Penibel sind die Bettdecken der 17 Einzel- und fünf Doppelzimmer im Görlitzer Gästehaus im Karpfengrund übereinandergeschlagen. Darauf liegen frische Handtücher. Eine einzige Einladung zum Verweilen. Und auch die umliegenden Gebäude stehen einladend an der mittelalterlichen Stadtmauer von Görlitz aufgefädelt: das Waidhaus aus dem 12. Jahrhundert und die „alte Lateinschule“ mit ihren farbenfrohen barocken Fresken an den Holzdecken.
Nur eines ist in den aufwendig renovierten Gebäuden kaum zu sehen: Gäste. Schon seit Monaten wird etwa das Gästehaus nicht mehr genutzt.
„Aktiv“ sollte in Görlitz, der östlichsten Stadt der Republik, „Fachwissen und Erfahrungen in Denkmaltheorie und -praxis“ weitergegeben werden. So steht es zumindest im Jahresbericht der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD), die 3,7 Millionen Euro für die Restaurierung der drei Görlitzer Gebäude ausgab und dort einen Kurs zum „Restaurator im Handwerk“ förderte.
Das Problem ist nur: So richtig interessiert hat sich in den vergangenen Jahren kaum jemand für die Restaurator-Kurse in Görlitz. Gerade einmal sechs Handwerker waren hier im vergangenen Jahr in Ausbildung. Selbst in den Neunzigerjahren waren es jährlich nicht mehr als 35 Auszubildende. Trotzdem förderte die mit Lotto-Geldern und privaten Spenden großzügig bedachte DSD den für den Kurs zuständigen Verein seit 1991 mit durchschnittlich 200 000 Euro pro Jahr. Erst im November 2015 stoppte die DSD die Kurse wegen Unwirtschaftlichkeit. „Genau zum richtigen Zeitpunkt“, wie die DSD findet.
Millionen aus Spenden
Nicht viele private Initiativen werden derart üppig mit Geldern aus den Töpfen des Lotto-Spiels Glücksspirale finanziert. Von jedem Euro, den die Tipper für das quasistaatlich organisierte Rentenspiel einsetzen, kommen rund 27 Cent gemeinnützigen Institutionen zugute. Rund ein Viertel davon geht jeweils an die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, den Deutschen Olympischen Sportbund, andere gemeinnützige Empfänger und eben die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. 2015 hat Lotto so 15,7 Millionen Euro an die DSD ausgeschüttet. Hinzu kamen 2014 private Spenden in der Höhe von knapp 18,6 Millionen Euro.
Mit den üppigen Mitteln der Spendengelder und der Glücksspirale lassen sich zwar leicht unrentable Restaurator-Kurse, leer stehende Gästehäuser am Rand der Republik und fragwürdige Projekte finanzieren. Doch offenbar waren nicht alle Vorstandsmitglieder der DSD einer Meinung. Denn im Juni kündigte die Stiftung einem Mitglied des dreiköpfigen Vorstands vorzeitig und verlängerte den Vertrag eines weiteren Vorstandsmitglieds nicht. Doch nicht nur auf Leitungsebene knirscht es bei der DSD. Auch bei den von der Stiftung geförderten Projekten führt die Mittelverwendung zu teils absurden Situationen und stößt auf das Unverständnis mancher, die sich eigentlich über den Geldsegen der Stiftung hätten freuen können.
Leer stehende, aber geförderte Immobilien, Querelen im Vorstand: Die Geschichte der DSD wirft ein Licht auf jenes seltsame Geflecht aus Gebern und Nehmern, das sich im staatlich abgeschirmten Geschäft mit dem organisierten Glücksspiel etabliert hat. Staatliche Gesellschaften nehmen ein, gemeinnützige Einrichtungen profitieren – und gemeinsam schirmt man sich gegen Angriffe von außen, wie etwa regelmäßig durch die EU-Kommission, ab. Erst gerade läuft wieder ein Versuch zum Beenden des Glücksspielstaatsvertrags, der den Markt abschottet. Der Fall der Stiftung Denkmalschutz zeigt, warum mehr Akteure und bessere Transparenz in der Tat nötig sind.
Guter Ruf und schlechtes Management
Die Spur der Spendengelder an die DSD führt größtenteils in die ostdeutsche Provinz. Das brandenburgische Schloss Wiepersdorf, wo einst die Romantiker um Ludwig Achim und Bettina von Arnim mittels „progressiver Universalpoesie“ das Leben mit dem Schreiben verschmelzen wollten, ist noch heute ein Ort des künstlerischen Schaffens. Hinter dem Schloss lädt ein Park zum Rundgang unter den Statuen antiker Gottheiten ein.
Unter Göttervater Zeus und Aphrodite sitzen vor allem junge Künstler, die sich hier zumeist mittels Stipendien des Landes Brandenburg für mehrere Monate den Künsten widmen. Die DSD, die das Schloss samt Gästehaus mit rund 40 Betten für einen symbolischen Preis vom Land Brandenburg übernommen hat, sorgt für die Instandhaltung und deckt die Personalkosten.
Wegen solch harmonischer Anmutung ihrer Projekte genießt die DSD, die sich selbst als „größte private Initiative für Denkmalpflege in Deutschland“ sieht und ihren Hauptsitz in Bonn hat, eigentlich einen einwandfreien Ruf und ist dazu mit allen Weihwassern der Gemeinnützigkeit gewaschen: Neben dem DZI Spenden-Siegel hat die DSD 2012 auch einen Transparenzpreis von PwC verliehen bekommen. Mehr als 5000 Denkmale hat die Stiftung seit ihrem Bestehen 1985 mit mehr als 560 Millionen Euro gefördert. Prestigereich sind zudem die Namen im Stiftungsrat der DSD: Georg Friedrich Prinz von Preußen sitzt dort ebenso wie Andreas de Maizière, der ältere Bruder von Innenminister Thomas de Maizière. Bundespräsident Joachim Gauck ist Schirmherr der DSD.
Wirrnisse in Wiepersdorf
Doch nicht nur Stipendiaten und prominente Unterstützter schätzen die DSD. So schöne Liegenschaften wie Schloss Wiepersdorf ziehen auch eine Menge Ausflügler an, besonders am Wochenende. Dann trinken sie gerne Kaffee oder nächtigen im Gästehaus der DSD. So war es zumindest früher. Mittlerweile wurde aufgrund von Verlusten laut Jahresbericht 2014 der „wirtschaftliche Geschäftsbetrieb“ im Schloss Wiepersdorf geschlossen. Auf Nachfrage erklärt die DSD, dass sie nur die Orangerie, also das opulente Bewirtungsgebäude, geschlossen habe. Das Gästehaus habe sie aber von 2006 bis „zum heutigen Tage“ betrieben. Doch mehrere Quellen bestätigen, dass die DSD den Gästen nicht nur keinen Kaffee mehr servierte, sondern auch der Betrieb des Gästehauses der Stiftung Schwierigkeiten bereitete. Warum die DSD darüber nicht so gerne spricht, könnte in der teils falschen Abrechnungsweise im Gästehaus in Teilen des Jahres 2015 liegen: Denn statt gegen Rechnung sollen dort Zimmer teilweise gegen „freiwillige Spenden“ vermietet worden sein.
Der Hintergrund der Wirrnisse in Wiepersdorf liegt in den Finanzvorschriften für gemeinnützige Stiftungen, mit denen die DSD im Fall Wiepersdorf offenbar nicht zurechtkam. Denn für diese Stiftungen ist eine wirtschaftliche Tätigkeit in eigener Regie stets ein heikles Spiel: Verluste dürfen niemals mit Spendenmitteln ausgeglichen werden. Vermieden werden kann dieses Risiko etwa durch Verpachtung des entsprechenden Betriebs. Das Modell „freiwillige Spende“ für eine eindeutige Gegenleistung taugt jedenfalls nicht. Das musste wohl auch die DSD feststellen. Nachdem ein übereifriger Gast auf seine „Spende“ die Nummer des Hotelzimmers und das Datum der Übernachtung notiert haben soll, musste die Stiftung Denkmalschutz den ganzen Vorgang rückabwickeln.
Die DSD betont, dass es in Wiepersdorf niemals einen „Verkauf“ von Dienstleistungen gegen Spenden gegeben habe, und spricht von „Abrechnungsfehlern“ in 16 Fällen im Jahr 2015 im Beherbergungsbetrieb. Der Grund dafür seien „hausinterne Missverständnisse“ gewesen. „Die DSD-Zentrale in Bonn“, teilt die Stiftung mit, „erlangte Ende September 2015 von der Abrechnungspraxis vor Ort Kenntnis. Danach wurde die Abrechnungspraxis innerhalb von wenigen Wochen abgestellt. Noch im Jahr 2015 hat die DSD von den Betroffenen in allen 16 Fällen die Originale der Spendenquittungen zurückgefordert. Im Gegenzug wurden ordnungsgemäß Rechnungen ausgestellt.“ Verluste aus wirtschaftlicher Tätigkeit würden zudem niemals aus Spenden, sondern durch andere wirtschaftliche Tätigkeiten und Geschäftsjahre kompensiert. Zudem verweist die DSD auf die durch unabhängige Prüfer bestätigte Korrektheit der Jahresabschlüsse.
Keine Probleme mit dem Wirtschaften der DSD
Doch auch in einem anderen Fall, in dem die DSD aus den Erträgen ihrer Vermögensverwaltung eine Immobilie errichtet hat, scheint die Stiftung Probleme zu haben.
Ausgerechnet in Quedlinburg in Sachsen-Anhalt meinte die DSD den richtigen Ort für die Errichtung eines Tagungszentrums gefunden zu haben. Hinter dem von der DSD restaurierten Palais Salfeldt im Ortskern ließ die Stiftung einen üppigen Konferenzsaal bauen, dessen Lage eine Hochglanzbroschüre als „vernetzt mit den Hauptverbindungen zwischen Hannover, Hamburg, Leipzig, Berlin und Frankfurt und deren internationalen Flughäfen“ beschreibt. Tatsächlich dauert eine Bahnfahrt von Frankfurt nach Quedlinburg, in das kein ICE fährt, gut fünf Stunden. Über einen direkten Autobahnanschluss verfügt Quedlinburg nicht.
Tagen im Abseits
Dass das Tagungszentrum in Quedlinburg bestenfalls schleppend Erträge abwirft, welche die Stiftung im Rahmen ihrer Vermögensanlage aber durchaus erwirtschaften sollte, räumt auch die DSD ein. „Bisher“, so die DSD „haben sich nicht alle ursprünglichen Erwartungen in Bezug auf den Tagungsbetrieb erfüllt.“
Die Stiftung Denkmalschutz spricht von „annähernd ausgeglichenen Jahresergebnissen“ des Tagungszentrums. „Insgesamt“ gehe die DSD allerdings von einer „positiven Gesamtrendite“ des Tagungszentrums aus. So habe das Land Sachsen-Anhalt „eine Förderung über 90 Prozent der Baukosten in Aussicht“ gestellt.
Der edle Spender der Gelder aus den Töpfen der Glücksspirale scheint mit dem Wirtschaften der DSD jedenfalls keine Probleme zu haben: Das bei der Glücksspirale federführende Lotto Bayern weiß von keinen Beanstandungen der Mittelverwendung der DSD. Auch die für die DSD zuständige Stiftungsaufsichtsbehörde, die Bezirksregierung Köln, hat noch nie Probleme festgestellt.
Was die Lotto-Chefs trotz des Persilscheins für die DSD klammheimlich ärgern könnte, ist jedoch die besondere Rolle, die Andreas de Maizière bei der Stiftung spielt: Denn neben seiner Tätigkeit im Stiftungsrat der DSD ist de Maizière auch Aufsichtsratsvorsitzender des im SDax notierten Lotto-Konkurrenten Zeal Network mit Sitz in London.
De Maizière und die DSD sehen darin keinen Interessenkonflikt. Bei der Zeal-Network-Tochter Tipp24 können sogar Wetten auf die Glücksspirale abgeschlossen werden. Mag es auch aus Sicht guter Unternehmensführung merkwürdig erscheinen, so hat dieses Engagement für de Maizière selbst definitiv einen Vorteil: Dort droht kaum Ungemach mit der Mittelverwendung – Tipp24 ist als privater Anbieter nicht der Gemeinwohlförderung verpflichtet.