Deutsch-französisches Projekt Osten könnte Standort für künstliche Intelligenz werden

Bundesländer im Westen reklamieren das geplante Forschungszentrum für künstliche Intelligenz für sich. Doch sie könnten leer ausgehen.

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Die Stadt im Osten gilt als bedeutsame Wissenschafts- und Technologieregion – mit elf Fraunhofer-Instituten, fünf Einrichtungen der Leibniz-Wissenschaftsgemeinschaft und drei Max-Planck-Instituten. Quelle: dpa

Berlin Das Versprechen ist eindeutig. „Deutschland und Frankreich müssen insbesondere auch Innovationsmotor sein und werden dies in Vorhaben wie der Erforschung künstlicher Intelligenz unter Beweis stellen“, heißt es in dem zwischen Union und SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag. Und: „Wir werden gemeinsam mit unseren französischen Partnern ein öffentlich verantwortetes Zentrum für künstliche Intelligenz (KI) errichten.“

Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hatten Ende Januar in einer gemeinsamen Erklärung „gemeinsam wirksame Strategien und neue technologische Ansätze“ im Bereich der künstlichen Intelligenz angekündigt.

Über die Ankündigung hinaus ist bisher nichts bekannt geworden. Und auch aus dem Koalitionsvertrag lässt sich weder etwas über eine mögliche Struktur der neuen Einrichtung noch über den möglichen Standort herauslesen.

Trotzdem weckt offenbar schon die bloße Absicht der Bundesregierung, die Zukunftstechnologie künstliche Intelligenz künftig stärker in den Blick zu nehmen, Begehrlichkeiten. Baden-Württemberg und das Saarland reklamierten das Prestigeprojekt bereits für sich.

Von einem „klaren Standortvorteil“ für sein Bundesland sprach etwa der Generalsekretär der Saar-CDU, Markus Uhl. Vor allem wegen des in Saarbrücken ansässigen Deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz (DFKI). Es „wäre also eine logische Konsequenz, mit den bereits vorhandenen Ressourcen die Zusammenarbeit im Bereich der Forschung und Wirtschaft weiter auszubauen“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Handelsblatt. Ob das Saarland jedoch am Ende den Zuschlag erhält, ist ungewiss.

Denn auch Baden-Württemberg hat Interesse für das KI-Projekt angemeldet. „Ich kann mir das nirgends besser vorstellen als bei uns im Südwesten“, sagte der für Digitalisierung zuständige Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) jüngst der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“. Doch auch das Ländle könnte bei der Standortwahl am Ende ins Hintertreffen geraten, weil der Bund andere Präferenzen zu verfolgen scheint.

So werben die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), und Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) für Ostdeutschland als Standort. „Es gilt nach wie vor der Grundsatz, dass Ostdeutschland bei der Ansiedlung neuer Bundeseinrichtungen bevorzugt zu berücksichtigen ist“, sagte Gleicke dem Handelsblatt.

Sie verwies auf den neuen Koalitionsvertrag. Darin heiße es ausdrücklich, dass man die östlichen Bundesländer bei ihren Anstrengungen in der Wissenschafts- und Innovationspolitik besonders unterstützen wolle, betonte sie. Besonders geeignete Standorte für das neue KI-Zentrum wären aus ihrer Sicht „sicherlich“ Dresden oder Berlin.

39 Hochschulen in Berlin

Berlin ist einer der führenden Standorte für Wissenschaft und Forschung. Dafür sorgen unter anderem 39 Hochschulen. Das Klinikum „Charité – Universitätsmedizin Berlin“ getragen von der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin ist die größte medizinische Fakultät Europas. In den beiden Technologieparks in Adlershof und Berlin-Buch kooperieren Forschung und Wirtschaft eng miteinander.

Die nationalen Forschungsorganisationen sind in Berlin jeweils mit mehreren Instituten vertreten, außerdem acht Forschungsinstitute verschiedener Bundesministerien. Unter dem Dach der neugegründeten Einstein Stiftung Berlin sollen Spitzenforscher aus den vier Berliner Universitäten und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten.

Auch Dresden gilt als bedeutsame Wissenschafts- und Technologieregion – mit elf Fraunhofer-Instituten, fünf Einrichtungen der Leibniz-Wissenschaftsgemeinschaft und drei Max-Planck-Instituten.

Auch Kauder betonte, dass neue öffentliche Einrichtungen „vorwiegend in den neuen Ländern angesiedelt werden“ müssten. Und das gelte auch für die geplante deutsch-französische Forschungseinrichtung. „Es geht um Leuchtturmprojekte“, sagte der CDU-Politiker kürzlich der „Mitteldeutschen Zeitung“.

Ob sich der Osten allerdings als Standort eignet, ist umstritten. Es müsse auch auf die Erreichbarkeit der Einrichtung von Frankreich aus geachtet werden, sagte der Vizechef des Dresdner Ifo-Instituts, Joachim Ragnitz, dem Handelsblatt. Schon das spreche gegen eine Ansiedlung in Ostdeutschland. Forschungsinstitute sollten zudem „grundsätzlich dort angesiedelt werden, wo die besten Forschungsergebnisse zu erwarten sind – also in der Nähe von entsprechend spezialisierten Universitäten oder Forschungseinrichtungen“.

Damit sei eher eine Ansiedlung im Saarland sinnvoll, weil dort am DFKI seit nunmehr 30 Jahren rund um das Thema künstliche Intelligenz geforscht werde. „Hier sind am ehesten Synergieeffekte zu erwarten, die sich positiv auf weitere Forschungserfolge auswirken dürften.“

Auch einen möglichen wirtschaftlichen Nutzen für Ostdeutschland durch ein neues Forschungszentrum sieht Ragnitz nicht. „Regionalökonomische Überlegungen sollten bei Standortentscheidungen dieser Art nicht im Vordergrund stehen, zumal die regionalökonomischen Wirkungen von Forschungsinstituten aller Erfahrung nach auch eher gering sind“, sagte er.

Der Vize-Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller, betont dagegen, dass es bei der Ansiedlung von öffentlichen Einrichtungen in strukturschwachen Regionen möglich sei, „den Anteil hoch qualifizierter Beschäftigter und den Anteil von Forschung und Entwicklung an der gesamten Wertschöpfung in einer Region zu erhöhen. „Beides ist wichtig für strukturschwache Regionen, die häufig innovationsschwach sind“, sagte Holtemöller dem Handelsblatt.

Gleichwohl hält auch er für ein deutsch-französisches KI-Zentrum eine gute Verkehrsanbindung für wichtig. „Es muss aber nicht notwendigerweise unmittelbar an der deutsch-französischen Grenze angesiedelt sein“, fügte der Ökonom hinzu. „Wenn es um künstliche Intelligenz geht, ist die Nähe zu einer Universität mit entsprechenden Studiengängen und Forschungsschwerpunkten wichtig.“ Unter Beachtung dieser Kriterien sei die Ansiedlung einer solchen Einrichtung in Ostdeutschland „durchaus sinnvoll“.


Saar-Wirtschaft will KI-Zentrum in Saarbrücken ansiedeln

Oder vielleicht doch im Saarland? „Saarbrücken wäre ein perfekter Standort für das neue deutsch-französische Zentrum, hier ließe sich in idealer Weise auf den bewährten Strukturen des Deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz aufbauen“, sagte der Hauptgeschäftsführer der saarländischen Industrie- und Handelskammer (IHK), Heino Klingen, dem Handelsblatt.

Bei grenzüberschreitenden Projekten dieser Art werde meist mit zwei Standorten gearbeitet, fügte Klingen hinzu. „Für einen möglichen zweiten Brückenkopf auf französischer Seite kämen Nancy, Metz oder auch Paris in Frage, das von Saarbrücken aus mit dem ICE/TGV in 110 Minuten zu erreichen ist.“

Klingen betonte die Vorteile eines möglichen KI-Standorts im Saarland. Das Bundesland sei mitten im Aufbruch zur Wirtschaft 4.0. Künstliche Intelligenz spiele hier eine „Schlüsselrolle“ und das Deutsche Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz (DFKI) treibe den Prozess voran. „Große saarländische Industriebetriebe erproben in Zusammenarbeit mit dem DFKI neuartige Produktionsprozesse und erarbeiten gemeinsam mit dem Zentrum Konzepte zur Integration von Industrie 4.0-Elementen in bestehende Anlagen“, erläuterte der IHK-Hauptgeschäftsführer.

Aber auch außerhalb der Industrie profitiere die saarländische Wirtschaft „erheblich“ von den Forschungsleistungen des DFKI: Das reiche vom Einzelhandel über Verkehrsbetriebe bis hin zu Brauereien. „Hinzu kommen mehrere spannende Spin-Off-Unternehmen, die aus dem DFKI entstanden sind“, so der IHK-Experte. Kooperationspartner des DFKI aus der Industrie seien etwa der Automobil-Zulieferer ZF, der Automatisierungsspezialist Festo oder Bosch.

Auch für die Wirtschaft generell hat die Zukunftstechnologie künstliche Intelligenz große Bedeutung. Eine McKinsey-Studie, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde, kam zu dem Ergebnis, dass das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands bis 2030 durch den Einsatz von intelligenten Robotern um bis zu vier Prozent höher liegen könne als ohne ihren Einsatz. Das entspricht 160 Milliarden Euro.

Verschläft die Wirtschaft dagegen den Wandel, könnte Deutschland das für 2030 prognostizierte Bruttoinlandsprodukt verfehlen, warnen die McKinsey-Forscher. Auch weltweit sehen die Experten ein enormes Potential.

Der globale Markt für KI-basierte Dienstleistungen, Software und Hardware wächst laut McKinsey jährlich um bis zu 25 Prozent und wird bis 2025 voraussichtlich 130 Milliarden Dollar groß sein.

Sich in diesem Bereich hohe Ziele zu setzen, ist für Länder wie USA und China längst eine Selbstverständlichkeit. Sie haben erkannt, dass künstliche Intelligenz als Technologie für viele Branchen immer wichtiger wird.

Chinas Staatsrat hat etwa im vergangenen Jahr mitgeteilt, dass das Land bei KI bis 2025 führend sein will.

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