Deutsch-Indische Regierungskonsultationen China? Für Olaf Scholz nicht mehr erste Wahl

Scholz, Kishida und Modi Quelle: imago images

Zeitenwende – auch diplomatisch: Erst am Wochenende besuchte der Kanzler Japan, am Montag begrüßt er den indischen Premier Narendra Modi zu Regierungskonsultationen in Berlin. China? Kommt in der neuen deutschen Außenwirtschaftspolitik erst später.

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Die Botschaft war Olaf Scholz wichtig. So wichtig, dass er für gerade mal rund 20 Stunden Aufenthalt mehr als 24 Flugstunden auf sich nahm – und noch dazu die Kritik einpreiste, bei der Bundestags-Debatte über deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine zu fehlen. Aber der Kanzler war auf geopolitischer Mission.

In Tokio. Dort hielt er am Samstag anlässlich des Deutsch-Japanischen Wirtschaftsdialogs eine Ansprache, die eher einer Grundsatzrede war. Nicht nur, dass Scholz zweimal aus besonderer Wertschätzung für seinen Amtskollegen Fumio Kishida kurz ins Japanische wechselte – er skizzierte bei seinem Auftritt nicht viel weniger als neue außenwirtschaftspolitische Leitlinien. Die Kurzfassung: Mehr Werte – und weniger China wagen.

Schon länger reift im Kanzleramt die Idee, den Ring der Demokratien des Indo-Pazifiks zu stärken, diese Länder intensiver mit der deutschen und europäischen Politik zu verweben. Mit der Eskalation des Ukrainekriegs und der zwiespältigen Rolle, die China an der Seite Russlands spielt, hat sie noch einmal mehr Dringlichkeit bekommen. Diese neue Strategie nimmt insbesondere Japan in den Blick, aber auch Australien, Neuseeland, Südkorea, Indonesien – und Indien. Die Kurzreise nach Tokio (überhaupt erst Scholz‘ zweite Fernreise nach den USA) und die heutigen Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen in Berlin sind deshalb Teil desselben Ansatzes.

Partner auf Augenhöhe

Man wolle Partnerschaft „auf Augenhöhe und zu fairen Bedingungen“, sagte Scholz in Tokio, „offen und inklusiv“, man strebe gemeinschaftliches internationales Handeln als „Wertepartner“ an. China erwähnte der Kanzler in seiner Rede kein einziges Mal namentlich. Auch das ist eine Botschaft. Japan hingegen ist für Scholz ein geradezu idealtypischer Anknüpfungs- und Ausgangspunkt: Mitglied der G7, ebenso industriell geprägt, mit großem Interesse an freien, offenen Märkten – und auch am Klimaschutz.

Auch dies war bemerkenswert am Auftritt in Tokio: Einerseits Scholz‘ klassisch-deutsches Plädoyer gegen die Abkopplung von Wirtschaftsblöcken, gegen Protektionismus und für freien Handel („Deglobalisierung funktioniert nicht“) – andererseits seine neue Betonung eben jener Werte und wirtschaftlicher Resilienz. Wandel durch Handel, diese alte bundesrepublikanische Hoffnung scheint nach der Russland-Kernschmelze vorerst ausgedient zu haben. Im Hier und Jetzt setzt man zuerst auf ein Unterhaken jener Nationen und Volkswirtschaften, die man nicht erst verwandeln muss (oder glaubt, bekehren zu können). Anders gesagt: Neben die wertegeleitete Außen- tritt eine wertegeleitete Außenwirtschaftspolitik.

Soweit jedenfalls Idee und Strategie. Schon an diesem Montag, bei den Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen im Kanzleramt, wird sich zeigen, ob beides an gewisse Grenzen kommt. Denn Indien entzieht sich einer allzu klaren Zuordnung in Lager.

In Berlin und Brüssel ist – dennoch und deswegen  - eine Indien-Renaissance zu beobachten. Geopolitisch gilt die 1,4-Milliarden-Demokratie schon länger als Schlüsselland. Nun erst recht, schließlich gilt es,  kurzfristig für das brutal-imperiale Großmachtstreben Moskaus und mittelfristig für den technologisch-ökonomisch-militärischen Aufstieg Pekings ein Gegengewicht in Asien zu entwickeln.

Wohin neigt Indien?

In Delhi pflegt man hingegen seit Langem eine Politik der Blockfreiheit. Gespeist aus der Geschichte kolonialer Fremdherrschaft gelten Unabhängigkeit und Eigenständigkeit als hohes Gut. Und so verbindet Indien seit seiner Loslösung von Großbritannien 1947 beispielsweise eine besondere militärische Partnerschaft mit Russland. Schon die Sowjetunion unterstützte das Land im Kaschmirkonflikt, politisch im Krieg gegen Pakistan.

Indien kritisierte umgekehrt den Partner und Waffenlieferanten kaum, nicht beim Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan; nicht, als Russlands Präsident Wladimir Putin 2014 die ukrainische Halbinsel Krim annektierte – und bislang auch nicht wegen der Invasion der Ukraine. Bei der entscheidenden Abstimmung in der UN-Vollversammlung enthielt sich Indien der Stimme, die Sanktionen unterstützt es ebenfalls nicht.

Das Land lässt zudem gerade ein russisches Raketenabwehrsystem an der pakistanischen Grenze installieren – um sich vor Angriffen aus Pakistan und aus China zu schützen, lautet Indiens Begründung. Als Gegenleistung stellt das Land Kalaschnikows her. Darüber hinaus „gibt es zwischen Russland und Indien aber auch eine große Energiepartnerschaft“, sagt der Asienexperte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

In den westlichen Hauptstädten setzt man trotzdem auf ein strategisches Umdenken. Und das hat natürlich mit dem Krieg und mit der Erklärung der grenzenlosen Partnerschaft zu tun, die Wladimir Putin und Xi Jinping im Februar unterzeichneten. Russlands Feldzug gegen die Ukraine und die unmittelbar von der EU und den USA verhängten Sanktionen, zeigten jedenfalls eines deutlich, analysiert Shibani Mehta, Sicherheitsexpertin der Denkfabrik Carnegie India: Russland breche mit dem Westen. Russland und China formten einen Machtblock. Und Indien, warnt sie, müsse dies heute bereits in seine Außenpolitik einkalkulieren.

Sollten Russland und China sich künftig auch im Hinterhof Indien abstimmen, wie Mehta das nennt, also bei Fragen, die das Land unmittelbar betreffen, könnte Peking möglicherweise darauf hinwirken, dass Moskau gegenüber Delhi bisher gültige ungeschriebene Vereinbarungen bricht. 

Das Ende „unüberbrückbarer“ Differenzen?

Das, hofft man in Berlin wie in Brüssel, kann nicht im Interesse von Premier Narendra Modi sein, ganz im Gegenteil zu einer stärkeren Bindung an den Westen, an die EU und an die USA – und registriert die neuen Zeichen des gegenseitigen Interesses. Die indische Regierung hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) jüngst als Ehrengast zum diesjährigen Raisina-Forum geladen. Bei der Konferenz geht es jedes Jahr um die geopolitischen Prioritäten der indischen Regierung. Modi gab den Europäern mit der Einladung zu verstehen, dass Indien an guten Beziehungen zur EU gelegen ist.

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Dazu zählen besonders die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen, das beide Seiten erst im vergangenen Jahr wieder aufgenommen haben. Die Arbeit an einem Handelsvertrag gingen die Jahre zuvor allerdings nur schleppend voran. Von 2013 bis 2021 waren die Gespräche wegen unüberbrückbarer Differenzen sogar komplett ausgesetzt gewesen. Dass Indien sich unabhängiger von chinesischen Importen machen will, hatte in Europa die Hoffnung wachsen lassen, dass Indien seine Märkte verstärkt öffnet. „Viele der Probleme, die schon die Verhandlungen zwischen 2007 bis 2013 erschwert haben, bleiben ungelöst“, heißt es in einem Bericht der Brüsseler Denkfabrik Bruegel für das Europäische Parlament. Nun also ein neuer Versuch.

Scholz dürfte heute nun seinerseits ausloten, welche Möglichkeiten der vertieften bilateralen Kooperation es geben kann. Der technologische Kampf gegen den Klimawandel gehört zu den zentralen Themen des Gipfels, aber auch Rüstungsprojekte sollen besprochen werden. Nach dem heutigen Tag dürfte wenigstens etwas klarer sein, inwieweit Modi sich tatsächlich als Wertepartner des Westens begreift.

Lesen Sie auch: Die Weltwirtschaft steht wegen Russlands Krieg gegen die Ukraine vor einer Zäsur. Die Globalisierung stockt. Der Warenhandel wird zum Politikum. Und Deutschland und seine Unternehmen sind schlecht vorbereitet.

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