Deutsche Bahn Die Bahn wird die deutsche Klimabilanz nicht retten

Die Grünen wollen Zugfahren so attraktiv machen, dass Inlandsflüge im Jahr 2035 überflüssig sind. Quelle: dpa

Die Grünen wollen Zugfahren so attraktiv machen, dass Inlandsflüge im Jahr 2035 überflüssig sind. Das ist so verlockend wie unrealistisch. Denn bei der Infrastruktur gilt leider: Wo ein Wille ist, ist noch lange kein Weg.

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Es gibt zwei Arten von Politik: realpolitische und visionäre. Die erste orientiert sich am Spruch von Ex-Kanzler Helmut Schmidt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“. Sie hat keine allzu großen Ambitionen, reagiert mehr als selbst zu gestalten. Die zweite glaubt dagegen an große Ziele, auf die man im täglichen Kleinklein hinarbeiten kann – mögen sie auch noch so unrealistisch erscheinen.

Die Grünen gehören eher zum Club der Visionäre, zumindest dann, wenn sie in der Opposition sind. Nun wollen sie dafür sorgen, dass Inlandsflüge 2035 weitestgehend obsolet sind. Gelingen soll das mit deutlich mehr Geld für die Bahn: Das Schienennetz soll ausgebaut und Verbindungen sollen schneller werden. Dagegen ist erst einmal nichts einzuwenden. Wenn die Bahn tatsächlich mit einem hohen Anteil Ökostrom fährt, ist sie ein klimafreundlicheres Verkehrsmittel als das Flugzeug.

Dass die grüne Vision von 2019 in 15 Jahren allerdings Realität wird, ist trotzdem unwahrscheinlich. Das hat auch mit einer verzerrten Debatte über die Bahn zu tun. Natürlich sind Verspätungen ärgerlich, sie sind aber trotzdem die Ausnahme. Die Attraktivität eines ICEs bemisst sich nicht daran, ob er ab und zu zehn Minuten zu spät ist. Entscheidend ist seine normale Reisezeit.

Und da kann die Bahn auf vielen Verbindungen nicht mithalten. Es ist kein wirklicher Genuss, von Berlin nach Köln oder von Hamburg nach Stuttgart zu fahren. Viele Reisende, die auf diesen Strecken lieber den Flieger nehmen, geben damit Ex-Bahn-Chef Hartmut Mehdorn Recht, der Bahnfahrten über vier Stunden einst als „Tortur“ bezeichnete.

Um mehr Verbindungen attraktiver zu machen, bräuchte es massive Investitionen. Nun ist Geld derzeit ein eher geringes Problem der deutschen Politik. Aber bei der Infrastruktur gilt leider: Wo ein Wille ist, ist noch lange kein Weg. Von der Idee bis zur Realisierung großer Projekte vergehen schnell 20 bis 30 Jahre. Das liegt wohlgemerkt nicht nur an vermeintlich unfähigen Politikern und Beamten, sondern allzu oft auch am notorischen Widerstand der Bevölkerung. Dass Deutschland 2035 ein so attraktives Bahnnetz hat, dass es zumindest zwischen allen größeren Städten schnelle Verbindungen gibt, ist deshalb unrealistisch. Eher wird es wohl 2050.

Und mit Zielen ist es auch aus einem anderen Grund so eine Sache. Es bringt nichts, irgendwelche hübschen Reisezeiten auszurufen, die dann nicht kommen. Das zeigt die Prestigestrecke zwischen Berlin und München: Die rund zehn Milliarden Euro sollten eigentlich dafür verbaut werden, dass ein ICE sie in dreieinhalb Stunden schafft. Ein paar wenigen Zügen gelingt es in der Praxis in knapp unter vier Stunden. Immerhin. Aber die meisten brauchen deutlich länger als versprochen.

Tja, und dann zeigt die Strecke noch ein anderes Problem der Bahn: der häufig immer noch zu üppige Preis. Wer am Dienstagvormittag nach einem One-Way-Ticket von München nach Berlin für den nächsten Tag suchte, wurde bei Lufthansa für etwas mehr als 80 Euro und bei Easyjet für rund 90 Euro fündig. Und das gleich bei mehreren Verbindungen. Die Fahrt mit dem Flixbus war sogar schon ab 20 Euro zu haben.

Der günstigste Trip mit der Bahn ist ein später Zug für knapp 70 Euro. Drei weitere ICEs können gerade noch mit Lufthansa und Easyjet mithalten, der Rest ist zum Teil deutlich teurer. Und dabei handelt es sich um sogenannte Sparpreise. Der reguläre Preis in der zweiten Klasse liegt bei 153 Euro. Selbst wer eine Bahncard 50 besitzt, also zu den treuesten der treuen Kunden gehört und für sich deshalb in Anspruch nimmt, ein bisschen flexibel sein zu dürfen, muss für die Fahrt also 76,50 Euro zahlen.

Eine schnelle und bezahlbare Bahnverbindung – das ist auf zu vielen innerdeutschen Strecken noch immer eine Vision. Deshalb ist es höchste Zeit, endlich anzufangen, damit sie eines Tages Wirklichkeit werden kann oder die Realität ihr zumindest nahekommt. Ein attraktives Preissystem ist dabei noch das kleinere Problem. Um die entsprechende Infrastruktur zu bauen, braucht es jedoch etwas Großes: einen echten Zukunftsplan 2050. Er muss die Frage beantworten, wo die Bahn wie oft und wie schnell fahren soll.

Diese Aufgabe muss der Bund erfüllen. Immerhin ist er der einzige Eigentümer. Dass es diesen echten Zukunftsplan nie gab und er mit dem sogenannten Deutschlandtakt nur in unzureichender Form existiert, liegt auch daran, dass im Verkehrsbereich viel zu lange die Realpolitik dominierte.

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