meinungsforschungsinstitut Emnid stimmten 47 Prozent der befragten Muslime mit türkischen Wurzeln dem Satz zu „Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe“. Was auffällt: Unter den Zuwanderern der ersten Generation ist die Zustimmung zu dieser Aussage mit 57 Prozent deutlich höher als bei ihren Nachkommen. In der zweiten und dritten Generation vertreten 36 Prozent diese Ansicht.

Die Umfrage ist Teil einer Studie der Universität Münster, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Ihre Ergebnisse zeigen auch, dass die Kinder und Enkel der türkischen Migranten im Vergleich zur ersten Generation weniger glaubensstreng leben. Sie beten seltener und gehen weniger häufig in die Moschee, Frauen tragen seltener ein Kopftuch.

Das hindert die Jüngeren aber nicht daran, sich selbst als stark religiös zu beschreiben. 62 Prozent der Angehörigen der ersten Generation bezeichneten sich selbst als sehr religiös. Unter ihren Nachfahren waren es sogar 72 Prozent. Der Leiter der Untersuchung, der Religionssoziologe Detlef Pollack, stellte dazu fest: „Möglicherweise spiegeln die Antworten auf diese Frage weniger die „tatsächlich gelebte“ Religiosität wider als vielmehr ein demonstratives Bekenntnis zur eigenen kulturellen Herkunft.“

Der Studie zufolge sind die Angehörigen der zweiten und dritten Generation zwar in vielem besser integriert als die „Gastarbeiter“ von einst. Das lässt sich am Zuwachs bei Schulabschlüssen, Deutschkenntnissen und Kontakten zu Deutschen erkennen. „Allerdings pocht die zweite und dritte Generation weit mehr auf kulturelle Selbstbehauptung als die erste“, sagte Pollack.

Dazu passt auch, dass sich die aus der Türkei stammenden Menschen zwar insgesamt seltener benachteiligt fühlen als die Ostdeutschen. Auf der anderen Seite mangelt es ihnen aber an Anerkennung. 54 Prozent von ihnen identifizieren sich mit der Aussage: „Egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich werde nicht als Teil der deutschen Gesellschaft anerkannt.“

Viele der hier lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln haben zudem das Gefühl, der Islam werde zu Unrecht mit Gewalt und Fanatismus in Verbindung gebracht. Die Autoren der Studie sehen allerdings auch einen Zusammenhang zwischen dem in Deutschland weit verbreiteten negativen Bild des Islam und den dogmatischen Einstellungen, die ein Teil der in Deutschland lebenden Muslime vertritt. So stimmten 32 Prozent der von Emnid befragten Türkeistämmigen der Aussage zu, die Muslime „sollten die Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten des Propheten Mohammeds anstreben“.

36 Prozent von ihnen waren der Ansicht, nur der Islam sei in der Lage, „die Probleme unserer Zeit zu lösen“. 23 Prozent vertraten die Auffassung, Muslime sollten es vermeiden, dem anderen Geschlecht die Hand zu schütteln. Der Aussage, „Gewalt ist gerechtfertigt, wenn es um die Verbreitung und Durchsetzung des Islam geht“ stimmten sieben Prozent zu.

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