Der Ökonom Franz Böhm gilt als Vater des deutschen Kartellrechts

Er wies die Konzerne in ihre Schranken und bahnte der sozialen Marktwirtschaft den Weg: Franz Böhm gilt als Vater des deutschen Kartell- und Wettbewerbsrechts.

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Bundeskartellamt

Freiheit kann nur durch Begrenzung von Freiheit entstehen? Was zunächst paradox klingt, ist seit 1957 fester Bestandteil des deutschen Wirtschaftsrechts. Damals boxte der CDU-Bundestagsabgeordnete Franz Böhm zusammen mit Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) durch – gegen den erbitterten Widerstand aus der eigenen Partei und des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Das Paragrafenwerk gilt seitdem als zentraler Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft.

Böhm war überzeugt: Der Staat kann sich nicht auf den guten Willen derjenigen verlassen, die sich von einer freien Marktwirtschaft Vorteile versprechen. Selbst einen sozialistischen Frontalangriff hielt er für weniger gefährlich als den „ignoranten Zynismus“ der Großkonzerne. Daher kämpfte Böhm für eine Wirtschaftsverfassung mit strengen Gesetzen, die den Leistungswettbewerb und die schwächeren Marktteilnehmer schützen. In dieser Einschränkung des Einzelnen lag für Böhm der Schlüssel für die Freiheit aller, daraus leitete er seine Lebensaufgabe ab: Die Begrenzung privater Macht durch das Recht.

Den negativen Gegenentwurf dazu hatte der 1895 in Konstanz geborene Jurist und Schwiegersohn der Schriftstellerin Ricarda Huch in den Zwanzigerjahren als Referent in der Kartellabteilung des Reichswirtschaftsministeriums kennengelernt. Damals regierten Kartelle die deutsche Wirtschaft. Ein Gerichtsurteil hatte 1897 die Wirksamkeit von Kartellverträgen bestätigt, und die Wirtschaftslenker sonnten sich in der Legalität ihrer Absprachen. Böhm hingegen erkannte im Wettbewerb das „genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“.

Diese Erkenntnis hielt er 1933 in seiner Habilitationsschrift zum Thema „Wettbewerb und Monopolkampf“ fest, seinem Hauptwerk, das wegweisend für sein ganzes Lebenswerk werden sollte. An der Universität Freiburg forschte er danach weiter am Phänomen der privaten Macht in einer freien Gesellschaft und traf dort Walter Eucken und Hans Großmann-Doerth, die sich mit dem gleichen Problem beschäftigten. Das war der Beginn einer langjährigen und fruchtbaren Zusammenarbeit. Die Wissenschaftler entwickelten ein ordoliberales Konzept zum Schutz des Wettbewerbs. Böhm war dabei die treibende Kraft einer Forschungsgemeinschaft zwischen Juristen und Volkswirten. Die Freiburger Schule wies einen „dritten Weg“ auf neben der „Anarchie des Marktes“ in einer freien Marktwirtschaft und der sowjetischen Planwirtschaft, der Böhm schon damals ein ökonomisches Desaster prophezeite.

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war den Wissenschaftlern schnell klar, dass der Krieg zu einem Zusammenbruch Deutschlands führen würde. Daher feilten sie konspirativ an neuen Leitlinien für die Wirtschaft, die unter der Bezeichnung „Neoliberalismus“ eine neue Wirtschaftsordnung schaffen sollten, in der das Privatrecht den freien Wettbewerb schützt. Selbst nachdem der inzwischen zum Professor berufene Böhm 1940 seine Lehrbefugnis wegen Kritik an den Nationalsozialisten verloren hatte, arbeitete er weiter. Er schrieb unter anderem ein Gutachten zum Thema Wettbewerb für die Widerstandsbewegung um Carl-Friedrich Goerdeler, einen der Verschwörer des 20. Juli. Nach dem misslungenen Attentat auf Hitler bewahrte nur eine Namensverwechslung Böhm vor der Verhaftung und Hinrichtung.

1945 trat Böhm in die CDU ein und begann neben seiner wissenschaftlichen Laufbahn als Professor und später Rektor der Universität Frankfurt auch eine politische Karriere. Sein diplomatisches Geschick, Prinzipientreue und eine gewisse Sturheit erwiesen sich dabei als nützlich. Von 1953 bis 1965 saß er im Deutschen Bundestag, parallel dazu beriet er die Regierung als Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums. 1952 leitete er die Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel und scheute sich nicht, mit seinem Rücktritt Bundeskanzler Konrad Adenauer unter Druck zu setzen, nachdem die deutsche Regierung versucht hatte, Israel mit provisorischen Lösungen hinzuhalten. Adenauer musste einlenken. Böhm führte die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss.

Die Verabschiedung des Kartellgesetzes 1957 hatte Ludwig Erhard ebenfalls Böhm zu verdanken. Nachdem die CSU sich mit ihrem Vorschlag, Kartelle grundsätzlich zu erlauben und nur den Missbrauch zu ahnden, fast durchgesetzt hatte, brachte Böhm einen Kompromissvorschlag ein – und trommelte eine Mehrheit im Bundestag zusammen. Diese Taktik spiegelt eine seiner Überzeugungen wider: Die wirtschaftliche Machtkonzentration werde den Wettbewerb verdrängen, wenn Ordoliberale und andere „vernünftige und mutige Geister“ ihre Waffen strecken.

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